Das Flüchtlingscamp Debaga im Nord-Irak ist Zuflucht für 24.000 Menschen. (Bild: Bayerische Staatskanzlei)
Bilanz

Hilfe gegen Fluchtursachen

Die bayerische Staatsregierung setzt zur Lösung der Flüchtlingskrise auch auf die Fluchtursachenbekämpfung. Das 2016 beschlossene Sonderprogramm „Perspektiven für Flüchtlinge in ihren Heimatländern“ ist jetzt auf der Zielgeraden. Eine Bilanz.

Das von Staatsministerin Beate Merk verantwortete und Ende Juli 2016 beschlossene bayerische Sonderprogramm „Perspektiven für Flüchtlinge in ihren Heimatländern“ ist auf der Zielgeraden: Die Gesamtsumme von 20 Millionen Euro ist fast verplant und ein Großteil der Projekte bereits in der Umsetzung – auch Erfolge sind schon sichtbar.

Die Ziele

Das gilt besonders für die von Bayern gesetzten Prioritäten in der Gesundheits- und Wasserversorgung, schulische und berufliche Bildung, Knowhow-Vermittlung für Existenzgründer und Unternehmer sowie die Förderung von Frauen. Vier Schwerpunktregionen hat sich der Freistaat dabei ausgesucht: Nordirak, Libanon sowie Senegal und Tunesien.

In den Jahren 2017 und 2018 wurden und werden in diesen Regionen gezielt Hilfsprojekte gefördert, die Menschen eine bessere Lebensperspektive in ihrer Heimat ermöglichen. Daneben unterstützt Bayern seit 2016 aber auch Projekte in anderen Ländern wie in Mali, Togo, Marokko oder Tansania sowie in Ost- und Südosteuropa.

Motive für die Flucht

Zwei Zahlen vorab: Weltweit haben 748 Millionen Menschen kein sauberes Trinkwasser, 58 Millionen Kinder im Grundschulalter besuchen keine Schule. Das allein zeigt Motive für eine Flucht, viele weitere wie Krieg, Umweltprobleme, Hunger oder schlicht Armut kommen hinzu. „Bei meinen Gesprächen mit den Menschen in den Flüchtlingslagern habe ich immer wieder gehört: Wenn wir für uns und unsere Kinder eine Perspektive sehen, wenn wir wissen, dass unsere Kinder keinen Hunger leiden müssen und eine Schulausbildung bekommen, dann wollen wir gar nicht zu euch nach Europa. Wir wollen in unserem Kulturkreis bleiben, in unserer Heimat!“, berichtet Merk.

Es gehe bei moderner Entwicklungszusammenarbeit nicht um Almosen oder eine freundliche Geste. „Es geht vielmehr darum, anderen das Wissen zu vermitteln, wie man zu Wohlstand gelangt, und Plattformen zu schaffen, auf denen sie dies aus eigener Kraft tun können.“

Größtmögliche Wirkung

Die vier Regionen sind danach ausgewählt worden, wo man nachhaltig die größtmögliche Wirkung erzielen konnte und zugleich eigene Kompetenzen hat, etwa in Sachen Bildung oder Verwaltung. Es wird dazu auf vorhandenen Strukturen und etablierten Organisationen mit Bayernbezug aufgebaut, darunter das Technische Hilfswerk, die Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft, die Hanns-Seidel-Stiftung oder Vereine wie die Orienthelfer des Kabarettisten Christian Springer. „Diese Hilfe zur Selbsthilfe ist für mich der Schlüssel für erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit“, so Merk.

Diese Hilfe zur Selbsthilfe ist für mich der Schlüssel für erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit.

Beate Merk

20 Millionen Euro: „Im Vergleich zu dem, was der Bund für Entwicklungszusammenarbeit ausgibt – 8 Milliarden Euro alleine das BMZ –, klingt das sicher wenig“, so Merk. „Im Vergleich zu den anderen Bundesländern sieht es schon anders aus: Bayern engagiert sich deutlich stärker als alle anderen Länder in Deutschland.“

„Letztlich haben wir in jedem Land einen anderen Schwerpunkt gesetzt – je nachdem, was dort am dringendsten benötigt wird“, erklärt die Ministerin, die jede Zielregion mindestens einmal besuchte. Allerdings: „Bildung ist der Schlüssel, um den Menschen Perspektiven vor Ort zu geben.“ Die duale Berufsausbildung sei der Exportschlager.

Tunesien

Ein großes Problem in Tunesien heißt Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugend (Altersschnitt Tunesien 31,1 Jahre, Deutschland 45,9): 37,6 Prozent zwischen 15 und 24 Jahren waren 2012 arbeitslos, wegen unsicherer Statistiken vermutlich deutlich mehr. Das Ursprungsland des „Arabischen Frühlings“ ist zugleich das einzige, in dem diese Revolution nicht in Chaos oder Diktatur endete. Doch der Weg zur Demokratie ist mühsam, zumal ein nicht geringer Teil der Tunesier den Islamisten nahe steht.

Die Stabilität der Mittelmeeranrainerstaaten, gerade Tunesiens, hat großen Einfluss auf die Fluchtbewegungen nach Europa.

Beate Merk

„Die Stabilität der Mittelmeeranrainerstaaten, gerade Tunesiens, hat großen Einfluss auf die Fluchtbewegungen nach Europa. Aus diesem Grund fördern wir dort gezielt Projekte, die demokratische Institutionen und die Zivilgesellschaft stärken“, erklärt Merk. Dafür hat der Freistaat unter anderem in der ländlichen Region westlich von Tunis ein Bürgerbüro finanziert, das kommunale Dienstleistungen anbietet. Zudem wird vom Freistaat die berufliche Bildung gefördert, die Rolle der Frau gestärkt, eine Schule für energieeffizientes Planen und Bauen sowie Projekte der Wasser- und Abwasserwirtschaft unterstützt. Auch die Wirtschaft hilft: Der größte private Arbeitgeber in Tunesien ist der Autozulieferer Leoni aus Nürnberg mit über 14.000 Mitarbeitern. Die Unternehmen Dräxlmaier und Audi sind ebenso vor Ort.

Senegal

56 Prozent der Senegalesen leben auf dem Land, 43 Prozent waren 2016 jünger als 15 Jahre und 45 Prozent verfügen über keine Berufsausbildung. Auch hier werden berufliche Bildung, insbesondere Agrarberufe, sowie Start-ups gefördert. In dem sonnenreichen Land wird mit einem Ausbildungslehrgang Solartechniker auf erneuerbare Energien gesetzt, um Strom für Wirtschaft und Kommunikation zu erzeugen. Ein bayerischer Mittelständler hat sich um den Auftrag beworben, 300 ländliche Dörfer zu elektrifizieren.

Nordirak

Im Nordirak war es am dringlichsten, Binnenvertriebene sowie Flüchtlinge aus Syrien mit grundlegenden Dingen zu versorgen. Zudem musste das Risiko einer „verlorenen Generation“ verringert werden. Daher wurde und wird hier humanitäre Infrastruktur wie Straßen, Trink- und Abwasserversorgung und Schulen – aber auch Bibliotheken für die Schüler – gebaut und Existenzgründer gefördert. Im Abfallmanagement sowie in Erneuerbaren Energien gab es Fachseminare, ein Werkzeugverleih wurde eingerichtet.

Libanon

Im Libanon ging es wie im Nordirak darum, den jungen syrischen Flüchtlingen Werkzeuge an die Hand zu geben, die ihnen zunächst beim Lageraufbau und später beim Aufbau ihres Landes helfen können. Auch soll es die Perspektivlosigkeit einer traumatisierten Generation wenigstens begrenzen. Dazu werden eine Handwerker- sowie zwei Berufsschulen unterstützt. Auch die regionale Wasserversorgung des von den vielen Flüchtlingen überforderten Libanon wurde gestärkt.