Wo ist die Mitte zu verorten? Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. (Bild: Imago/Zuma/Emmanuele Contini)
Hessen-Wahl

Schlechte Verlierer

Kommentar Nach dem Verzicht von Kanzlerin Angela Merkel auf den CDU-Vorsitz fordern einige CDU-Politiker den Rücktritt von CSU-Chef Horst Seehofer. Sie machen ihn und die CSU für die Hessenwahl verantwortlich. Ein untauglicher Ablenkungsversuch.

Die CSU ist also mal wieder schuld, auch am CDU-Debakel in Hessen. Der hessische CDU-Landesgruppenchef im Bundestag, Michael Brand, machte in der Fuldaer Zeitung vor allem CSU-Chef Horst Seehofer für die Verluste der Union in Hessen und Bayern verantwortlich. Das müsse personelle Konsequenzen haben, Ämter seien kein Privatbesitz. „Angela Merkel hat es geschafft, einen selbstbestimmten Abgang als Parteivorsitzende zu gehen, das wünsche ich auch dem Kollegen Horst Seehofer“, meinte auch der Ministerpräsident des zweifellos allergrößten Bundeslandes Saarland, Tobias Hans, in der Welt.

Sieht man einmal davon ab, dass es nicht Sache von CDU-Politikern ist, der CSU Vorschriften inhaltlicher oder personeller Art zu machen, zeugen diese Äußerungen zum einen von fehlendem Anstand und zum anderen von falscher Argumentation.

Fehlender Anstand

Schon Hessens CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier hatte jeden Anstand und jeden Respekt vermissen lassen, als er unbedingt noch während des Wahlsonntages in Bayern in der Welt am Sonntag die Schwesterpartei scharf kritisierte: „Die CSU war leider in den letzten Monaten für das Ansehen der Union insgesamt nicht besonders hilfreich.“ Nun, unter Schwesterparteien muss man durchaus erwarten können, solche Kritik, egal ob berechtigt oder nicht, nicht ausgerechnet am Wahltag zu äußern.

Das ist (Schwester-)parteischädigend und darüber hinaus auch nicht besonders klug gewesen. Denn ein noch besseres CSU-Abschneiden hätte auch Aufwind für die hessischen Wahlkämpfer bedeuten können. Die CSU hat vor der Hessenwahl jedenfalls mit einer Stimme gesprochen und sich trotz Bouffiers Attacke für einen Wahlerfolg der CDU eingesetzt.

Die falschen Argumente

Aber auch inhaltlich liegt die Schuldzuweisung an die CSU falsch, wenn man die stets aufgeführten Punkte Asylpolitik und Unions-Streit betrachtet.

Bouffier, auch CDU-Vizevorsitzender, bezeichnete in der WamS die Debatte um die Zurückweisung abgelehnter Asylbewerber an der Grenze als „überflüssig“. Die „Zurückweisung von nur einer Handvoll Migranten im Monat“ mache unglaubwürdig. Doch Seehofers Migrationsplan drehte sich um 63 Punkte, nur einer davon war die Zurückweisung an der Grenze. Und ursprünglich wollte der CSU-Chef ja auch alle Asylbewerber zurückweisen, die schon in der EU registriert wurden und nicht nur die, die bereits abgelehnt wurden – und das wären weit mehr gewesen als nur „eine Handvoll“. Überflüssig war die Debatte sicher auch nicht, denn das Thema Zuwanderung gehört in allen Umfragen trotz sinkender Ankunftszahlen immer noch zu den wichtigsten Problemen der Bürger. Es gibt auch immer noch zu viele Probleme damit, von der Abschiebung über die Integration bis hin zur überproportionalen Gewaltkriminalität bei Migranten – mit schrecklichen Vorfällen wie jüngst der Gruppenvergewaltigung in Freiburg. Ob man dem Thema zu viel und zu lange Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist jedenfalls fraglich.

Wenn zudem Bouffiers Argumentation stimmen würde, dass die CSU mit ihrer Flüchtlingspolitik Wähler an beide Ränder vergrault habe, dann müsste umgekehrt doch Bouffiers eiserne Gefolgschaft zum Flüchtlingskurs der Kanzlerin diesbezüglich belohnt werden. Doch die Hessen-CDU hat 11,3 Prozent oder rund 300.000 Stimmen verloren, davon 99.000 an die Grünen und 96.000 an die AfD, je ein Drittel. Die CSU hat auch weniger Prozente (-10,5) verloren als die Hessen-CDU und trotz der Verluste ein klar besseres Ergebnis, 37,2 zu 27,0 Prozent. „Die Menschen hier sind zufrieden mit der Arbeit der Regierung – das war in Bayern nicht der Fall“, behauptete Bouffier dennoch in der TV-Debatte nach der Wahl. Auch das passt nicht zusammen.

Und wenn die Argumentation stimmen würde, dass der zweifellos nicht hilfreiche Unions-interne Streit die Verluste verursachte, wieso wurde dann die fast geräuschlos arbeitende schwarz-grüne Koalition in Hessen nicht belohnt? Wieso fiel auch die SPD? Wieso wurde die nach Ansicht der genannten CDU-Funktionäre am Streit offenbar allein schuldige CSU nicht deutlicher abgestraft als die CDU? Ein altes Sprichwort sagt übrigens: Zu einem Streit gehören immer zwei.

Berliner Einfluss

Die Wahrheit ist: Diese Landtagswahl war wie schon in Bayern für viele eine Abrechnung mit der Bundesregierung. Auch Bouffier wusste das und betonte im Wahlkampf immer wieder, es gehe um Hessen, nicht um Berlin. Zugleich aber trat er immer wieder mit Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer auf. Das diente vermutlich nicht der eigenen Glaubwürdigkeit. „Wegen Merkel haben wir so verloren“, habe ein hessischer CDU-Funktionär am Wahlabend gesagt, berichtete die FAZ. Auch Bouffier scheint nach der Wahl nun dieser Ansicht zu sein, warum sonst hätte er das Ergebnis „ei­nen Weckruf für unsere Partei und auch für un­sere Parteivorsitzende“ nennen sollen?

Die Ursachen für die Abrechnung sind vielschichtig und sollten gründlich analysiert werden. Da ist zum einen die enorme Migration seit 2015. „So krampfhaft Parteien und manche Medien auch versuchen, die Asylkrise wegzumoderieren: Sie bleibt die wichtigste Drehscheibe für Wählerbewegungen weg von den alten Volksparteien, hin zu AfD und Grünen“, schrieb der Münchner Merkur in einem Kommentar. Dazu kommen die Abnutzungserscheinungen langer Regierungsjahre unter Angela Merkel und auch der Großen Koalition. Und: Die beiden Volksparteien Union und SPD, die stets für zwei verschiedene Seiten von Politik standen, unterschieden sich durch ihre Zusammenarbeit für viele Wähler kaum noch. Diesel- und Maaßen-Debatte lieferten außerdem kein gutes Bild der Politik der Bundesregierung. Versäumte Aufgaben wie Wohnungsbau, ungelöste Energiewende und anderes kamen hinzu.

Die Schuld nun allein der CSU und Horst Seehofer in die Schuhe zu schieben, ist deshalb ein untauglicher Versuch, von den wahren Problemen abzulenken.