Fahrverbote wie hier in Stuttgart halten die Experten der Wissenschaftsakademie Leopoldina für wirkungslos. (Foto: Imago/Arnulf Hettrich)
Studie

Diesel-Fahrverbote bringen nichts

Die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina kritisiert die in Deutschland verhängten Fahrverbote als "kurzfristigen Aktionismus". Die Verengung der Debatte auf Stickstoffdioxid und Dieselfahrzeuge bezeichnen die Experten sogar als "Unfug".

Begrenzte Diesel-Fahrverbote auf einzelnen Straßen bringen aus Sicht von Wissenschaftlern wenig für bessere Luft in Städten. Die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina warnt in einer Stellungnahme zur Luftreinhaltung in Deutschland vor „kurzfristigem Aktionismus“. Stattdessen empfiehlt sie eine umfassende und nachhaltige Strategie sowie eine grundlegende Verkehrswende.

Die Wissenschaftler kritisieren eine Verengung der Debatte auf Stickstoffdioxid (NO2) durch Diesel-Abgase. Dies sei „nicht zielführend“, heißt es in dem am Dienstag vorgelegten Papier. Feinstaub sei deutlich schädlicher für die Gesundheit. Über die Luft könne Feinstaub in die Lunge gelangen, und zwar umso tiefer, je kleiner die Partikel seien. „Er kann Sterblichkeit erhöhen und Erkrankungen der Atemwege, des Herz-Kreislauf-Systems und weitere Erkrankungen wie etwa Lungenkrebs verursachen“, schreiben die Wissenschaftler.

Im Auftrag der Bundesregierung

In die Kritik geraten war zuletzt angesichts von Diesel-Fahrverboten in Städten der seit 2010 verbindliche EU-Grenzwert für NO2 von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Eine Gruppe von Lungenärzten hatte Streit ausgelöst, weil sie den gesundheitlichen Nutzen der Grenzwerte anzweifelte. Dagegen gab es aber breiten Widerspruch deutscher und internationaler Experten. Um Klarheit zu schaffen, hatte die Bundesregierung die Leopoldina um eine Stellungnahme gebeten.

Grenzwerte dürfen nicht politisch-ideologisch festgesetzt sein.

Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister

Die NO2-Grenzwerte sind Grundlage dafür, dass es in mehreren Städten durch Gerichtsurteile Fahrverbote für Dieselfahrzeuge gibt. Denn in vielen Städten werden die Grenzwerte überschritten. Bisher sind in Hamburg zwei Straßenabschnitte für ältere Diesel gesperrt, in Stuttgart ein großer Teil der Stadt.

Sinnlose Beschränkungen

Die Wissenschaftler teilten nun mit, „lokale Maßnahmen und kurzfristiger Aktionismus“ seien wenig hilfreich, um die Luftqualität nachhaltig zu verbessern. Zu den gesundheitlich wenig sinnvollen Maßnahmen zählten „kleinräumige und kurzfristige Beschränkungen“, die sich gegen einzelne Verursacher der NO2-Belastungen richteten. „Dies gilt unter anderem für Straßensperrungen und isolierte Fahrverbote, die zu einer Verkehrsverlagerung in andere Stadtgebiete führen.“

Martin Lohse, Vize-Präsident der Leopoldina, sagte, es sei „Unfug“, sich auf Stickstoffoxid zu konzentrieren. Eine Verschärfung des Grenzwerts sei aus wissenschaftlicher Sicht „nicht vordringlich“. Die Wissenschaftler weisen zudem darauf hin, dass die NO2-Belastung durch den Verkehr in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesunken sei. Sie lasse sich weiter senken, zum Beispiel durch den Einsatz neuester Fahrzeugmodelle oder die Nachrüstung älterer Busse.

Warnung vor CO2-Anstieg

Weiter heißt es, die Verringerung der Stickstoffdioxidbelastung dürfe nicht dazu führen, dass klimaschädliche CO2-Emissionen steigen. Ein kompletter Austausch der Dieselflotte durch Fahrzeuge gleicher Gewichtsklasse und gleicher Motorleistung mit Benzinmotoren sei aus Klimaschutzgründen nicht empfehlenswert. Dies zielt darauf, dass Diesel bei gleicher Motorenleistung mehr Stickstoffoxid ausstoßen, aber weniger CO2. Vielmehr seien „neue Mobilitätskonzepte vor allem in städtischen Ballungsräumen“ notwendig.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer fordert angesichts der Stellungnahme der Leopoldina eine Debatte über Schadstoff-Grenzwerte. „Wir müssen über die Sinnhaftigkeit von Grenzwerten sprechen“, sagte Scheuer am Dienstag in Berlin. „Das Gutachten ist eine Steilvorlage für eine erneute Diskussion.“ Keine deutsche Stadt liege über dem Feinstaub-Grenzwert. „Grenzwerte dürfen nicht politisch-ideologisch festgesetzt sein. Sie müssen erreichbar sein. Wir müssen Fahrverbote vermeiden, zum Beispiel durch Förderprogramme für gute Luft.“

(dpa/BK)