Derzeit leben 1,6 Millionen Flüchtlinge in Deutschland. (Foto: Imago/Winfried Rothermel)
Jamaika-Agenda

Zuwanderung stark eingrenzen

Kommentar Die jüngsten Zahlen zur Asylpolitik sind erschreckend: 30.000 ausreisepflichtige Asylbewerber tauchen unter, die Verwaltungsgerichte ächzen unter 320.000 Asylverfahren. „Jamaika“ muss klare Zeichen setzen und die sozialen Sogeffekte minimieren.

Die Zahlen sind alarmierend: 30.000 abgelehnte und ausreisepflichtige Asylbewerber sind laut Bild-Zeitung untergetaucht oder anderweitig verschwunden. Die Welt berichtet sogar über bis zu 520.000 untergetauchte Ausländer, darunter viele abgelehnte Asylbewerber. Die Zahl der Schutzsuchenden in Deutschland insgesamt hat sich laut Statistischem Bundesamt von Ende 2014 bis Ende 2016 auf 1,6 Millionen verdoppelt. Die Zahl der Klagen gegen Asylentscheidungen vor den Verwaltungsgerichten hat sich laut Neuer Osnabrücker Zeitung binnen eines Jahres sogar mehr als verfünffacht, von knapp 69.000 auf mehr als 320.000 Verfahren (von 30. Juni 2016 bis 30. Juni 2017).

Gleichzeitig teilt das Statistische Bundesamt mit, dass Bund, Länder und Kommunen 2015 und 2016 für Asylbewerber 15 Milliarden Euro ausgegeben haben – knapp eine Vervierfachung gegenüber 2013 und 2014 (3,9 Milliarden). Diese Leistungen und Transfers betreffen Unterbringungskosten und finanzielle Zuwendungen für Personen, deren Asylverfahren noch läuft. Die Flüchtlingskrise ist für Deutschland also noch lang nicht vorbei, sie hat sich nur verlagert: Von den Grenzübergängen, Bahnhöfen und Turnhallen in die völlig überlasteten Verwaltungsgerichte, in die Sozialämter und Arbeitsagenturen. Deutschland spürt jetzt die Nachwehen des Kontrollverlustes an den Grenzen ab dem 4. September 2015.

„Jamaika“ muss humanitäre Zuwanderung drastisch begrenzen

Vor diesem Hintergrund sollte die Agenda der Jamaika-Verhandler in diesem Punkt klar sein: Die humanitäre Zuwanderung – also die Summe aus Asylbewerbern, Kriegsflüchtlingen und subsidiären Flüchtlingen – nach Deutschland muss drastisch reduziert werden. Eine Obergrenze von 200.000 pro Jahr ist dabei ein sinnvoller Wegweiser. Eine EU-Lösung muss her, dringend. Einseitige Grenzöffnungen Deutschlands verschärfen das Problem nur langfristig. Vor allem der Sogeffekt nach Deutschland, also die Aussicht auf großzügige Sozialleistungen, muss gestoppt werden.

Mit den deutschen Sozialleistungen werben die Schleuser im Internet nach wie vor, und mehrere Tausend Menschen folgen diesen Verheißungen Monat für Monat. Denn was meist verschwiegen wird: Die Flüchtlinge wollen ja nicht in erster Linie in ein friedliches Land – Frieden hätten sie in Bulgarien und Rumänien auch. Rumänien beispielsweise hält nach wie vor genau 1942 Aufnahmeplätze vor, das hat Außenminister Melescanu erst im Sommer nochmals betont.

Doch kaum ein Flüchtling will dorthin: Die meisten reisen unverzüglich weiter, und zwar nach Deutschland oder in andere reiche und großzügige Länder wie etwa Schweden. Die finanziellen Zuwanderungsanreize müssen also minimiert werden, dann hat der Bund auch Luft, die Lebensbedingungen in den Herkunfts- und Aufnahmeländern zu verbessern. Dieser Weg ist der wesentlich bessere im Vergleich zu der bisherigen Methode, die Leute ins Land zu holen und dann trotz Ablehnung nicht mehr loszuwerden.

Vor allem die CDU ist jetzt gefordert

Soweit die Realität. Doch die Grünen, zumindest die Mainstream-Grünen jenseits von Boris Palmer und Winfried Kretschmann, wollen gerade das Gegenteil. Sie fordern den vollen Familiennachzug auch für Flüchtlinge mit bloßem subsidiärem Schutz. Das würde hunderttausende Nachzügler ins Land holen, Schätzungen gehen von mindestens 400.000 weiteren Zuwanderern aus, die unter anderem die Sozialkassen auf Jahre belasten.

Das ist schon deshalb völlig widersinnig, weil grundsätzlich beide Arten von Kriegsflüchtlingen auf absehbare Zeit in ihre Heimat zurückkehren müssen: Diejenigen mit vollem Schutzstatus laut Genfer Konvention nach dem Ende der Kampfhandlungen, diejenigen mit bloßem subsidiären Schutz noch schneller – im Grunde genommen auf Abruf, also in der Regel nach jährlich oder zweijährig wiederkehrender Prüfung, ob die flagrante Gefahr für Leib und Leben in der Heimat noch besteht. Was also soll der „grüne“ Familiennachzug für Leute, die laut geltender Rechtslage sowieso bald wieder gehen müssen? Weitere hunderttausende Prozesse vor den bereits jetzt überlasteten Verwaltungsgericht? Kann das allen Ernstes Regierungspolitik sein?

Warnschuss bei der Bundestagswahl

Eine solche verfehlte Zuwanderungspolitik wäre zudem ein weiteres Konjunkturprogramm für die AfD. Wenn „Jamaika“ die deutschen Grenzen für humanitäre Zuwanderer weiter öffnete, verlören weitere hunderttausende, vielleicht gar Millionen Bürger das Zutrauen in die demokratischen Parteien, die dringendsten Probleme Deutschlands zu lösen. Dies sollte vor allem die Union stets vor Augen haben. An dieser Stelle ist insbesondere die CDU, namentlich Kanzlerin Merkel, gefordert, bei den Verhandlungen die Rolle des wertneutralen und inhaltlich beliebigen Schiedsrichter aufzugeben und endlich offensiv konservative Positionen zu vertreten. Oder hat die Merkel-CDU den Warnschuss von 26,8 Prozent bei der Bundestagswahl – das reine CDU-Ergebnis ohne die 6,2 Prozent der CSU – immer noch nicht gehört?