Die Steine des Anstoßes: Die Stadt München ließ die beiden Stolpersteine des Ehepaars Jordan wieder entfernen. Bild: Andreas Gregor
NS-Gedenken

Stolpersteine

In vielen bayerischen Städten sind sie mittlerweile zu sehen: Die "Stolpersteine". Diese Erinnerungstafeln werden vor den früheren Wohnhäusern von NS-Opfern meist in den Gehweg eingelassen, um den Verstorbenen zu gedenken. Ausgerechnet die Landeshauptstadt München verweigert sich. Eine Initiative will das ändern.

80.000 Menschen setzen sich dafür ein, dass auch in der Landeshauptstadt und ehemaligen „Hauptstadt der Bewegung“ Stolpersteine in Bürgersteige eingelassen werden dürfen. Sie wollen damit an die Opfer des Nazi-Regimes erinnern, deren Namen sie auf ein 480 Meter langes Band geschrieben haben, das beim NS-Dokumentationszentrum ausgerollt wurde. Die Unterschriften wurden schon vor Monaten mit zwei Online-Petitionen gesammelt. Später wollen die Stolperstein-Freunde die Namensliste dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD)übergeben. Bisher liegen schon über 50.000 Stolpersteine in ganz Europa – mit überwiegend guten Erfahrungen. Es gibt Stolpersteine für jüdische, katholische und protestantische Opfer sowie Zeugen Jehovas, außerdem für Homosexuelle und Kommunisten, für Sinti und Roma sowie für Opfer der „Euthanasie“. Der Künstler Gunter Demnig hat dafür zahlreiche Auszeichnungen bekommen, darunter das Bundesverdienstkreuz. Die Initiatoren sehen in den 80.000 Unterstützern ein sichtbares Zeichen dafür, dass viele Bürger in Sachen Erinnerung anders denken als der Stadtrat. Viele Kommunen sehen das offenbar genauso: Allein in Bayern haben 63 Städte und Gemeinden Stolpersteine verlegt, darunter Deggendorf, Landshut, Freising, Straubing, Augsburg, Memmingen, Kempten, Schwandorf, Nürnberg, Erlangen, Ansbach, Würzburg, Bamberg, Bad Kissingen, Schwabach, Coburg, Kulmbach, Selb und Aschaffenburg. In München jedoch gibt es nur 27 auf Privatgrund verlegte Steine, weitere 250 gespendete Steine warten auf Verlegung, teilweise sind diese in öffentlichen Gebäuden ausgestellt.

Das Verbot in München

Vor elf Jahren hatte der Münchner Stadtrat die Stolpersteine für NS-Opfer unter dem damaligen OB Christian Ude (SPD) verboten. Zwei bereits verlegte Stolpersteine für das Ehepaar Jordan in der Mauerkircher Straße 13 wurden wieder herausgerissen. Das fanden selbst einige der damaligen rot-grünen Stadtratskoalition ziemlich daneben. Die Gedenksteine sollen an Siegfried und Paula Jordan erinnern, die 15 Jahre lang in der Mauerkircher Straße gelebt hatten. Am 20. November 1941 wurde das Ehepaar ins litauische Kaunas deportiert und vier Tage später dort erschossen.

„Es war, als ob meine Eltern zum zweiten Mal ermordet wurden”, sagte ihr Sohn Peter Jordan über die Entfernung der Stolpersteine. Er selbst hat die Shoah nur überlebt, weil er als 16-Jähriger 1939 mit einem Kindertransport nach England fliehen konnte. „Es gibt keinen Grabstein für sie“, sagte Peter Jordan über seinen Herzenswunsch. Deshalb würde er sich freuen, wenn sich die Menschen an seine Eltern dort erinnerten, wo sie zuletzt und vor allem freiwillig gelebt hatten. „Die meisten Leute trampeln nicht auf die Stolpersteine, sondern gehen an ihnen vorbei und werden an das erinnert, was damals geschah. Wenn man etwas nicht tut, weil die Möglichkeit besteht, dass es beschädigt werden könnte, wird man überhaupt nichts unternehmen“, kritisierte Jordan. Im Herbst will das Haus der Geschichte in Bonn diese beiden Steine ausstellen – als Beispiel für schlechte Erinnerungskultur!

Der neue Weg

Inzwischen hat sich die SPD-CSU-Rathauskoalition Ende April auf eine Alternative geeinigt: Keine Steine in den Bürgersteigen, sondern Erinnerungstafeln an den Hauswänden oder notfalls auf Stelen davor. Die Tafeln oder Stelen sollen aber nur eingerichtet werden, wenn die Angehörigen der Opfer das wollen. Außerdem wollen die beiden Fraktionen ein zentrales Namensdenkmal mit den Namen aller Opfer aus allen Opfergruppen. Dieses Denkmal soll in der Nähe der Sockel der so genannten Ehrentempel am Königsplatz nahe des NS- Dokumentationszentrums errichtet werden. Die Koalition hat es sich nicht leicht gemacht, sie begründet die Entscheidung so: „Die Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund wird kontrovers diskutiert. Die Frage nach einem würdigen Gedenken an jene, die vom nationalsozialistischen Regime verfolgt und getötet wurden, muss zwingend in einer Entscheidung geklärt werden.“ Darum wolle man den beschriebenen Weg gehen. Eine Absage an die Stolpersteine ist es also. Bürger können sich nun nicht mit einer Tafel engagieren. Damit ist aber auch klar, dass die Erinnerung deutlich geringer ausfallen wird, als es bei Stolpersteinen der Fall wäre, weil es wenige NS-Opfer gibt, die noch lebende Nachkommen haben.

Kritiker und Befürworter

Schärfste Kritikerin der Stolpersteine ist die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, sowie Teile ihrer israelitischen Kultusgemeinde. Ihrer Ansicht nach beschädige es die Würde der Opfer, wenn man mit Füßen auf ihnen (also den Steinen) herumtrampeln könne. Das sei, als würden die Opfer erneut mit Füßen getreten. Sie habe dabei die getretenen, am Boden liegenden Verletzten, Sterbenden und Toten vor Augen. „Die im Holocaust ermordeten Menschen verdienen mehr als eine Inschrift inmitten von Staub, Straßendreck und schlimmeren Verschmutzungen“, so Knobloch. Die Steine könnten zudem von Neo-Nazis geschändet werden. Aber kann das nicht jede Gedenkstätte in Deutschland? Es gab auch weitere Vorwürfe: Die Steine seien Massenware, der Künstler Demnig nutze sie zum Geldverdienen und Verfechter der Stolpersteine zeigten „unangebrachten Stolz“.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und damit Knoblochs Nach-Nachfolger, Josef Schuster, ist (wie auch sein Vorgänger Dieter Graumann, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Joachim Gauck und 130 jüdische Gemeinden in Deutschland) anderer Ansicht: „Durch das Lesen der Messingsteine, verbeugen wir uns wortwörtlich vor den Menschen, die den Nationalsozialisten zum Opfer fielen.“

Die Befürworter, darunter auch Romani Rose, der Präsident der Deutschen Sinti und Roma, sagen, dass sich beispielsweise bei dem Bodendenkmal für den ermordeten Kurt Eisner in München niemand störe, dass der mit Füssen getreten wird. „Die kleinen Messingplatten, eingelassen im Gehweg vor dem letzten freiwillig gewählten Wohnort der in den Tod gehetzten, verschleppten und ermordeten Kinder, Frauen und Männer, machen sichtbar, dass die Verbrechen an zahlreichen Plätzen, mitten in den Städten und vor aller Augen ihren Ausgang nahmen. Sie regen zum Innehalten und Hinsehen an, wo einst zu viele feindselig gehandelt oder gleichgültig weggeschaut haben“, so der offene Brief von Jan Mühlstein, Vorsitzender der Liberalen jüdischen Gemeinde München Beth Shalom, an den Stadtrat.

Das Verbrechen wird markiert, mitten in der Stadt

„Die Spender bezahlen nicht nur die Herstellung und Verlegung, sondern erforschen auch das Schicksal der Menschen, deren Namen und Geschichte mit den Stolpersteinen dem Vergessen entrissen wird“, so Mühlstein weiter. Eine städtische Koordinierungsstelle könne sicherstellen, dass Stolpersteine nicht errichtet werden, wenn nahe Angehörige widersprechen. Und die Befürworter wie Terry Swartzberg von der Stolperstein-Initiative verweisen auf Berlin: Mehr als 6000 Stolpersteine gibt es in der Hauptstadt. Es gibt eine Koordinierungsstelle mit hauptamtlichen Mitarbeitern, eine offizielle Homepage und pädagogische Begleitprogramme. Hinzu kommen Schulen, Initiativen und Privatpersonen, die sich nicht nur der Stolpersteine annehmen, sondern der Schicksale dahinter. Das Kunstprojekt ist über sich hinaus gewachsen.