Das Kreuz, das christliche Symbol für den Übergang vom Leben zum Tod. Dieses Kreuz steht am Islinger Feld, der sogenannten Papstwiese bei Regensburg. (Bild: Fotolia/Johannes Müller)
Sterbehilfe

Singhammer: „Das Gebot ,Du sollst nicht töten‘ gilt uneingeschränkt“

Interview Am Donnerstag debattiert der Deutsche Bundestag über die gesetzliche Neuregelung der Sterbehilfe. Mehrere sehr unterschiedliche Gesetzentwürfe liegen auf dem Tisch. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) hat viele solcher komplizierter Debatten zu ethischen Themen maßgeblich geprägt, unter anderem zur Frage der Spätabtreibungen. Wolfram Göll hat ihn befragt.

Bayernkurier: An diesem Donnerstag wird die gesetzliche Regelung der Sterbehilfe in Erster Lesung debattiert. Die Abgeordneten sind ausdrücklich nur ihrem Gewissen unterworfen, Fraktionszwang gibt es dabei nicht. Sie selbst beschäftigen sich schon seit vielen Jahren intensiv mit diesen grundsätzlichen ethischen Fragestellungen, bei denen es buchstäblich um Leben und Tod geht, unter anderem die Abtreibung und Spätabtreibung. Wie bewerten Sie die bisherige Diskussion zur Sterbehilfe?

Johannes Singhammer: Die Menschen in Deutschland können eine sachliche und ernsthafte Auseinandersetzung um die letzten Dinge miterleben. Die CSU hat als einzige Partei mit großen Mut auf ihrem letzten Parteitag eine offene und grundsätzliche Debatte geführt und als Ergebnis einen eindeutigen Beschluss gefasst. Der Antrag des Bundestageskollegen Brand enthält die wesentlichen Kernpunkte des CSU-Parteitagbeschlusses.

Bayernkurier: Die Forderung, das flächendeckende Angebot an Sterbebegleitung, also Palliativ- und Hospizversorgung, zu verbessern, dürfte wohl Konsens bei den allermeisten Abgeordneten sein. Daher steht dieses Thema als eigenständiger Gesetzentwurf neben der engeren Frage der Sterbehilfe, wird aber beinah gleichzeitig verhandelt. Sind Sie mit dem betreffenden Entwurf aus dem Hause Gröhe zufrieden?

Singhammer: Der Entwurf von Gesundheitsminister Gröhe enthält die richtigen Weichenstellungen. Sterbebegleitung ohne nachprüfbare Verbesserungen der Palliativ- und Hospizversorgung wäre für die meisten Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag unvollständig und fehlerhaft. Deshalb erwarte ich eine Mehrheit für diesen eigenständigen Gesetzentwurf, der allerdings am selben Tag wie die Sterbebegleitung in den Deutschen Bundestag eingebracht wird, und noch in diesem Jahr verabschiedet werden soll.

Bayernkurier: Zur eigentlichen Streitfrage der Sterbehilfe: Juristen sagen, so lange Suizid straffrei ist, muss oder auch die Beihilfe dazu straffrei sein. Stimmen Sie dem zu?

Singhammer: Richtig ist, dass der Suizid straffrei ist, aber gleichzeitig gilt in Deutschland ein Verbot der „aktiven Sterbehilfe“ gemäß § 216 StGB. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ gilt uneingeschränkt. Deshalb ist es selbstverständlich rechtlich zulässig, Sterbebegleitung in den Fällen gesetzgeberisch zu regeln, wo es erkennbare Fehlentwicklungen gibt. Ein wachsendes Angebot von geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe mit den Sterbende unter Druck gesetzt werden könnten, ist eine solche Fehlentwicklung. Eine weitere gesellschaftliche Ausbreitung könnte den fatalen Anschein einer Normalität hervorrufen, die Menschen zur Selbsttötung verleitet. Aus Gründen des Integritäts- und Autonomieschutzes jedes Einzelnen muss aber genau dies bei Kranken oder sterbenden Menschen vermieden werden.

Bayernkurier: Wie stehen Sie zu der Frage des ärztlich begleiteten Suizids, der im Hintze-Lauterbach-Wöhrl-Entwurf unter bestimmten Bedingungen ausdrücklich straffrei gestellt werden soll? Dagmar Wöhrl (CSU) hat kürzlich hier im Bayernkurier argumentiert, das Strafrecht habe am Sterbebett nichts verloren.

Singhammer: Das Gebot „Du sollst nicht töten“ gilt uneingeschränkt – selbstverständlich auch für Ärztinnen und Ärzte. Ihre vornehmste Aufgabe ist es, Kranken zu helfen, Schmerzen zu lindern, nicht Leben zu beenden – selbst wenn dies Patienten von ihrem Arzt verlangen. Eine große Mehrheit der Ärzte hält das auch für richtig.

Bayernkurier: Sollten die ärztlichen Standesregeln bundesweit vereinheitlicht werden? Zum Beispiel das bayerische Standesrecht verbietet ärztliche Beihilfe zum Suizid nicht ausdrücklich.

Singhammer: Das 3000 Jahre alte ärztliche Standesrecht, der sogenannte hippokratische Eid, ist eindeutig: „Ich werde niemandem ein tödlich wirkendes Gift geben und auch keinen Rat dazu erteilen.“ Wenn das bayerische Standesrecht nicht ausdrücklich die Beihilfe zum Suizid verbietet, heißt das nicht, dass die Beihilfe wäre erlaubt oder gar geboten. Aus der bayerischen Regelung auf eine rechtliche zulässige Erlaubnis der ärztlichen Beihilfe zum Suizid zu schließen, wäre völlig falsch. Eine bundeseinheitliche Regelung hätte sicherlich Vorteile.

Bayernkurier: Der interfraktionelle Brand-Griese-Frieser-Entwurf will die geschäftsmäßige oder gar kommerzielle Beihilfe zum Suizid, etwa durch Sterbehilfe-Vereine wie in der Schweiz, strafrechtlich verbieten. Gleichzeitig soll die Suizid-Beihilfe durch Angehörige straffrei bleiben. Wie sehen Sie das?

Singhammer: Jedes Eigeninteresse der Suizidhelfer ihr Geschäftsmodell „umzusetzen“ und ihre Dienstleistungen anzubieten, soll verboten werden: Eine Klarstellung, ein Fortschritt, der eine rechtliche eindeutig nachvollziehbare Verbesserung bringt. Bei Angehörigen lassen sich die unterschiedlichsten Sachverhalte kaum in eindeutige Gesetzesregelungen gießen und dann auch noch rechtlich umsetzen. Gesetze zu schmieden, die in der Praxis wenig Wahrscheinlichkeit haben, umgesetzt zu werden, macht wenig Sinn.

Bayernkurier: Nun liegen fünf sehr unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch des Hohen Hauses. Wenn Sie als einer, der schon viele solche schwierige Debatten geführt hat, eine Prognose wagen sollten: Wo könnte am Ende eine Kompromisslinie verlaufen?

Singhammer: Mittlerweile liegen in der Tat fünf Vorschläge auf dem Tisch. Nicht ohne Bedeutung ist die Reihenfolge der Abstimmungen über die einzelnen Anträge. Ich kann mir vorstellen, dass eine Ächtung der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe eine Mehrheit findet.