Europa am Wendepunkt
Nachdem sich Erdogan in den Bundestagswahlkampf eingemischt hatte, formiert sich aus allen Parteien geschlossener Widerstand. Europapolitiker Manfred Weber mahnt zur Besonnenheit und erklärt, wie Europa die Türkei unter Druck setzen kann.
Türkei

Europa am Wendepunkt

Nachdem sich Erdogan in den Bundestagswahlkampf eingemischt hatte, formiert sich aus allen Parteien geschlossener Widerstand. Europapolitiker Manfred Weber mahnt zur Besonnenheit und erklärt, wie Europa die Türkei unter Druck setzen kann.

Im Streit um die Einmischung in den deutschen Bundestagswahlkampf durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Wochenende zeigt sich, dass die Berliner Politik zusammenhält. Nach Außenminister Sigmar Gabriel, der zuletzt eine härtere Gangart ankündigte, meldeten sich auch Vertreter der im Gegensatz zur SPD immer schon Türkei-kritischen CDU und CSU, sowie der FDP, der Grünen und der Linken zu Wort und forderten zum Teil Strafmaßnahmen gegen die Türkei.

Erdogan gibt Wahlempfehlungen

Erdogan hatte die wahlberechtigten Deutsch-Türken aufgefordert, nicht für die drei Parteien CDU, SPD oder Grüne bei der Bundestagswahl im September zu stimmen. Diese Parteien seien „Feinde der Türkei“, ihnen müsse „die beste Lektion erteilt werden“. An die Adresse von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte Erdogan am 19. August bei einer Veranstaltung in Denizli gesagt: „Wer sind Sie denn, um den türkischen Präsidenten anzusprechen? Erkennen Sie Ihre Grenzen.“ Gabriel hatte die „Wahlempfehlung“ Erdogans an die in Deutschland lebenden Türken als „einmaligen Eingriff in die Souveränität unseres Landes“ bezeichnet.

Europa sollte auch besonnen bleiben.

Manfred Weber, Europapolitiker

Europapolitiker Manfred Weber warnte jedoch davor, auf jede Provokation zu reagieren, die Erdogan von sich gäbe. „Die Äußerungen von Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Bundestagswahlkampf und die Aktivitäten der türkischen Regierung waren völlig inakzeptabel. Aber wir sollten nicht auf jede Provokation reagieren, die Erdogan von sich gibt. Wir müssen sicherlich entschiedener auftreten als bisher. Aber Europa sollte auch besonnen bleiben“, sagte Weber im Interview mit dem Donaukurier.

Ende der Beitrittsgespräche erhöht Druck

Er forderte, dass die Beitrittsgespräche als wichtigste Konsequenz beendet werden müssten. „Wir sind an einem Wendepunkt angelangt und brauchen Ehrlichkeit in den Beziehungen zu Europa“, sagte er. Die Idee des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union bezeichnete Weber als „Lebenslüge, für die sich Gerhard Schröder in seiner Zeit als Bundeskanzler entschieden hat“. Erst die rot-grüne Bundesregierung hatte ab 1998 der Türkei mit aller Macht zum Kandidatenstatus verholfen. Sobald die Beitrittsgespräche beendet seien, könne Europa die Heranführungsmittel für die Türkei als Druckmittel einsetzen. Das sei ein wichtiger Hebel, da diese Gelder für Erdogan gerade bei der Infrastruktur sehr wichtig seien, betonte Weber.

Europa muss seine wirtschaftliche Macht nutzen.

Manfred Weber, Europapolitiker

Zu weiteren Druckmitteln zählte er, dass die Verhandlungen über eine Zollunion mit der Türkei und die Visa-Freigabe auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt seien. „Europa muss seine wirtschaftliche Macht nutzen“, sagte der CSU-Politiker der Zeitung. Auf Dauer werde sich Erdogan seine Politik der Provokation nicht leisten können.

Auslandsvermögen einfrieren

Auch der außenpolitische Experte der Unions-Bundestagsfraktion, Roderich Kiesewetter, drängt auf eine europäische Lösung. „Beispielsweise sehe ich den Hebel, dass wir das Auslandsvermögen des Erdogan-Clans einfrieren“, sagte der CDU-Politiker im rbb-Inforadio. Der Clan von Präsident Recep Tayyip Erdogan habe sich auf dem Balkan sehr stark bereichert, unter anderem in der Energieversorgung des Kosovo. „Einerseits frieren wir Auslandsvermögen von russischen Oligarchen ein, aber bei der Türkei machen wir nichts“, ärgerte sich Kiesewetter.

Experten erwarten aber erst nach der Bundestagswahl konkrete Schritte Deutschlands gegen die Türkei.

„Union wählen und Erdogan ärgern!“

Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) zeigte sich überzeugt, dass Erdogans Aufruf keine große Wirkung haben werde. „Unsere türkischstämmigen Mitbürger sind klüger als Erdogans Beeinflussungen“, sagte er der Bild-Zeitung. „Die Wähler in Deutschland haben keine Belehrung aus dem Ausland nötig.“ Die Union reagierte auf Erdogan, indem sie den Spieß umdrehte: „Eine einzigartige Chance: Union wählen und Erdogan ärgern!“, twitterte Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer.

Mehr als die Hälfte der Türkei ist demokratisch gesinnt, die haben ihn nicht unterstützt.

Sigmar Gabriel, Bundesaußenminister

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel sprach sich dafür aus, künftig mit denjenigen in der Türkei „eng zusammenzuarbeiten“, die nicht auf der Seite des türkischen Präsidenten Erdogan stehen. „Mehr als die Hälfte des Landes ist demokratisch gesinnt, die haben ihn nicht unterstützt“, sagte er bei einer „Europapolitischen Schiffstour“ mit dem saarländischen Spitzenkandidaten Heiko Maas in Perl. Die deutsch-türkischen Beziehungen bezeichnete Gabriel als „großen Schatz“.

(dpa/Donaukurier/AS)