Gefährlich: Immer mehr Menschen sterben an multiresistenten Bakterien. (Symbolfoto: Imago/IKON-Images)
Antibiotika

Kampf gegen Keime

Interview Laut einer Studie sterben in Europa jährlich 33.000 Menschen an Infektionen mit multiresistenten Keimen. Ein Grund für deren Entstehung ist der übermäßige Einsatz von Antibiotika. Der BAYERNKURIER befragte dazu Gesundheitsministerin Melanie Huml.

Frau Huml, laut neuesten Zahlen internationaler Forscher sterben europaweit jährlich 33.000 Menschen an Infektionen, bei der die Bakterien gegen mehrere wichtige Antibiotika resistent waren. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl der Kreisstädte Deggendorf, Forchheim oder Neuburg/Donau. Seit 2007 steigt die Zahl dieser Todesfälle kontinuierlich. Was wird in Bayern gegen diese erschreckende Entwicklung unternommen?

Bayern hat wichtige Schritte eingeleitet, um die Ausbreitung von multiresistenten Erregern zu bekämpfen und die Entstehung neuer multiresistenter Erreger zu verhindern. So hat das Bayerische Kabinett im Oktober 2017 einen Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenzen beschlossen. Ein wichtiger Teil davon ist der Aufbau einer Bayerischen Antibiotikaresistenzdatenbank am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Denn wenn wir wissen, welche Resistenzen die Bakterien in Bayern aufweisen, können die Ärzte gezielt das richtige Antibiotikum auswählen.

Ziel ist, einen übermäßigen und unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika zu vermeiden.

Melanie Huml (CSU), Bayerns Gesundheitsministerin

Bei der Bekämpfung der Antibiotikaresistenzen setzen wir auch auf eine verstärkte Vernetzung aller Beteiligten. Deshalb ist bereits im Jahr 2012 das Bayerische Aktionsbündnis Antibiotikaresistenz (BAKT) gegründet worden – ein Zusammenschluss von Vertretern aus Human- und Veterinärmedizin, Pharmazie, Agrarwirtschaft, Verbraucherschutzvereinigungen und staatlichen Stellen. Ziel ist, einen übermäßigen und unsachgemäßen Einsatz von Antibiotika zu vermeiden und gleichzeitig leistungsfähige Antibiotika für die Gesundheit von Mensch und Tier zu erhalten.

Drei Viertel der tödlichen Infektionen mit resistenten Keimen entstehen laut der Studie in Krankenhäusern. In Krankenhäusern, Altenheimen und Arztpraxen wurden seit einigen Jahren vielfach Spender mit Desinfektionsmitteln angebracht, Schilder mahnen die Patienten und Besucher zur Handhygiene. Werden die Vorschriften ausreichend eingehalten? Welche weiteren Maßnahmen planen Sie oder setzen Sie bereits um?

Wir brauchen vor allem qualifiziertes Hygienefachpersonal. Das bayerische Gesundheitsministerium unterstützt deshalb unter anderem die Schaffung von zusätzlichen Weiterbildungseinrichtungen für Hygienefachkräfte. Unser Ziel ist es zudem, alle Menschen verstärkt zu informieren, die mit der Behandlung, Pflege und Betreuung unserer Patienten zu tun haben. Deshalb wurde in Bayern 2008 die Landesarbeitsgemeinschaft Multiresistente Erreger (LARE) gegründet – als landesweites Netzwerk zwischen Verbänden, Behörden und Universitäten zur Bekämpfung von Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) und anderen antibiotikaresistenten Erregern.

Unser langfristiges Ziel muss es sein, Forschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln wieder nach Europa zurückzuholen.

Melanie Huml

Durch zahlreiche weitere Maßnahmen nimmt Bayern bei der infektionshygienischen Überwachung von medizinischen Einrichtungen eine Vorreiterrolle in Deutschland ein. Bundesweit einmalig ist beispielsweise die 2011 gegründete Spezialeinheit Infektionshygiene (SEI) mit Sitz am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Mit der Spezialeinheit wurde die krankenhaushygienische Überwachung, die schon seit Langem Aufgabe der Gesundheitsämter vor Ort ist, intensiviert und um eine nicht-anlassbezogene Regelüberwachung erweitert.

39 Prozent der genannten 33.000 Todesfälle sind durch Infektionen mit Keimen entstanden, gegen die auch die neueste Generation von Reserve-Antibiotika nicht mehr half. Reserve-Antibiotika sind diejenigen Präparate, die relativ neu entwickelt wurden und nicht frei verkauft werden dürfen, damit sie im Fall einer Infektion mit multiresistenten Keimen verabreicht werden können – und dann hoffentlich auch anschlagen. Allerdings sind Reserve-Antibiotika wegen dieser bewusst niedrig gehaltenen Absatzzahlen wirtschaftlich nicht erfolgreich, was zur Folge hat, dass die Pharmaindustrie viel weniger an neuen, wirksamen Antibiotika forscht, als das sinnvoll und gesamtgesellschaftlich nützlich wäre. Sollte der Staat die Erforschung neuer Antibiotika finanziell subventionieren?

Als Gesundheitsministerin ist mir die bestmögliche Versorgung der Patienten mit Arzneimitteln ein wichtiges Anliegen. Das Problem kann jedoch nicht auf bayerischer Ebene gelöst werden. Derartige Forschung könnte auf Bundesebene beispielsweise durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefördert werden. Unser langfristiges Ziel muss es sein, Forschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln wieder nach Europa zurückzuholen. Dafür habe ich mich bereits im März dieses Jahres bei einem Treffen mit dem EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, in Brüssel eingesetzt. Ziel ist es, eine nachhaltige Arzneimittelversorgung auf den neuesten Stand der Entwicklung zu sichern.

Antibiotika in der Tierzucht

Ein besonderes Problem scheint auch die Gabe von Antibiotika in der Tierhaltung zu sein. Die Antibiotika gelangen, so die Annahme, in geringen Dosen über das Fleisch in den Menschen und verlieren so ihre Wirkung. Zudem entstehen laut Kritikern schon in den Ställen resistente Keime, die sich häufig auf dem Fleisch verbreiten. Zwar sind Antibiotika-Gaben zur Prophylaxe und zur Wachstumssteigerung verboten, auch sank der Antibiotika-Einsatz in deutschen Ställen von 2011 bis 2017 von über 1600 auf rund 700 Tonnen im Jahr. Doch überrascht die Tatsache, dass prinzipiell immer noch alle 18 Wirkstoff-Obergruppen an Tiere verabreicht werden dürfen. Warum schränkt man nicht die Gabe an Tiere gesetzlich auf einige wenige Wirkstoffgruppen ein und reserviert die übrigen für die Menschen?

Dies erklärte das bayerische Umweltministerium auf Anfrage des BAYERNKURIER:

„Resistenzbildung ist inzwischen eine weltweite Herausforderung für die medizinische Versorgung von Mensch und Tier. Ziel ist, den Einsatz von Antibiotika auf das notwendige Maß zu reduzieren, um das Risiko der Entstehung und Verbreitung von Antibiotikaresistenzen zu begrenzen. Antibiotika müssen daher grundsätzlich sorgfältig und verantwortungsbewusst eingesetzt werden. (…) Bereits heute gibt es eine Reihe von Wirkstoffen, die für die Anwendung am Tier nicht zugelassen sind. Diese Einschränkungen bestehen besonders weitreichend bei Antibiotika zur Anwendung bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen. Da bakterielle Infektionskrankheiten aber auch beim Tier einen schwerwiegenden, teilweise lebensbedrohlichen Verlauf nehmen können und mit Schmerzen und Leiden einhergehen, müssen Verbote einzelner antibiotischer Wirkstoffe oder Wirkstoffgruppen für die Tiermedizin wissenschaftlich begründet sein. Eine Einschränkung bestimmter Wirkstoffgruppen zur Anwendung am Tier würde eine entsprechende gesetzliche Grundlage erfordern. Zuständig für eine solche gesetzliche Regelung wäre das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.“