Hat keine Zukunft an der Grünen-Spitze: Parteichef Cem Özdemir tritt nicht mehr an. (Foto: Imago/Sven Simon)
Führungswechsel

Kopflose Grüne

Kommentar Die Grünen verlieren ihren bekanntesten und beliebtesten Kopf: Cem Özdemir tritt beim Parteitag Ende Januar nicht mehr als Parteichef an, auch Simone Peter zieht sich zurück. Die Nachfolger ändern nichts daran, dass die Partei links stehen bleibt.

So schnell kann es gehen: Noch vor zwei Monaten als Außenminister einer Jamaika-Koalition gehandelt, droht Cem Özdemir bald ein Dasein als Hinterbänkler – und das trotz eines unerwartet guten Wahlergebnisses von 8,9 Prozent bei der Bundestagswahl, für das er als Co-Spitzenkandidat zentral verantwortlich war. Laut mehrerer Umfragen ist der „anatolische Schwabe“ Özdemir der beliebteste und bekannteste Grüne. Er hatte es mit seinem pragmatischen und sympathischen Auftreten geschafft, die Grünen vom Muff der moraltriefenden Verbotspartei zu befreien, den vor allem die linken Fundis um Claudia Roth und Jürgen Trittin verursacht hatten.

Eigentlich hätte Özdemir statt des Parteivorsitzes gerne den Vorsitz der Bundestagsfraktion übernommen. Doch es zeichnete sich ab, dass er eine Kampfabstimmung gegen den amtierenden Fraktionschef Anton Hofreiter verlieren würde. Das gab er in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) ohne Beschönigung zu: „Ich habe erkennbar keine Mehrheit. Das muss ich akzeptieren.“ Im ARD-Morgenmagazin fügte er noch etwas spitz an: „Ich nehme es zur Kenntnis, wenn die Fraktion nach anderen Kriterien entscheidet wie vielleicht der Rest der Mitglieder oder der Rest unserer Wähler oder die Gesamtgesellschaft.“ Auch Özdemirs Vorsitzendenkollegin, die Parteilinke Simone Peter, die sich Anfang 2017 mit ihrer Polizeikritik beim Einsatz gegen erneute massenhafte sexuelle Übergriffe durch die „Nafris“ in Köln sogar in der eigenen Partei blamierte, zieht sich zurück.

Hofreiter und Göring-Eckardt bleiben an Fraktionsspitze

An der Fraktionsspitze gelten die beiden bisherigen Vorsitzenden als gesetzt: Anton Hofreiter als linker Fundi aus dem Westen und Katrin Göring-Eckardt als Realo-Politikerin aus dem Osten. Denn wenn den Grünen irgendetwas heilig ist, dann die doppelte Quote – oder wie Özdemir es abschätzig formulierte, die „doppelte Doppelquote“: In jedem doppelt besetzten Führungsamt muss mindestens eine Frau und ein Ostdeutscher vertreten sein. Jahrzehntelang mussten auch beide Parteiflügel abgedeckt sein – also eine dritte Quote, die vorübergehend solche „Politiker“ wie die Realo-Ostfrau Gunda Röstel aus Flöha in Sachsen an die Parteispitze spülte. Doch diese einstmals eherne Regel wurde bereits durchbrochen, als die beiden Realos Özdemir und Göring-Eckardt per Urwahl als Spitzenkandidaten in den Bundestagswahlkampf 2017 geschickt wurden.

Der aussichtsreichste Kandidat an der Parteispitze dürfte nun der 48 Jahre alte schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck sein, der bereits bei der Wahlkampf-Urwahl nur knapp hinter Özdemir landete und bei den Jamaika-Sondierungen eine wichtige Rolle spielte. Zudem holte er bei der Landtagswahl an der Küste mit 11,5 Prozent ein kaum für möglich gehaltenes Rekordergebnis und regiert seitdem in einem Jamaika-Bündnis unter CDU-Ministerpräsident Daniel Günther, wobei Habecks offensichtliche Freundschaft mit FDP-Landeschef Wolfgang Kubicki den Weg nach Jamaika entscheidend erleichterte. Schon adelt ihn die Zeit als „stärkste Führungsfigur seit Joschka Fischer“.

Habeck mit den besten Aussichten

Doch auch für Habeck, der beim Bundesdelegiertentreffen Ende Januar der einzige männliche Kandidat um den Parteivorsitz sein wird, werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Im schwierigen Berliner Mikroklima sind schon ganz andere politische Hoffnungsträger gestrauchelt. Zudem scheint Habeck, obgleich er ebenfalls als Realo gilt, stärker an den grünen Lieblingsideologien – etwa Klima und Gender – festzuhalten als Özdemir, der auch wegen seiner pragmatischen Wirtschaftsfreundlichkeit wie eine jüngere Ausgabe von Winfried Kretschmann wirkte. Der Schleswig-Holsteiner selbst bezeichnet sich übrigens nicht als Realo, sondern sieht sich quer zu den Strömungen.

Neben Habeck kandidieren zwei Frauen: Die 52 Jahre alte Anja Piel, eine Parteilinke aus Niedersachsen, und die 37 Jahre alte Annalena Baerbock, Bundestags-Umweltexpertin aus Brandenburg, die allerdings ebenfalls ihre Zugehörigkeit zum Realo-Flügel bestreitet und für eine einheitliche Gesamtpartei antreten will. Allerdings kann sich auch Habeck seiner Wahl nicht hundertprozentig sicher sein, denn die Grünen-Satzung lässt theoretisch auch eine Spitze mit zwei Frauen zu – im Gegensatz zu zwei Männern.

Grüne bleiben links

Dass Habeck und Baerbock leugnen, Realos zu sein, könnte darauf hindeuten, dass trotz der doppelten Realo-Spitzenkandidatur 2017 die linken Fundis immer noch die oder zumindest eine entscheidende Größe auf den Parteitagen sind: Zwar bequemen sie sich mittlerweile dazu, auch exponierte und erfolgreiche Pragmatiker wie Kretschmann nicht mehr wie früher auszubuhen, sondern sie mit höflichem Beifall zu bedenken. Auch besteht bei ihnen jetzt eine grundsätzliche Bereitschaft, im Bund wieder mitzuregieren. Aber bei allen wichtigen Abstimmungen und Inhalten, in denen die Richtung der Partei festgelegt wird, galt auch in jüngster Zeit: Das Herz der Grünen schlägt nach wie vor links. Einige Beispiele: Das Verbot für Verbrennungsmotoren, Gender-Wahnsinn, Steuererhöhungen oder die offenen Grenzen für Asylbewerber. Von daher dürfte das bürgerlich-pragmatische Image der Grünen von 2017, für das vor allem Özdemir stand, nur ein Trugbild gewesen sein.