Kabel und Landliebe: Im Neubaugebiet von Walderbach ragen frisch verlegte Glasfaserkabel aus dem Boden. (Foto: W. Heider-Sawall)
Breitband

Lange Leitung aufs Land

Rund 4000 Kilometer Glasfaserkabel lässt der Landkreis Cham verlegen - und will zum Vorreiter für die Digitalisierung im ländlichen Raum aufsteigen. Unternehmen brauchen den Ausbau dringend. Kleine Gemeinden hoffen, damit die Landflucht einzudämmen.

Eine Zigarettenlänge – in der Epoche rasend schneller Datenverarbeitung gleicht diese Zeitangabe einer halben Ewigkeit. Wenn Markus Wittmann, Vertriebler beim traditionsreichen Musikinstrumenten-Hersteller „Lefima“ in Cham, mit Computerhilfe eine der ultraleichten Carbon-Trommeln per Paket verschicken will, geht er erst mal ins Rauchereck. Während Wittmann draußen vor dem Werkstor gemütlich eine anzündet, läuft drinnen der Rechner. Und läuft und läuft und läuft.

Als der Paketpacker nach zehn Minuten an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt, kramt sein Computer noch immer in der Cloud nach Artikelnummer und Kundenanschrift. „Ein Wahnsinn“, stöhnt Wittmann. Seine Windows-Maschine steht in der Oberpfalz, der Server für die Datenwolke in Berlin – die lange Leitung dorthin und retour arbeitet schlicht: langsam. „Zwanzig Prozent meiner Arbeitszeit besteht nur aus Warten“, sagt er.

Auf Datenwolke 7

Doch mit dem lahmen Internetanschluss in der ländlich geprägten Region in Ostbayerns soll bis Mitte 2019 Schluss sein. Als einer der ersten in Deutschland bekommt der Landkreis Cham flächendeckend Glasfaserkabel. Mehr als 8.000 Haushalten und 1.000 Unternehmen legt der Telekomanbieter M-Net die schnelle Verbindung vor die Türe. Aus einem milliardenschweren Bundesprogramm erhält der Kreis 25 Millionen Euro, sodass insgesamt 58 Millionen Euro für das ehrgeizige Projekt zur Verfügung stehen. Der Landrat von Cham, Franz Löffler, frohlockt bereits mit einem lokalpatriotischen Kalauer: „Damit steigen wir in die Cham-pions League auf.“

Lefima-Chef Stefan Aehnelt, der mit 25 Mitarbeitern edle Pauken und Trommeln für Sinfonieorchester und Blaskapellen fertigt, beäugt das Vorhaben noch skeptisch. Zu leidig sind die Erfahrungen auf dem Land mit zu langsamem Internet. Wie in vielen Regionen haben die kommerziellen Netzbetreiber nur Verteilerpunkte für die flotten Leitungen in Dörfer und Kleinstädte verlegt. Viele Privathaushalte sind nur ein paar hundert Meter von der Glasfaser entfernt – und trotzdem meilenweit. So werden Bestellungen im Onlinehandel zur nervenzehrenden Geduldsprobe. Instrumentenbauer Aehnelt hält die mangelhafte Internetgeschwindigkeit für eine handfeste Behinderung seines Geschäftsbetriebs. „Wir betreiben seit 155 Jahren ein komplett analoges Geschäft mit analoger Musik – aber die IT spielt zunehmend ihre Rolle“, stellt er fest.

Die Defizite beim Ausbau von Glasfaser und Mobilfunk sind noch größer als im Autobahnnetz.

Christoph Bornschein, IT-Berater

Für Unternehmen auf dem Land wird der Anschluss ans Breitbandnetz zur kritischen Frage, ob sie in der Digitalisierung künftig mithalten können. Die weißen Flecken, die auch der Freistaat noch auf der Netzkarte verzeichnet, bergen Risiken – ihre Beseitigung allerdings auch entsprechende Potenziale. Industrie und Landwirtschaft könnten ihre Prozesse beschleunigen und effizienter gestalten, womöglich umweltfreundlicher produzieren. Zudem ließe sich die Landflucht eindämmen, wenn Unternehmen dank schnellem Web-Zugang wettbewerbsfähiger werden und ihren Mitarbeitern vermehrt Heimarbeit an schnellen Rechnern anbieten können.

Experten jedoch bemängeln, die Bundesrepublik drohe den Anschluss zu verlieren. „Die Defizite beim Ausbau von Glasfaser und Mobilfunk sind noch größer als im Autobahnnetz“, moniert Christoph Bornschein von der Digitalberatungsfirma TLGG. Selbst in hoch industrialisierten Bundesländern wie Bayern oder Baden-Württemberg sei der „ländliche Raum fast überall gleich schlecht angebunden“. Da nahezu alle Industrien künftig datenintensiver arbeiten, prognostiziert er die Ballung von Unternehmen an den potenten Knotenpunkten der Netze. Damit würden sich auch viele Jobs in die Zentren verschieben.

Milliardenschwere Investitionen

Die bayerische Staatsregierung reagiert mit massiven Investitionen. Mehr als fünf Milliarden Euro pumpt sie zwischen 2018 und 2022 in die Digitalisierung – in den Ausbau der Glasfasernetze vor allem in Gewerbe- und Neubaugebieten, in WLAN-Hotspots, in wirklich flächendeckenden Mobilfunk. „Die Gigabit-Gesellschaft kommt“, hat Ministerpräsident Horst Seehofer zugesagt. Bayernweit sind bereits 97 Prozent der Kommunen in ein Landesförderprogramm eingestiegen, 30.000 Kilometer Glasfaserleitung werden schon verlegt.

Damit wir die Leute in der Heimat halten, da hilft die Digitalisierung enorm.

Josef Höcherl, Bürgermeister

Im Dörfchen Walderbach am westlichen Rand des Kreises ist Bürgermeister Josef Höcherl bereits fortgeschritten mit seinem lokalen Gigabit-Programm. Aus Mitteln des Landes und der Kommune hat er schon eine Million Euro in schnelleres Internet gesteckt. Das Neubaugebiet am oberen Ortsrand lässt er standardmäßig mit Glasfaser verkabeln. „Der Ausbau ist wichtig für uns. Wir sind eine aufstrebende Gemeinde“, erklärt Höcherl optimistisch. Die Bevölkerung wächst. Im weißen Familienvan saust er durch die 2.000-Einwohner-Kommune, zeigt im Vorbeifahren auf die Firmensitze des Technologieanbieters ITF Fröschel oder des Baukunststoff-Herstellers KucoR. „Die expandieren hier, weil wir guten Anschluss haben“, sagt Höcherl. Der Orden der Barmherzigen Brüder betreibt im Kloster das Rechenzentrum für die bundesweite Gehaltsabrechnung von mehreren Tausend Mitarbeitern in Krankenhäusern und Altenheimen.

Kabel gegen die Landflucht

Oberhalb der Walderbacher Seerosenteiche springt der Bürgermeister aus dem Wagen. Bauarbeiter decken neuen Einfamilienhäusern die Dächer. Auf der Wiese am Hang steht eine riesige Rolle mit Glasfaserkabel, ein Bagger schaufelt bereits die Gräben für die Kabelstränge. „Wenn jemand schon weggegangen ist vom Land, der kommt nimmer zurück“, bedauert der leutselige Höcherl, „aber damit wir Leute in der Heimat halten, da hilft die Digitalisierung enorm.“