Andreas Buchele und sein Team arbeiten immer noch mit den 100 Jahre alten Webstühlen. (Bild: AS)
Inland

Eine Zunft für die Zierde

Ob Quasten für das Zelt des Sultans oder originalgetreue Borten für die Wiener Hofburg – in der Münchner Manufaktur Posamenten-Müller werkeln die Mitarbeiter noch wie vor 100 Jahren. Eine Werkstatt wie „ein lebendiges Museum".

Hin und wieder zieht Simone Howe die Schuhe aus, bevor sie auf den 120 Jahre alten hölzernen Handwebstuhl klettert. „Wenn ich viele Tritte machen muss, habe ich barfuß ein besseres Gefühl“, sagt sie. Hinter ihr rattert eine Galonmaschine, 80 Jahre alt. Paula Huber befestigt seidenes Garn zwischen den Stäben des Webstuhls, bevor sie an der Handkurbel dreht und die Maschine startet. Tuku Salh sitzt den beiden Frauen an einem großen Holztisch gegenüber. Mit einer Nadel umsticht er gedrechselte Holzformen mit einem roten Faden – das Herzstück einer Quaste, besser bekannt als Troddel. Nebenan spannt Pham Long meterlange rosafarbene Garne quer durch den Raum. Mit dem Drehrad, 90 Jahre alt, fertigt er daraus stabile Seile. Das Team ist umgeben von Raffhalter, Borten, Seile, Fransen und Kordeln, die sich in allen erdenklichen Farben in Regalen bis unter die Decke stapeln.

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Handwerkskunst im Herzen Münchens: Was ist ein Posamentierer?

Die Manufaktur in der St.-Paulstraße direkt an der Münchner Theresienwiese ist eine der letzten Gewerke seiner Art. „Wir haben Handarbeit, Seilerei, maschinelle Weberei und Handweberei noch unter einem Dach“, sagt Andreas Buchele, der die beiden Traditionshäuser Posamenten-Müller und Buchele Raumgestaltung in vierter Generation leitet. Die Werkstatt gehört damit zu eine der wenigen in Europa, in der die Mitarbeiter alle Facetten der Textilgestaltung noch beherrschen. In aufwendiger Handarbeit weben, ketteln, stechen, schnecken und drehen sie edle Verzierungen, Posamente genannt, oft nach hauseigenen Stilvorlagen und Mustern. Dazu nehmen sie Wolle, Seide, Mischgarne, aber auch Blattgold oder schwer entflammbares Material. So müssen beispielsweise die Treppenseile in Opernhäusern bestimmte Brandschutzstandards erfüllen.

Zierstücke für Liebhaber

Zum Hauptgeschäft zählt alles, womit Raumausstatter Dekorationen verschönern, wie beispielsweise Raffhalter für Vorhänge oder Fransen für Polstermöbel. Die sind seit den 1990er Jahren allerdings nicht mehr der neueste Schrei. Damit ging die Nachfrage von Privatkunden immer mehr zurück. Die Zierstücke sind inzwischen eigentlich nur noch etwas für Liebhaber. Waren bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern vor sechs Jahren ohnehin nur noch acht Betriebe in dieser Branche registriert, sind es aktuell neben Posamente-Müller nur zwei weitere.

Für Buchele hat sich aber ein neues Feld aufgetan: die fadengenauen Rekonstruktionen von historischen Posamenten für Schlösser – angefangen bei der Garnstärke bis über die Zwirnung, Glanzwirkung, Farbe sowie die Fülle der Fransen sollte jedes Detail möglichst originalgetreu sein. Howe sitzt dann teilweise eine Stunde auf ihrem Webstuhl für nur 40 Zentimeter Borte. „Das macht den Beruf so abwechslungsreich. Dass ich auch immer wieder alte Dinge neu lerne und eine Verbindung schaffe zwischen Moderne und Historie“, sagt Howe. Das ist auch der Grund, warum Buchele und seine Mitarbeiter immer noch mit den 100 Jahre alten Maschinen arbeiten. „Bestimmte Muster und Webtechniken aus dem 19. Jahrhundert können mit modernen Webstühlen gar nicht mehr originalgetreu rekonstruiert werden“, sagt Buchele. So heimste er auch den Auftrag der Österreicher ein, hunderte Meter Borten, Raffhalter und Quasten in tiefem Weinrot für das Schloss Schönbrunn und die Wiener Hofburg zu weben. „Wir mussten sogar berücksichtigen, wie stark die Fäden der Quasten angezwirnt und gedreht sind, damit sie die richtige Glanzwirkung haben“, erinnert sich Buchele. Zweieinhalb Jahre Arbeit investierte das Team, bis der letzte Raffhalter fertig war.

Rosa Haltegriff oder bunte Katzenleine?

Anfragen erreichen Buchele aber auch aus dem Sultanat Oman. In der bayerischen Werkstatt fand der Sultan endlich, was er suchte: individuell angefertigte Verzierungen für sein Zelt anlässlich eines großen Pferderennens. Zum größten Kundenkreis gehören Schlösserverwaltungen und andere Kultureinrichtungen, etwa die Hälfte der Aufträge kommt aus Bayern. Aber auch Privatkunden klopfen bei Buchele an. Unter ihnen der verstorbene Modedesigner Rudolph Moshammer. Sein Wunsch war ein mit rosafarbenem Leder verzierter Haltegriff für den Rolls-Royce. Weniger ausgefallene Bestellungen sind Trachtenschmuck wie Stirnbänder aus Kordeln oder Knöpfe mit Mini-Quaste für Dirndlschürzen. Kunden zahlen für die Bänder zwischen 120 und 160 Euro, für die Knöpfe 50 Euro. Auch Accessoires wie Schlüsselanhänger, Manschettenknöpfe, Juwelierschnüre, mit Seide umrandete Edelsteine oder bunte Leinen für Hund oder Katze – alles individuell machbar. Handarbeit hat aber auch ihren Preis. So kann eine Quaste bis zu 3000 Euro kosten, je nach Aufwand und Material.

Ein eingespieltes Team

Dass sich das Geschäft mit den Garnen für Buchele noch lohnt, hat mehrere Gründe. Kunsthistoriker, denen Detailtreue und Qualität am Herzen liegt, zahlen für die handgefertigten Verzierungen einen entsprechenden Preis. Der Auftrag der Wiener Hofburg brachte beispielsweise einen Jahresumsatz für das Unternehmen. Zudem schafft es der Firmeninhaber mit der Muttergesellschaft Buchele Raumgestaltung Synergieeffekte zu nutzen. Dort richtet sich das Augenmerk vor allem auf textile Wandbespannung, Polster- und Näharbeiten. „Der Schlüssel zum Erfolg war, die beiden Firmen Buchele Raumgestaltung und Posamente-Müller in der St.-Paul-Straße an einen Standort zu bringen. Das reduzierte Produktionsfläche und sparte Fixkosten ein“, sagt der gebürtige Münchner. Auch das eingespielte Team sorgt dafür, dass die Arbeit meist wie am Schnürchen läuft: die gebürtige Stuttgarterin Howe, die Niederbayerin Paula Huber, Tukuh Salh aus Eritrea und Pham Long aus Vietnam werkeln bereits seit über 20 Jahren zusammen zwischen klappernden Webstühlen und surrenden Drehbahnen. Um ihren Arbeitsalltag erlebbar zu machen, führt Buchele regelmäßig Besuchergruppen durch die Werkstatt, darunter beispielsweise Gruppen von der Münchner Volkshochschule. Letztens kam sogar ein Ehepaar aus Berlin. Der Besuch war ein Überraschungsgeschenk zum 50. Hochzeitstag. Die Dame arbeite einst selbst als Posamentiererin.

Reisen mit dem Holzwebstuhl

Sorge, dass die traditionelle Handwerksarbeit aussterben könnte, hat Buchele nicht. „Der Trend ist eher der, dass die Leute wieder merken, dass alte Traditionen wieder mehr gepflegt werden müssen. Es ist schon zu viel Wissen über das Handwerk verloren gegangen. Dass wir in dem Bereich eine der ältesten Firmen sind, ist für uns auch eine Chance zu überleben, weil wir das Handwerk entsprechend weiterführen“, sagt er. Messen nutzen Buchele und sein Team, um die Handwerkskunst in die Welt zu tragen. Dazu reist Howe mit ihrem hölzernen Handwebstuhl bis nach Leipzig oder Salzburg. „Den Webstuhl kann ich inzwischen im Schlaf auf- und abbauen“, sagt sie. Rund drei Stunden braucht Howe, bis das antike Arbeitsgerät einsatzbereit ist. Bei derartigen Auftritten verzichtet die Posamentiererin übrigens nicht auf ihre Schuhe. „Für Messen habe ich extra ein schickes Paar mit hohen Absätzen“, sagt Howe.

Was sind Posamenten?

Bereits die Pharaonen schmückten ihre Gewänder mit Posamenten und auch König Ludwig II. in Bayern war ein großer Liebhaber der prunkvollen Zierstücke. Beim Adel galten Posamente als beliebte Statussymbole. Nach ihrer Blütezeit im Barock erlebten sie im 19. Jahrhundert ihre Renaissance in der Ausstattung zahlreicher Schlösser. Im Deutschen gibt es keine direkte Übersetzung für „Posament“. Der Begriff stammt vom französischen Wort „passement“ ab und bezeichnet schmückende Elemente, die zur Zierde auf Vorhängen, Polstern oder Kleidungsstücken angebracht werden.