Im Rampenlicht: Ballett-Einlage beim Staatsakt im Münchner Nationaltheater. (Foto: G.Dolak)
Staatsakt

Bayern feiern

100 Jahre Freistaat, 200 Jahre Verfassungsstaat: Im Münchner Nationaltheater begehen die Fraktionen des frisch konstituierten Landtags und die Regierung des wiedergewählten Ministerpräsidenten gleich zwei grundlegende bayerische Jubiläen.

Draußen geht das Leben weiter. Mit gelb-schwarzen Schals ziehen Fans des AEK Athen vorüber, die zum Champions-League-Spiel gegen den FC Bayern am Abend angereist sind. Russische Touristen lassen sich von ihrem Fremdenführer die Bedeutung der Münchner Oper erklären. Drinnen im Nationaltheater feiern Staatsregierung und Landtag gleich zwei Jubiläen, die den Freistaat erst vorbereitet, später konstituiert haben: 200 Jahre Montgelas’sche Verfassung, 100 Jahre parlamentarische Demokratie in Bayern.

Gegenwart und Geschichte nebeneinander

Zum Staatsakt gekommen sind Würdenträger aller Arten, Geistliche, Polizeipräsidenten, Militärs, Abgeordnete, gewesene und zukünftige Minister. Ganz vorne im Parkett des Opernhauses, in der Mitte von Reihe 1 sitzen vier Repräsentanten, die für Gegenwart und Geschichte des Staates stehen: die neue Landtagspräsidentin Ilse Aigner, Ministerpräsident Markus Söder, sein Vize Hubert Aiwanger – neben dem Chef des Hauses Wittelsbach, Franz von Bayern. Dessen Vorfahr Ludwig III., letzter Monarch des Königsreichs, war vor exakt hundert Jahren klammheimlich in Zivil mit einem eilig herbeigeschafften Mietwagen aus München abgereist. Beim Nachmittagsspaziergang im Englischen Garten hatte ihm ein Passant geraten: „Majestät, genga S‘ hoam. Es is‘ Revolution.“

Nachkomme Franz von Bayern wohnt dem Staatsakt in der Oper schweigend bei. Es sprechen Regierungschef Söder und die Parlamentsvorsitzende Aigner. Dass Sozialisten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Demokratie, die ersten freien Wahlen, das Frauen- und Verhältniswahlrecht mittels eines revolutionären Umsturzes im Land eingeführt haben, lässt Redner Söder nicht gern gelten. „Bayern als Sowjetrepublik – hat nicht lang gedauert“, erklärt er. Natürlich sei 1918 ein „großer Einschnitt“ gewesen. Die Münchner hätten halt „schon immer gern demonstriert, auch damals“.

Die Verfassung von 1818 war identitätsstiftend für ein ganzes Land.

Markus Söder, Ministerpräsident

Aber der Freistaat, den sein erster Vorgänger Kurt Eisner im November vor einem Jahrhundert proklamierte, was bedeute das jetzt, fragt der Ministerpräsident rhetorisch. „Freiheit wovon, Freiheit wozu?“ Die Bayern würden der Obrigkeit eben gelegentlich sehr freimütig Bescheid sagen, antwortet sich Söder. Die Menschen zwischen Berchtesgaden und Aschaffenburg wünschten sich manchmal „Änderungen, aber nicht so ganz grundsätzlich“. Seine eigene Regierung habe das vor einigen Wochen erlebt. In Reihe 1 sitzt neben dem schweigsamen Wittelsbacher ebenso schweigsam der neue Co-Regierungschef Aiwanger und blickt zu Söder auf dem Podium empor.

Das Bayerische Staatsorchester spielt Beethoven, ein Jugendballett tanzt. Hernach erinnert Landtagspräsidentin Aigner an bedeutsame Ereignisse, die sich speziell im deutschen November zutrugen. Revolution 1918, Hitler-Putsch 1923, Pogromnacht 1938, auch der Mauerfall 1989. „Unsere zweite bayerische Demokratie ist wesentlich gefahrenresistenter als die erste“, stellt sie fest. Mit letzterer meint sie Eisners Republik, die in den 20er- und 30er-Jahren von links wie von rechts unter Druck geriet und zu Fall kam. Bei aller Stabilität des heutigen Staates erinnert die Parlamentarierin Aigner: „Das, was uns selbstverständlich erscheint, wird bedroht.“ Irgendwo im Parkett sitzen da auch die rustikalen Herren von der AfD, die jüngst ebenfalls in den Landtag eingezogen sind. Aigner fordert: „Um die Wahrheit zu ringen, ist der große Auftrag an die Demokratie. Gestern, heute und morgen.“ Die Bürger des Landes könnten dabei mit gutem Grund optimistisch sein.

Schwergewicht auf solidem Fundament

Mit Pathos und gutem Willen allein wird sich diese Demokratie nicht verteidigen lassen. Sie habe aber bereits mit der „Revolution von oben“ des Grafen Montgelas vor 200 Jahren ein solides Fundament erhalten, das betonen Söder und Aigner. Bayern mit seiner Verfassungstradition, seinen konservativen, mal katholisch, mal protestantisch eingefärbten Werten – ein solcher Staat steht keineswegs wehrlos in der Landschaft.

Während im Nationaltheater die versammelten Honoratioren zum Staatsempfang im Saal vor der Königsloge schreiten, geht draußen das Leben weiter. In der warmen Novembersonne stöckelt eine elegant gekleidete Grazie zum Shopping in die Maximilianstraße. Vor dem Franziskaner verspeist ein rundlicher Herr seine Leberkassemmel. Einheimische, Touristen, Geschäftsleute, Mütter mit Kindern auf dem Laufrad. Stabiles Münchner Lebensgefühl im Jahr 100 und 200 nach verschiedenen Revolutionen.