Martin Schulz, der schwächste SPD-Chef seit Rudolf Scharping. (Foto: Imago/Seeliger)
SPD

Kommt endlich in die Gänge!

Kommentar Deutschland braucht eine handlungsfähige Regierung, aber keinen sozialistischen Umbau. Die SPD muss endlich ihre selbstzerstörerische Nabelschau beenden und ernsthaft über eine Koalition verhandeln - auf Basis der Sondierungsergebnisse.

Erinnern Sie sich noch an 2010/2011? Als Belgien sich zum Gespött der EU machte, weil die Politiker des kleinen Landes 541 Tage lang keine Regierung zustandebrachten? Nun, die Belgier sind ethnisch-kulturell zerrissen zwischen Flamen und Wallonen, auch die ideologischen Grabenkämpfe zwischen den Lagern sind heftiger als in anderen Ländern. Eine Regierungsbildung muss daher immer quasi einen mehrdimensionalen Spagat des Ausgleichs zwischen diesen Faktoren hinkriegen.

All diese ethnischen Probleme hat Deutschland nicht – denn auch Bayern hegt keine Sezessionsgedanken. Auch nähern sich die verschiedenen demokratischen Parteien seit Jahren immer mehr an, von Grabenkämpfen und persönlichen Anfeindungen wie in Belgien keine Spur. Dennoch harren wir 121 Tage nach der Bundestagswahl immer noch einer neuen Regierung. Warum?

Schulz, der schwächste SPD-Chef seit Scharping

Das deutsche Problem sind nicht verfeindete Völker, sondern es heißt SPD. Seit Wochen vollführt sie eine einzigartige, selbstzerstörerische Nabelschau, ob sie nun – frei nach Karl Valentin – nicht regieren müssen will oder sich nicht können traut. Martin Schulz, der schwächste SPD-Chef seit Rudolf Scharping, hängt in den Seilen und ist wegen mehrfacher Kurswechsel unglaubwürdig. Der müde Applaus auf dem Sonderparteitag zeigte, dass Schulz nicht in der Lage ist, seine schlappe Truppe mitzureißen. Das Publikum verfolgt das Schauspiel, das die SPD aufführt, mit einer Mischung aus Langeweile und Ärger.

Nach der allerneuesten Forsa-Umfrage wollen nur noch 17 Prozent die zerstrittenen und mutlosen Genossen wählen. Das ist die Quittung für die Unentschlossenheit und die Unfähigkeit einer ehemaligen Volkspartei, kraftvoll und selbstbewusst Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Denn, wie Andrea Nahles auf dem Sonderparteitag ausführte: Nur in der Regierung kann die SPD etwas bewegen, womit sie dann wieder vor die Wähler treten kann. Wenn sie sich stur verweigert, verliert sie ihre Lebensberechtigung und die letzten Wähler (Nahles: „Die zeigen uns doch den Vogel“). Welcher klar denkende Bürger soll denn eine depressive Neinsagertruppe wählen?

Die Sondierungsergebnisse stehen fest

Immer neue Nachforderungen und Mahnungen, die – wesentlich größere – Union müsse nun endlich auf SPD-Kurs einschwenken, sind dabei fehl am Platz. Die Punkte, die im Sondierungspapier ausführlich behandelt wurden, sind ja nicht zufällig, sondern ganz bewusst so genau umrissen worden. Die Union hat der SPD bereits das Äußerste an Zugeständnissen eingeräumt, alles weitere wäre verantwortungslos für Deutschland.

Beispiel 1: Familiennachzug für diejenigen, die erwiesenermaßen kein Anrecht auf Asyl haben und daher baldmöglichst Deutschland verlassen sollen und müssen, ist nun einmal kontraproduktiv. Übrigens ist auch das Gros der SPD-Zielgruppe dieser Meinung. Die „einfachen Leute“ einschließlich der seit Jahrzehnten hier ansässigen Gastarbeiter und ihrer Nachkommen sind keineswegs solche Multikulti- und Einwanderungsfanatiker wie Jusos und andere SPD-Linksideologen. Sie spüren jetzt schon auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt die Konkurrenz der neuen Zuwanderer aus dem Orient.

Kein sozialistischer Umbau

Beispiel 2: Deutschland hat eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme der Welt. Ärztepräsident Montgomery verdeutlicht dies so: Gerade wegen der Konkurrenz zwischen privaten und gesetzlichen Kassen werden in Deutschland fortschrittliche neue Behandlungsmethoden so rasch wie in keinem anderen Land der gesamten Bevölkerung zugänglich gemacht. Warum sollte man dieses gute System zerstören? Nur weil die SPD-Linke eine Siegestrophäe braucht und daher die Privatkassen abschaffen will?

Deutschland braucht rasch eine handlungsfähige Bundesregierung. Die SPD muss ihre aus Schwäche und Verunsicherung geborene Verzögerungstaktik aufgeben, die Spielchen mit immer neuen internen Runden, Konferenzen, Parteitagen, Mitgliederentscheiden oder Klausurtagungen, und an den Koalitionsverhandlungstisch kommen. Aber der SPD muss auch klar sein: Deutschland braucht – und will ausweislich des Wahlergebnisses – keinen weiteren linksideologischen Umbau hin zu einem gleichgeschalteten sozialistischen „Arbeiterparadies“. Es braucht eine Regierung, die dem Einzelnen so viel Freiheit wie möglich lässt und so viel soziale Absicherung wie nötig sichert.