Zweifel verboten? An der Meßstelle Neckartor demonstrieren Bürger gegen das Fahrverbot für ältere Diesel Fahrzeuge in Stuttgart. (Imago/Arnulf Hettrich)
Diesel

112 gegen den grünen Filz

Kommentar Nachdem eine Gruppe von renommierten Lungenfachärzten den Nutzen der geltenden EU-Grenzwerte für Stickoxide angezweifelt hat, gehen die grünen Diesel-Gegner auf die Barrikaden. Es ist der Kampf des Mittelalters: Ideologie gegen Wissenschaft.

Als Galileo Galilei sein Planetenmodell publizierte, wollte die Kirche das nicht akzeptieren. Nach ein bisschen Inquisition bekannte Galilei schließlich, er habe sich geirrt, und entkam so knapp der Hinrichtung. Lange ist das her, es war im Jahr 1633.

Heute, im Jahr 2019, haben 112 renommierte Lungenfachärzte erklärt, dass die EU-Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide medizinisch nicht begründbar seien – und damit indirekt auch alle Diesel-Fahrverbote hinfällig. Es sind nicht irgendwelche Wald- und Wiesenärzte im Auftrag der deutschen Autoindustrie, es sind Klinikleiter, Chef- und Oberärzte, niedergelassene Fachärzte, alles Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). „Wenn die Luftverschmutzung so gefährlich wäre, müsste sie ein typisches Vergiftungsmuster verursachen. Das völlige Fehlen dieses Musters spricht gegen eine Gefährdung“, so einer der Ärzte. Diese Zweifel an den Grenzwerten sind nicht neu, sie sind seit langem bekannt.

Fragwürdige Faktenlage

Die Ärzte fordern, dass unabhängige Forscher die veralteten wissenschaftlichen Studien, auf denen die aktuellen Grenzwerte basieren,  neu bewerten. Denn diese seien völlig einseitig bewertet, andere Faktoren wie Bewegungsmangel, Alkoholkonsum, Rauchen, medizinische Betreuung seien vernachlässigt und falsch gewichtet worden. „Man muss einfach davon ausgehen, dass jemand, der an der Hauptstraße wohnt, einen niedrigeren sozialen Status hat, weniger Einkommen, mehr raucht, weniger Sport treibt und so weiter“, sagt der ehemalige Präsident der DGP, Dieter Köhler. Solange, bis dies geklärt ist, sollten die Rechtsvorschriften ausgesetzt werden.

Dies wäre ein überfälliger Schritt. Schon der WHO-Bericht von 1997, der den Grenzwert von 40 Mikrogramm empfohlen hat, sprach davon, dass man die festgestellten Krankheiten ebenso an anderen Prozessen festmachen könnte. Er stützte sich, so berichtet das unabhängige Recherche-Netzwerk correctiv.org, unter anderem auf Studien, die „kaum signifikante“ oder gar keine Veränderungen der Lungenfunktion in Verbindung mit der Stickoxid-Konzentration feststellten. Die Ergebnisse kamen außerdem in Versuchen mit Ratten, Mäusen, Hamstern und Affen zustande. Die WHO-Zahl 40 orientierte sich letztendlich an einer Studie, die eine mögliche Verbindung zwischen Wohnungen mit Gasherd und Atemwegserkrankungen bei Kleinkindern fand, nicht jedoch bei Babys.

Eingriff in Grundrechte

Das heißt im Klartext: Deutschland hat voreilig eine seiner Schlüsselindustrien aufgrund falscher oder zumindest falsch interpretierter Grenzwerte beschädigt und damit gewaltige Werte vernichtet. Die dubiose und selbsternannte „Deutsche Umwelthilfe“ hat vor deutschen Gerichten Diesel-Fahrverbote durchgesetzt, die nicht nur überhaupt nichts bringen (wie sich jüngst bei Messungen auf den gesperrten Straßen in Hamburg zeigte), sondern die auf Gesetzen beruhen, die diese fragwürdigen Grenzwerte vorschreiben.

Nach Ansicht der Juristen des gerade stattfindenden Verkehrsgerichtstages sind Fahrverbote obendrein schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte der persönlichen und beruflichen Freiheit. Auch gebe es keine wirkliche ökologische Rechtfertigung dafür. Sie könnten also vor dem Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig gestoppt werden.

Die Grenzwerte wurden außerdem allzu oft in Messstationen überschritten, die an falsch ausgewählten Orten mit der höchsten Schadstoffkonzentration aufgestellt wurden, das wurde jetzt mehrfach durch seriöse Medienberichte aufgezeigt. Auch besteht angesichts der Vielzahl von Schadstoffen in der Stadtluft Zweifel, ob Stickoxid allein, nur in Kombination oder gar nicht schädlich sein kann.

Es gibt also genügend Gründe, die Hysterie um den Diesel solange zu beenden, bis unabhängige Untersuchungen vorliegen und alle Messstationen richtig aufgestellt wurden. Am Ende kann es sein, dass der Grenzwert richtig ist – oder eben falsch. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer hofft denn auch, jetzt könnten endlich wieder Sachlichkeit und Fakten in die Diesel-Debatte einziehen, und plädiert für eine europaweite Aussetzung der Grenzwerte.

Ideologie statt Wissenschaft

Doch so leicht geben sich die grünen Ideologen in Behörden, Medien und Verbänden nicht geschlagen: Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, erklärte, er könne die Kritik der Mediziner nicht ernst nehmen. Der Auto-Intolerante grüne Verkehrsminister von Baden-Württemberg, Winfried Hermann, behauptete in der ARD, dass die 112 Ärzte von Umweltmedizin und Vorsorgewerten keine Ahnung hätten. Er, der gelernte Pädagoge, dagegen schon. Dieter Janecek, Ex-Landeschef der Grünen Bayern und jetzt Bundestagsabgeordneter, unterstellte auf Twitter Andersdenkenden sogar Nähe zu Verschwörungstheoretikern und Demokratiefeinden: „Um das mal klar zu sagen: Was Union und FDP zusammen mit ein paar verirrten Lungenärzten da in Sachen #Umwelthilfe#Feinstaub #Stickoxide aufführen, hat Reichsbürger-Niveau. Eine Schande für die deutsche Politik ist das.“ Ein Kommentator des SWR pflichtete eilfertig bei: „Grenzwerte nach Stimmungslage wären das Ende des Verbraucherschutzes“.

Falsche oder zweifelhafte Grenzwerte, das vergaß er geflissentlich, erschüttern aber grundlegend das Vertrauen in die Politik in Deutschland und Europa. Millionen Pendler sind auf ihr Auto – darunter viele Diesel – angewiesen, um sich und ihre Familien ernähren zu können. Sie und ihre Arbeitgeber sorgen auch für den Wohlstand dieser Gesellschaft insgesamt. Schon deswegen muss die Politik das Problem endlich korrekt und auf fundierter Basis aufarbeiten. Denn wenn Ideologie und missionarischer Eifer über Wissenschaft siegen, dann sind wir wieder in den Zeiten von Galileo Galilei.