Ein Traktor spritzt Glyphosat zur Unkrautvernichtung, hier in Rheinland-Pfalz. /Bild: Imago/blickwinkel/H.-J. Zimmermann)
Herbizid

Der Streit um Glyphosat

Der Ärger um eine EU-Abstimmung hebt eine Chemikalie in den Fokus: Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr – und kein Unkraut. Das Herbizid könnte aber krebserregend sein. Worum handelt es sich bei dem seit den 70ern verwendeten Mittel?

Glyphosat ist ein sogenanntes Total-Herbizid, es wirkt auf alle grünen Pflanzen. Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen, das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt. Ackerflächen können damit vor oder kurz nach der Aussaat und nach der Ernte unkrautfrei gemacht werden.

Glyphosat wird in großen Mengen in der Landwirtschaft eingesetzt, weltweit auf rund 400 Millionen Hektar. Zum Vergleich: Agrarflächen umfassen in Deutschland 16,7 Millionen Hektar. Der vom US-Konzern Monsanto entwickelte Wirkstoff wurde 1974 erstmals zugelassen. Im Jahr 2000 lief das Patent aus, seither werden Glyphosat-haltige Produkte auch von anderen Herstellern angeboten. Verkauft werden jährlich rund 850.000 Tonnen solcher Mittel. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland rund 5400 Tonnen in Gärten und auf rund 40 Prozent der Ackerflächen verspritzt, 2016 waren es nur noch 3780 Tonnen. Die Deutsche Bahn befreit damit ihre Gleise von Unkraut.

Gesundheitsgefahr ist umstritten

Es gibt neben zahlreichen Studien zwei aktuelle gegensätzliche Bewertungen durch anerkannte Fachstellen. Die Internationale Krebsforschungsagentur IARC hat im Juli 2015 geurteilt, Glyphosat sei „vermutlich krebserregend beim Menschen“, die zweithöchste Risikokategorie. Zu diesem Schluss kam die Behörde der Weltgesundheitsagentur (WHO) nach Auswertung zahlreicher Studien. Bei Tierversuchen gebe es ausreichende Belege für einen solchen Effekt, beim Menschen begrenzte Nachweise. Die Chemikalie wird aber auch mit anderen Krankheiten wie Allergien, Unfruchtbarkeit, Missbildungen bei Neugeborenen, Schäden des Nervensystems und Nierenerkrankungen in Zusammenhang gebracht. Problem: Die IARC bewertet Produkte nur nach ihrem grundsätzlichen Gefahrenpotenzial und nicht, ab welcher Menge und unter welchen Umständen dieses Risiko relevant wird. Die Industrie weist darauf hin, dass von der Agentur sogar Stoffe wie Alkohol in die höchste Risikokategorie eingestuft würden. „Nur die Dosis macht das Gift“, urteilte aber schon Paracelsus im 15. Jahrhundert.

So erklärt sich das abweichende Urteil der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) im November 2015 und die Einschätzung des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), das zugleich Berichterstatterin der Efsa ist. Das BfR war zusammen mit dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und weiteren Behörden zu dem Schluss gekommen, bei richtiger Anwendung sei kein Krebsrisiko für den Menschen zu erwarten, ebenso wenig andere Gesundheitsschädigungen – basierend auf 343 untersuchten Studien.

Auch ein anderes WHO-Gremium, nämlich der Gemeinsame Pestizidausschuss JMPR, beschloss 2016, dass die über die Nahrung aufgenommenen Rückstände von Glyphosat beim Menschen wahrscheinlich nicht genotoxisch und nicht kanzerogen seien. Der JMPR stellte klar: Das IARC identifiziere und klassifiziere Gefahren, während der JMPR die Risiken von Pestizidrückständen bewerte.

Zudem kamen japanische, kanadische, australische, schweizerische und amerikanische Umweltschutz- oder Lebensmittelsicherheitsbehörden zur gleichen Bewertung.

Kritik und Gegenkritik

Die deutsche Auswertung wurde kritisiert, weil sie angeblich sogar Leserbriefe in Fachzeitschriften von wissenschaftlichen Mitarbeitern des Monsanto-Konzerns als Studien wertete. Auch seien 90 Prozent aller Studien dazu von Monsanto finanziert worden. Zugleich habe das Institut Studien, die Hinweise auf eine krebserregende Wirkung haben, nicht in die Auswertung aufgenommen (das BfR sagt, es habe nur Studien abgelehnt, die zu hohe Dosierungen testeten). Umweltschützer bemängelten, dass sich in dem BfR-Gremium, das sich mit der Bewertung von Pestiziden befasst, auch Vertreter deutscher Chemiekonzerne befanden. Viele Behördenmitarbeiter kämen zudem aus der Industrie oder wechselten dorthin – oder arbeiteten an von der Industrie finanzierten Forschungsprojekten mit. Übersehen wird dabei allerdings, dass das BfR etwa bei Antibiotikaresistenzen, Aluminium im Deo, Mineralölrückständen in Adventskalendern, Giften in Kinderspielzeug oder Pyrrolizidinalkaloiden in Honig oder Tees harte Urteile gefällt hat, die der Industrie keineswegs gefallen haben dürften. „Wir können doch nicht einen Stoff für gesundheitlich problematisch erklären, der in Wirklichkeit unbedenklich ist, nur weil das bestimmten politischen Kreisen in den Kram passt“, sagte jetzt der BfR-Präsident Professor Andreas Hensel, Veterinärmediziner, Mikrobiologe und Hygieniker, im Interview mit dem Tagesspiegel. „Wir machen im Jahr rund 3000 Risikobewertungen und nur bei zweien gibt es Ärger: bei Glyphosat und der Gentechnik.“

Wir können doch nicht einen Stoff für gesundheitlich problematisch erklären, der in Wirklichkeit unbedenklich ist, nur weil das bestimmten politischen Kreisen in den Kram passt.

Andreas Hensel, BfR-Präsident

Auch die Kritiker gerieten in die Kritik: So sollten angeblich Muttermilch sowie beliebte deutsche Biere mit Glyphosat belastet sein, so die plakativen Pressemitteilungen. Allerdings hätte man bis zum (strittigen) Grenzwert jeweils mehrere tausend Liter pro Tag davon trinken müssen.

Auch die Argumente der Befürworter sind zahlreich: In den Augen vieler Chemiker und Toxikologen baut sich Glyphosat zügiger ab als andere Mittel, schade der Fauna nicht und lasse sich aufgrund seiner Konsistenz zielgerecht ausbringen. Andere Pflanzenschutzmittel seien viel weniger erforscht – und die mechanische Unkrautentfernung würde mehr Zeit und Geld kosten. Glyphosat sei außerdem seit mehr als 40 Jahren im Einsatz, mögliche breite Schädigungen beim Menschen hätten sich also längst zeigen müssen. Letzteres ist aber fraglich, wie das Beispiel Asbest zeigte: Bei dem krebserregenden Stoff dauerte es bis zum Gefahrenbeweis auch viele Jahre.

Die Fälle in Südamerika

In Südamerika, wo es eindeutige Berichte, jedoch noch keine wissenschaftlich anerkannten Untersuchungen über Krebserkrankungen oder Fehlbildungen bei Kindern gibt, wird Glyphosat ganzjährig und großflächig gespritzt, meist mit Flugzeugen aus der Luft. Dabei wird das Mittel auch über den Dörfern versprüht, die zwischen den Feldern liegen. In Europa ist das verboten. Allein in Argentinien leben rund 14 Millionen Menschen teilweise direkt an den Feldern.

Es ist auch unklar, ob Glyphosat allein oder erst durch die Kombination mit anderen, in Europa oft verbotenen Stoffen schädlich ist. Auch das BfR sagte, dass die Giftigkeit bestimmter glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel höher sein kann als die des Wirkstoffes allein. Es empfahl deshalb ausdrücklich, Mixturen in den nationalen Zulassungsverfahren zu prüfen. Das IARC hatte laut Efsa auch Mischungen in die Bewertung einbezogen.

Es gibt also drei Unsicherheitsfaktoren bei der Bewertung von Glyphosat: Die Art der Ausbringung, die Dosierung und die Mischungen.

Weitere Gefahren

Die Chemikalie ist auch umstritten, weil sie gravierend in das ökologische Gleichgewicht der Natur eingreift und so das Artensterben beschleunigen könnte. Denn ohne Pflanzen sterben die Tiere, die sie benötigen.

Ein weiterer Kritikpunkt ist der Hersteller: Monsanto wird für seine starke Lobbyarbeit kritisiert. „Die Aktivitäten von Monsanto rund um die Veröffentlichung der Analyse sind ungewöhnlich und voll von Fehlinformationen und Faktenfehlern“, beschrieb in der Zeitung Die Welt Kurt Straif, IARC-Chefanalyst, die Einmischung des Konzerns. Und: Nur gentechnisch manipulierte Nutzpflanzen, präpariertes Saatgut oder Pflanzen, die mittlerweile eine Resistenz entwickelt haben, überstehen die Chemiekeule. Deren Hersteller bieten daher entsprechendes Saatgut an. Weltweit werden so Landwirte abhängig von den Produkten der Großkonzerne.

Ziel der CSU ist,

Glyphosat innerhalb einer Übergangszeit durch andere Unkrautbekämpfungsmaßnahmen zu ersetzen. Der Schutz der Gesundheit sowie der Umwelt und insbesondere auch der Bienen haben beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln oberste Priorität. Deshalb wird die Forschung weiter unterstützt, damit jederzeit wirkungsvolle und umweltschonende Produktionsmittel und Anwendungsverfahren zur Verfügung stehen. Insbesondere soll der integrierte Pflanzenschutz, die Entwicklung nichtchemischer Bekämpfungsmöglichkeiten und der biologische Pflanzenschutz weiter vorangetrieben werden.