Zum Glück zwei Ausnahmen beim Arbeitsverständnis (v.l.): Gregor Gysi, Die Linke, und Sigmar Gabriel, SPD, im Bundestag. (Bild: Imago/Raphael Hünerfauth/photothek)
Bundestag

Wo ist Gysi?

Kommentar Bundestagsabgeordnete der Linkspartei und der AfD fehlen bei den wichtigen namentlichen Abstimmungen im Parlament besonders oft. Einzeln betrachtet, sind die Abwesenheitskönige Gregor Gysi (Linke) und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD).

Es war eine der höchsten Auszeichnungen in der DDR und sozialistische Propaganda pur: Als „Held der Arbeit“ wurde geehrt, wer sich durch außergewöhnliche Taten um den „Aufbau des Sozialismus“ verdient gemacht hatte, dazu gab es bis zu 10.000 DDR-Mark. Jedes Jahr gab es 50 dieser „Helden“, insgesamt etwa 3700. Ausgerechnet Gregor Gysi, der ewige Frontmann der SED-Nachfolger „Linkspartei“, angeblich Partei der Arbeiter, hat sich nun nach Recherchen des ARD-Magazins „Kontraste“ eher um den Titel „Held der Abwesenheit“ beworben.

Gysi, der sozialistische „Held der Arbeit“

Das Magazin untersuchte, wer im Bundestag bei den 40 namentlichen Abstimmungen dieser Legislaturperiode besonders oft fehlte. Und siehe da, durch besonders hohe Abwesenheit fiel der Linken-Politiker Gregor Gysi auf: Er habe an 36 von 40 Abstimmungen nicht teilgenommen, so Kontraste. 90 Prozent Fehlquote, das fand selbst Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch „ein bisschen viel“. Abgeordnete müssen natürlich nicht bei jeder Abstimmung im Bundestag dabei sein, schließlich sollen sie sie auch um ihre Wahlkreise und individuellen Tätigkeitsfelder kümmern. Aber diese namentlichen Abstimmungen sind besonders wichtig, in der Regel wird hier über besonders bedeutende Entscheidungen wie Haushalt oder Bundeswehreinsätze im Ausland entschieden. Der Ex-Fraktionschef der Linkspartei war also so gut wie nicht anwesend, wenn es um wichtige Entscheidungen für unser Land ging!

So blieb Gysi am 28. Juni sogar der Abstimmung eines Antrags seiner eigenen Fraktion über Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger fern. Ganz Abgeordneter des Volkes, hielt er laut ARD an diesem Tag einen bezahlten Vortrag an einer privaten Hochschule in Vechta, bei dem er mindestens 3500 Euro verdiente. Gysi schrieb auf ARD-Anfrage gewohnt (nach)lässig: „Wer meint, die Arbeit eines Abgeordneten einzig und allein anhand der An- oder Abwesenheit an Sitzungstagen des Bundestages beurteilen zu können, hat von dem vielfältigen Charakter und Inhalt dieser Arbeit nichts verstanden.“ Kritiker seiner Abwesenheit sind also dämlich, will er uns damit offenbar sagen. Nun, ich riskiere diesen Vorwurf und behaupte, bezahlte Vorträge gehören nicht unbedingt zu den klassischen Aufgaben eines Abgeordneten, Abstimmungen im Bundestag dagegen schon. Vorträge sollte er dann doch lieber auf Zeiten legen, in denen nicht die besonders wichtigen Entscheidungen im Bundestag zur Abstimmung stehen.

Ein Abgeordneter orientiert sich neu

Hinter Gysi glänzt ein ebenfalls nicht ganz unbekannter Abgeordneter aus der anderen Arbeiterpartei, der SPD, mit Abwesenheit: Deren Ex-Vorsitzender Sigmar Gabriel, ehemaliger Außenminister, der an 28 von 40 Abstimmungen fehlte. Der ehemalige Parteichef befindet sich momentan trotz laufender Sitzungswoche an der Universität Harvard, wo er ab November 2018 einen Lehrauftrag wahrnimmt. Einen Lehrauftrag im Ausland? Er ist doch als deutscher Abgeordneter bis 2021 gewählt?

Auch Gabriels Ausrede mutet seltsam an: Seinem unfreiwilligen Ausscheiden als Außenminister sei „eine Phase der Neuorientierung“ gefolgt, die zu „Terminkollisionen“ geführt habe. Mit Ablauf des Aufenthalts in Harvard werde er dafür Sorge tragen, dass sich seine Präsenz im Parlament erhöhe, versicherte Gabriel. Aha! Wenn ein normaler Arbeitnehmer 28 von 40 wichtigen Terminen seines Arbeitgebers nicht wahrnehmen würde, etwa weil er wegen privater Probleme „eine Phase der Neuorientierung“ braucht, würde ihm der Arbeitgeber mit ziemlicher Sicherheit nach dem zweiten Versäumnis eine Abmahnung auf den Tisch legen, beim dritten oder vierten Mal die Kündigung.

Außen vor: Linke und AfD fehlen besonders oft

Interessant auch ein Blick auf die Parteien: Insgesamt fehlten insbesondere die Abgeordneten der Linken und der AfD besonders häufig, so die ARD-Analyse. Linke fehlten demnach mit 13,84 Prozent am häufigsten, gefolgt von der AfD mit 9,24 Prozent. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch gibt sich demütig: „Offensichtlich fehlte dort Disziplin. Aber ich lege Wert darauf, dass ich ‚fehlte‘ sage, denn das ändern wir.“ Und auch die AfD hatte doch in der Vergangenheit immer betont, wie wichtig eine hohe Präsenz der Abgeordneten im Plenum sei. Auf ARD-Anfrage beschwört die AfD aber nur wieder ihre Theorie der „Lügenpresse“, obwohl hier schriftlich überprüfbare Fakten vorliegen: „Die ARD-Statistik können wir auf die Schnelle nicht überprüfen.“ Doch: Der Bundestag gibt Auskunft, muss nur jemand da sein und fragen.

Vorbildlich verhält sich dagegen die CDU/CSU-Fraktion mit nur 6,07 Prozent Abwesenheit, einem durch Krankheiten und andere echte Abwesenheitsgründe normalen Wert. Das bedeutet, ihre Abgeordneten haben im Schnitt nur an 2,4 von 40 namentlichen Abstimmungen nicht teilgenommen. Und um nicht immer auf Politiker einzudreschen: Auch die anderen Fraktionen liegen im Normalbereich, die FDP mit 6,44 Prozent, die Grünen mit 6,57 Prozent und die SPD mit 7,43 Prozent. Gut arbeitende Abgeordnete sind also zum Glück die Normalität.