Adam und Eva verzieren diese handgefertigte Wachskerze in der Werkstatt von Bernhard Fürst. (Bild: AS)
Tradition

Er brennt für Kerzen

Wachszieher Bernhard Fürst ist in dem Traditionshandwerk groß geworden. Kurz vor Weihnachten hat er alle Hände voll zu tun. Der BAYERNKURIER hat ihn in seiner Werkstatt besucht und hat erfahren, ob gezogene Kerzen wirklich schöneres Licht spenden.

Ein süßlicher Duft erfüllt den Werkstattraum. Es riecht ein bisschen nach Honig. Denn überall ist Wachs: unzählige Tropfen bedecken die alten Holzdielen auf dem Boden, die Maschinen und Werkbänke, das Wachs klebt zu Figuren geformt als Verzierung an hunderten Kerzen – darunter Adam und Eva sowie Winnie Puuh – und es hängt auch an den Händen von Bernhard Fürst. „Hier bin ich aufgewachsen und hab schon als kleiner Bub in den großen Holzrädern Hamster gespielt, auf denen eigentlich der Docht aufgerollt wird“, sagt der Wachsziehermeister.

Die Woche vor dem ersten Advent ist für ihn eine der stressigsten im ganzen Jahr. „Wir sind ein Traditionsbetrieb und kein Internetversand, doch auf die letzte Minute kommen immer noch mengenweise Aufträge“, sagt der 53-Jährige, der die Wachszieherei gemeinsam mit seinem Bruder Franz in fünfter Generation führt.

In rund 200 Kirchen in München, darunter auch in der Frauenkirche, brennen Kerzen, die Fürst in seiner kleinen Werkstatt im Münchner Stadtteil Sendling noch von Hand zieht und färbt. Rund zehn Tonnen Wachs verarbeitet Fürst jedes Jahr.

Weihnachtshektik in der Wachszieherei

An diesem Vormittag Ende November geben sich die Pfarrer in der Wachszieherei die Klinke in die Hand. Jeder braucht noch Kerzen für den Adventskranz, den Christbaum oder die Besucher des Gottesdienstes. Einer von ihnen ist Alexander Schöttl, Pfarrer in der evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche in Laim und seit 25 Jahren treuer Kunde. Fürst tunkt die noch weiße Adventskerze in eine ockerfarbene Wachsmischung. Die beiden Männer fachsimpeln darüber, ob die Kerze zwei- oder dreimal getunkt werden sollte. Frau Frank entscheidet: „Zweimal, dann ist das Ocker leuchtender“, sagt die gebürtige Französin. Zur Weihnachtszeit unterstützt sie Fürst in der Wachszieherei. Eigentlich ist Frank Schauwerbegestalterin, aber sie hat eine Leidenschaft für das Handwerk. „Ich liebe den Duft, den das Wachs verströmt, wenn es weich wird“, schwärmt sie. Bereits seit zehn Jahren kommt Frank, „wenn es in der Werkstatt brennt“. „Kerzen sind einfach etwas Wunderbares, vor allem ihr Licht“, sagt sie.

Welchen Vorteil hat eine gezogene Kerze?

Licht spenden die gezogenen Kerzen von Fürst länger als gepresste Industriekerzen. Die 30 Zentimeter hohen Adventskerzen, die Schöttl mit zu seiner Gemeinde nimmt, würden circa fünf bis sechs Tage durchgehend bis zum Ende brennen und damit etwa doppelt so lange wie herkömmliche Kerzen. Denn durch das Herstellungsverfahren hat die gezogene Kerze einen schichtweisen Aufbau, ähnlich wie die Jahresringe eines Baumes. Die Lufteinschlüsse führen dazu, dass sich die Wärme von der Flamme zum Kerzenrand nicht so schnell ausbreitet. So bleibt der Mantel länger stehen. Und sie tropft weniger, wegen der tieferen Brennschale, in der das flüssige Wachs schwimmt.

Wie funktioniert`s?

Doch die Produktion einer gezogenen Kerze ist im Vergleich zum industriellen Pressverfahren sehr aufwendig. Fürst spannt dazu den Docht über zwei große Trommeln und zieht ihn durch ein Wachsbecken. Bei jedem Durchgang nimmt der Docht etwa einen halben Millimeter Wachs auf. Fürst nutzt zur Kerzenproduktion zwei Zugmaschinen. Das eine Modell hat sein Vater bereits vor dem zweiten Weltkrieg bedient. Auf der moderneren Maschine aus dem Jahr 1967 laufen 220 Meter Docht. Innerhalb von einer Stunde zieht Fürst Kerzen mit einem Durchmesser von rund einem Zentimeter.

Wenn ich eine Kirche betrete, schaue ich mir zuallererst die Altarkerze an.

Bernhard Fürst, Wachsziehermeister

Den noch warmen und weichen Kerzenstrang schneidet der Wachsziehermeister anschließend auf die gewünschte Länge zu. Erst wenn die Kerzenrohlinge kalt und fest geworden sind, fräst er den kegelförmigen Kopf und bohrt das Dornloch. Das Endprodukt enthält Paraffin, Stearin, Hartwachs und zehn Prozent Bienenwachs.

„Wenn ich eine Kirche betrete, schaue ich mir zuallererst die Altarkerze an“, sagt Fürst. Er erkenne sofort, ob es sich dabei um eine gezogene Kerze handele. „Die hat einfach ein anderes Gesicht als zum Beispiel eine gepresste Kerze“, sagt der gebürtige Münchner. Sie leuchte mehr aus sich heraus und habe diese natürliche Elfenbeinfarbe, beschreibt er das Kerzen-Antlitz. Auch die Flammengröße stehe im richtigen Verhältnis zur Kerzengröße. Denn bei gepressten Kerzen werden – um Tropfen und Rußen zu vermeiden – oft sehr dünne Dochte verwendet. Dadurch brennen sie aber meist mit sehr kleiner Flamme.

Kerzenlicht für den Vatikan

Für individuelle Verzierungen ist Fürsts Schwägerin, Zdenka Fürst, verantwortlich. Gemeinsam mit seinem Bruder Franz arbeitet sie in dem Ladengeschäft „Der Wachszieher am Dom“ im Herzen von München. Stammkunden und Kerzenliebhaber zahlen für verzierte und bemalte Tauf-, Kommunions-, Oster-, oder Hochzeitskerzen zwischen fünfzig und hundertfünfzig Euro. „Meine Mutter liebt die Marienkerzen. Jedes Jahr suche ich für sie ein neues Motiv aus“, sagt Marina Pitzinger. Die gebürtige Argentinierin schickt das Prachtexemplar dann gut verpackt zu ihrer Familie nach Buenos Aires, wenn sie sich nicht persönlich auf die Reise macht. Für einen der prominentesten Stammkunden packt Fürst regelmäßig ein Päckchen, das er Richtung Rom schickt: Joseph Ratzinger, der emeritierte Papst und gebürtige Bayer, kauft bereits seit Jahrzehnten bei ihm ein. Eine persönliche Grußkarte von ihm hängt gerahmt in Fürsts Arbeitszimmer, ganz ohne Wachskleckse.

Eine Zunft für die Zierde

Ob Quasten für das Zelt des Sultans oder originalgetreue Borten für die Wiener Hofburg – in der Münchner Manufaktur Posamenten-Müller werkeln die Mitarbeiter noch wie vor 100 Jahren. Eine Werkstatt wie „ein lebendiges Museum“. Mehr über das Traditionshandwerk lesen Sie hier: Eine Zunft für die Zierde.

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Handwerkskunst im Herzen Münchens: Was ist ein Posamentierer?