Metten bei Deggendorf, an der Schnittstelle zwischen Donau und Bayerischem Wald gelegen. (Bild: Imago/Westend61)
Deggendorf

Die Blaupause

Die AfD hat auch in Teilen Bayerns Erfolge erzielt. Mit 19,2 Prozent der Zweitstimmen liegt die bayerische Hochburg der AfD im Wahlkreis Deggendorf. Der Kreis zeigt beispielhaft einige Ursachen für das Wahlergebnis auch der CSU auf.

Niederbayern galt lange als CSU-Stammland und doch erreichte gerade hier die AfD mit die höchsten Ergebnisse mit dem Rekordwert von 19,2 Prozent im Wahlkreis Deggendorf. Die CSU kam nur noch auf 40,6 Prozent, die SPD nur auf 14,2 Prozent. Zu dem Wahlkreis gehören die beiden Landkreise Deggendorf und Freyung-Grafenau sowie vier Gemeinden aus dem Landkreis Passau. Mit 44,06 Prozent holte der CSU-Bundestagskandidat Thomas Erndl das Direktmandat. Zweite wurde hier die SPD-Kandidatin mit 17,4 Prozent nur sehr knapp vor der AfD-Kandidatin mit 17,3 Prozent – bei einer um 11,3 Prozent höheren Wahlbeteiligung von 71,7 Prozent.

In ganz Ostbayern sind die Zahlen vergleichbar hoch: Im Stimmbezirk Straubing erzielte die AfD 18,4, in Schwandorf 17,4, in Rottal-Inn 16,5 und in Passau 16,1 Prozent.

Ursachenforschung

Bei einer Arbeitslosenquote von nur 3,6 Prozent im Wahlkreis, einem Hartz IV-Anteil von nur 2,7 Prozent, einem BIP pro Kopf von 31.217 Euro, 24,3 Prozent Bürgern mit Hochschulreife und wenig Kriminalität sind die Voraussetzungen für Zufriedenheit grundsätzlich gut. Zwar ist die Nähe zur tschechischen Grenze ein Anreiz für Unternehmen, ihren Sitz zu verlagern, aber dafür sind die TH Deggendorf mit ihren Filialen in der Region sowie die nahen Universitäten in Passau und Regensburg große Pluspunkte. Ein Hinweis könnte sein, dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte im Jahr 2015 zu den niedrigsten der Landkreise in Bayern gehören: Freyung-Grafenau (19.906 Euro) und Deggendorf (21.476 Euro). Der bayerische Schnitt liegt bei 23.658 Euro. Allerdings ist dieses Einkommen seit 1991 im Kreis Freyung-Grafenau um 91,8 Prozent gestiegen, im Kreis Deggendorf um 82,3 Prozent. Nun wird also die Frage „Warum dann AfD?“ gestellt.

Deggendorf im Fokus

Der Wahlkreis Deggendorf hat besonders im Landkreis Freyung-Grafenau sehr hohe AfD-Ergebnisse. Unter den Gemeinden mit den höchsten Werten sind: 28,1 Prozent in Mauth (höchster Wert in Niederbayern), 27,1 in Haidmühle, 24,8 in Innernzell, 24,6 in Philippsreut, 24,4 in Röhrnbach, 24,0 in Neuschönau und dann erst mit 23,2 Prozent Winzer als erster Ort aus dem Landkreis Deggendorf. Dahinter weitere Orte aus Freyung-Grafenau mit Hinterschmiding, Hohenau, Eppenschlag, Schöfweg und Jandelsbrunn mit jeweils über 20 Prozent AfD-Stimmen.

Die Passauer Neue Presse fragte bei den Bürgermeistern nach, die aber keine Erklärung hatten. Zwar sei vielen Bürgern die Asylpolitik „sauer aufgestoßen“, man sei aber kein Brennpunkt wie Deggendorf oder Passau gewesen, so Mauths Bürgermeister Ernst Kandlbinder (CSU) in der PNP. Die meisten seien wohl Protestwähler. In der Tat: 60 Prozent der AfD-Wähler bestätigten laut Umfragen, dass sie die Partei aus Enttäuschung über die anderen Parteien gewählt haben.

Die Menschen haben ein Signal gesetzt.

Bernd Sibler

Sind hier besonders viele für rechte Parolen Empfängliche zuhause? Staatssekretär Bernd Sibler, zugleich stellvertretender Bezirksvorsitzender der CSU Niederbayern und Deggendorfer Kreisvorsitzender, widerspricht energisch. „Die Menschen haben ein Signal gesetzt, dass man sich um die Themen kümmern muss, die ihnen wichtig sind. Und da ist an erster Stelle die Flüchtlingspolitik.“ Damit dürfte er recht haben, denn die Verluste der CSU (15,6 Prozent) entsprechen hier ziemlich genau den Gewinnen der AfD (15,2 Prozent). Die CSU litt darunter, dass sie sich gegen die Kanzlerin und die SPD mit ihren Forderungen nur teilweise durchsetzen konnte. Die Obergrenze besteht zwar faktisch („2015 darf sich nicht wiederholen“), wurde aber nie von der Kanzlerin eingestanden. Hinzu kam: Bayern hatte als Erstankunftsland die Hauptlast der chaotischen Flüchtlingskrise 2015 zu tragen, der Bund half erst viel zu spät. Dennoch wird auch das der CSU angekreidet. Die Folge: Der CSU-Direktkandidat Erndl hat mehr Stimmen erzielt als die CSU, obwohl er als Neuling angetreten war. Es war also ein Signal an seine Partei, die CSU.

Sibler sagt, er habe nach dem TV-Kanzlerduell, das Fragen wie Obergrenze und Familiennachzug offen ließ, erste Absetzbewegungen gespürt, wenn auch „nicht in dieser Dimension“. Es war auch eine Wahl gegen die Kanzlerin, so zeigen es viele Leserbriefe in den Regionalzeitungen. „Wer CSU wählt, bekommt Merkel“ – so warb die AfD auf ihren Plakaten. Und Merkel steht für die Asylpolitik. So berichtet der neue Bundestagsabgeordnete Thomas Erndl dem Bayernkurier, er habe in seinem Wahlkampf Bürger gehört, die den Umgang der CSU mit der Kanzlerin rügten, aber auch viele Bürger, die Merkels Asylpolitik nicht gut fanden.

Blickt man auf die beiden Europawahlen 1989 und 1994, bei denen „die Republikaner“ ihre besten Ergebnisse hatten, ergeben sich für den Wahlkreis auch keine Auffälligkeiten. 1989 holten die Republikaner in Bayern 14,6, im Wahlkreis Deggendorf aber nur 13,4 Prozent. 1994 waren es in Bayern 6,6 und in Deggendorf 8,9 Prozent. Wenn man eine Gemeinsamkeit zu 2017 sucht, so findet man sie in den Themen Europa und Asyl. Letzteres war 1994 durch die vielen Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien ein wichtiger Aspekt und in Europa formierte sich der Widerstand gegen den Vertrag von Maastricht (1992).

Asylpolitik entscheidend

Vieles spricht dafür, dass die Asylpolitik der entscheidende Faktor dieser Wahl war. Die niedrigste AfD-Zustimmung in der Stadt Deggendorf lag bei 8,9 Prozent. In zwei Wahllokalen gab es aber besonders hohe Zustimmung zur AfD: Da war zum einen die Grundschule Sankt Martin, in deren Einzugsbereich die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber liegt, die sich als Transitzentrum zeitweise zum Brennpunkt des Geschehens entwickelte. Dort und in drei Außenstellen sind derzeit insgesamt noch rund 300 Asylbewerber untergebracht, was auf bis zu 1400 anwachsen soll. In diesem Wahllokal erhielt die AfD 31,4 Prozent der Zweitstimmen, mehr als die CSU mit 24,4 Prozent. Auch bei den Direktkandidaten lag die AfD-Kandidatin fünf Prozent vor dem CSU-Bewerber Erndl. „Hier haben die Menschen seit 2015 direkt miterlebt, wie Zehnttausende Flüchtlinge ankamen und weitertransportiert oder geblieben sind“, erklärte Sibler dem Bayernkurier. Das gelte für ganz Ostbayern, besonders auch für die Regionen Passau und Rottal-Inn. Thomas Erndl berichtet zudem, dass Probleme mit Asylbewerbern gerade in kleinen Bayerwald-Gemeinden besonders auffielen, auch wenn es nur „das Ausrücken der Freiwilligen Feuerwehr“ sei, weil ein Asylbewerber unter dem Rauchmelder geraucht habe.

Sie haben wohl den Eindruck: Wir kriegen nix und für die Flüchtlinge ist viel Geld da.

Christian Bernreiter

Ähnlich äußerte sich Deggendorfs Landrat Christian Bernreiter (CSU) in der Zeitung Die Welt. Die Ängste seien groß, es gebe viele Menschen mit geringer Rente. „Sie haben wohl den Eindruck: Wir kriegen nix und für die Flüchtlinge ist viel Geld da“, so Bernreiter weiter. Zudem seien viele Unzufriedene zur Wahl gegangen, wie die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung zeige. Gerade ältere Menschen fürchteten vielleicht, dass das, was sie unter Heimat verstehen, verloren gehe, meinte Heinz-Peter Meidinger, Schulleiter am Robert-Koch-Gymnasium Deggendorf und Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, in der Zeitung Die Welt.

Hinzu kommt: In der Boom-Region Deggendorf eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist schon vor Ankunft der Flüchtlinge schwer gewesen. Der Ausländeranteil im Wahlkreis lag einst bei 5,4 Prozent, in der Stadt dürfte er mittlerweile höher liegen. Pfarrer Franz Reitinger berichtet in der Welt, dass einige Frauen in dem Viertel um die Einrichtung nun Angst hätten, abends allein auf die Straße zu gehen. Teilweise melden Eltern ihre Kinder gezielt in anderen Kindergärten an, wenn der Migrantenanteil zu hoch wird, auch das wird aus Deggendorf berichtet.

Problemfall Islam

Doch auch das Thema Islam spielt anscheinend eine unterschätzte Rolle: Das zweite Wahllokal ist nämlich das Vereinsheim Fischerdorf, in dem die AfD mit 27,2 Prozent das zweithöchste Ergebnis in der Stadt Deggendorf erhielt. In dem Ortsteil liegt die 2016 eröffnete neue DITIB-Moschee. Der Trägerverein bekam von der Staatsregierung Fluthilfe für die Kosten des Wiederaufbaus (nicht den Zeitwert des alten Gebäudes), weil er ein Haus während des Hochwassers verloren hatte, in dem die alte Moschee untergebracht war. Viele verstanden nun aber nicht, warum der Wiederaufbau dieses „unscheinbaren Zweifamilienhauses“ 2,2 Millionen Euro wert sein sollte. Die neue Moschee wirkt ungleich größer, den Unterschied will der Verein aber mit eigenen Krediten bezahlen. Allerdings gilt der umstrittene Muslimverband DITIB mittlerweile als Handlanger des türkischen Diktators Erdogan in Deutschland. Die AfD hatte die Finanzierung kritisiert.

Staatssekretär Bernd Sibler fordert jedenfalls ein Umdenken: „Man muss der AfD nun die Themen nehmen. So wie wir es in den 90er Jahren bei den Republikanern getan haben.“