VW-Betriebsversammlung 2016: Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) spricht. (Bild: Imago/regios24)
Rot-Grün

Niedersachsen vor Neuwahl

Drei Tage nach dem Verlust der rot-grünen Regierungsmehrheit in Niedersachsen soll am Montag die Entscheidung über den Termin der Neuwahl fallen. Die Kritik an der zur CDU gewechselten Abgeordneten Elke Twesten wird zunehmend beleidigend.

Landtagspräsident Bernd Busemann, Regierungschef Stephan Weil (SPD) und die vier Fraktionsvorsitzenden wollen darüber beraten, wie es weitergeht. CDU und FDP wollen so schnell wie möglich wählen lassen – am 24. September, wenn auch der Bundestag gewählt wird. Als weiterer Termin ist der 22. Oktober im Gespräch. Nach Einschätzung der Beteiligten könnten vor allem kleinere Parteien mehr Zeit brauchen.

Die niedersächsische Abgeordnete Elke Twesten hatte am Freitag ihren Austritt aus der Grünen-Fraktion im Landtag verkündet und erklärt, sie sehe ihre Zukunft in der CDU. Die rot-grüne Koalition von Weil verlor dadurch ihre Ein-Stimmen-Mehrheit.

Weils Regierungserklärung durch VW frisiert?

Der SPD-Ministerpräsident, zugleich VW-Aufsichtsrat, muss sich nun auch noch gegen Vorwürfe im VW-Dieselskandal verteidigen. Im Oktober 2015 hatte er eine Regierungserklärung vorab an den Autokonzern gegeben. Laut Bild am Sonntag hatte Regierungssprecherin Anke Pörksen den Entwurf der Landtags-Rede an den VW-Cheflobbyisten und früheren SPD-Sprecher Thomas Steg geschickt, einen langjährigen Weggefährten von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD). Dort sei die Rede laut einem beteiligten VW-Mitarbeiter „weichgespült“ worden, behauptete die BamS. Thema der Rede war der Skandal um illegale Abschalteinrichtungen bei VW, die in den USA Schadenersatzklagen ausgelöst hatten.

Die Staatskanzlei dementierte Beschönigungen und veröffentlichte einen Vergleich des Entwurfs mit der vor dem Landtag gehaltenen Rede. Zu erkennen sind zahlreiche Änderungen, die teils vom Hausanwalt der Regierung vorgenommen wurden, teils auf Anregung von VW. Die inhaltlich schärfste Formulierung blieb erhalten: „So erklärt es sich auch, dass wir alle tief betroffen und entsetzt sind zu erfahren, dass bei Volkswagen über etliche Jahre hinweg Abgaswerte manipuliert worden sind. Dieses Vorgehen ist unverantwortlich, völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen.“ Fraglich ist jedoch, warum eine Passage über VW entpersonalisiert wurde. Zunächst hieß es dort: „Volkswagen hat damit gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbraucht.“ Auf Anregung von VW wurde daraus: „Damit ist gegen Gesetze verstoßen und Vertrauen missbraucht worden.“ Die meisten der weiteren Änderungen durch VW beziehen sich auf technische Details und Angaben zum amerikanischen Verfahrensrecht.

Das Gemauschel bei der Regierungserklärung in Niedersachsen ist eine handfeste Affäre und muss definitiv Weils Rücktritt bedeuten.

Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

Ein VW-Sprecher erklärte, es sei üblich, dass Aufsichtsratsmitglieder geplante Aussagen über Konzernangelegenheiten mit VW abstimmen. Das Land Niedersachsen hält 20 Prozent der Stimmrechte bei VW und hat damit ein gewichtiges Mitspracherecht – und eine gehörige Portion Mitverantwortung für die Skandale. Vor allem aus Reihen der CDU gab es für die Absegnung der Rede Kritik. Weils Herausforderer Bernd Althusmann (CDU) äußerte sich „fassungslos, dass ein Ministerpräsident sich mit dem Konzern, den er beaufsichtigen soll, in Fragen der Regierungserklärung zur wirklich weitreichenden Diesel-Krise versucht abzustimmen, beziehungsweise Reden dort vorlegt. Er soll beaufsichtigen und nicht beaufsichtigt werden“. Auch wenn rechtliche Abstimmungen erforderlich gewesen seien, schade der Vorgang der Demokratie und sei einmalig in Deutschland. CDU-Generalsekretär Peter Tauber befürwortete in Focus Online schnelle Neuwahlen. „Nachdem Rot-Grün so klar gescheitert ist, spricht einiges dafür, dass man sich sehr bald dem Wählervotum stellt.“ CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte in der Passauer Neuen Presse Konsequenzen: „Das Gemauschel bei der Regierungserklärung in Niedersachsen ist eine handfeste Affäre und muss definitiv Weils Rücktritt bedeuten.“

Giftige Attacken gegen Twesten und die CDU

„Das ist jetzt ein plumper Versuch, die erfolgreiche Regierung unter Stephan Weil zu diskreditieren und von den Machenschaften der CDU in Niedersachsen abzulenken, die hinter dem Wechsel einer Grünen-Abgeordneten zur CDU-Fraktion steht“, behauptete SPD-Linksaußen Ralf Stegner, ohne allerdings Belege dafür liefern zu können. Auch Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach von angeblichen Stimmenkäufen der CDU. Der frühere grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin warf Twesten vor, sie habe mit den Stimmen der Bürger „Schindluder getrieben“. Die CDU habe „mit dem Instrument des Stimmenkaufs dieses Verhalten gefördert, gestützt und begünstigt“.

Zum Teil niederträchtig, zutiefst beleidigend und menschlich unanständig.

Elke Twesten, über ihre ehemaligen grünen Parteifreunde

Die zur CDU gewechselte Abgeordnete Elke Twesten wies diese Kritik als „beleidigend“ zurück. Sie habe sich nicht kaufen lassen. Das seien „haltlose Unterstellungen“, da sie bei den kommenden Wahlen gar nicht für die CDU in den Landtag oder in den Bundestag einziehen könne, weil die CDU-Landesliste längst geschlossen sei. „Von Seiten der CDU gab es keine Versprechungen oder – wenn man jetzt einen Blick in die soziale Netzwelt legt – sogar Ablösesummen, von denen da groteskerweise die Rede ist“, sagte Twesten dem Deutschlandfunk. Ihr Austritt habe inhaltliche Gründe: So hätten die Grünen ihre Kritik „am Kurs der Partei“ über längere Zeit nicht ernst genommen. Differenzen habe es etwa bei den Themen Fracking, Deichsicherheit und Einwanderung von Wölfen gegeben. Zudem hätten die Grünen neue Infrastrukturmaßnahmen blockiert. Mit Kritik habe sie gerechnet, aber was sie nun von Parteifreunden erlebe, sei „zum Teil niederträchtig, zutiefst beleidigend und menschlich unanständig“. „Die Partei hat mir das Vertrauen entzogen, wieso sollte ich das Vertrauen von meiner Seite aufrechterhalten?“, wies sie ihre Parteifreunde im Deutschlandfunk zurecht. Auch ein Listen-Abgeordnetenmandat sei laut Grundgesetz frei und gehöre nicht einer Partei. Twesten war in ihrem Wahlkreis in Rotenburg nicht wieder für die Landtagswahl nominiert worden, weil eine unerwartete Gegenkandidatin siegte – die aber aufgrund ihres späten Antritts nicht auf der grünen Landesliste abgesichert ist. Damit bleibe der Stimmkreis wohl ohne grüne Abgeordnete, so Twesten.

Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann warf SPD und Grünen Verleumdung vor. „Jegliche Legendenbildung, wir hätten die Abgeordnete Twesten zum Übertritt bewegt, sind definitiv falsch und verleumderisch“, sagte er der Welt am Sonntag. (dpa)