Zerzaust von Umfragen: Die SPD versucht vergeblich, zu punkten – jetzt auch in der Flüchtlingspolitik. (Bild: Imago/Seeliger)
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Auf verlorenem Posten

Kommentar Der nächste Versuch von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, sein Profil zu schärfen, ist erneut gescheitert. Seine Aussagen zur Flüchtlingspolitik sind inhaltlich falsch, seine Forderungen nicht realisierbar und vor allem: unglaubwürdig. Eine Analyse.

Warum besucht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz Italien? Um sich dort „ein Bild über die Flüchtlingskrise“ zu machen? Schon vorab forderte Schulz mehr Hilfe für Italien und warnte vor einer „hochbrisanten“ Lage angesichts der Vielzahl im Mittelmeer geretteter Migranten, die in italienischen Häfen ankommt. Der SPD-Chef verwies auf 2015: Merkel habe damals die Grenze offen gehalten. „Aus gut gemeinten humanitären Gründen, aber leider ohne Absprache mit unseren Partnern in Europa“, kritisierte Schulz. „Wenn wir jetzt nicht handeln, droht sich die Situation zu wiederholen.“ Der SPD-Chef forderte schnelle europäische Antworten und schlug vor, mit finanzieller Unterstützung der EU-Kommission sollten EU-Partner Italien Flüchtlinge abnehmen – Deutschland ausgenommen.

Stimmt das?

Zunächst die Frage, ob Schulz inhaltlich mit seinen Vorwürfen richtig liegt: Natürlich kann sich ein erneuter Ansturm auf Europa und Deutschland wiederholen. Das weiß jeder, der die demografische und gleichzeitig wirtschaftliche Entwicklung in Afrika im Blick hat, der die weltweiten Flüchtlingsbewegungen durch Dürren, Kriege und Diktaturen beobachtet. „Wir wissen alle: Die Migrationswelle wird weitergehen“, so CSU-Chef Horst Seehofer kürzlich in der Welt am Sonntag.

Wir wissen alle: Die Migrationswelle wird weitergehen.

Horst Seehofer

Doch „hochbrisant“ ist die Lage derzeit nicht, wie der Europaabgeordnete Markus Ferber im BR erklärte. Deutschland nahm 2015 rund 900.000 Migranten auf. „Wenn Sie die Zahlen anschauen und mit dem vergleichen, was wir 2015 hatten, dann sind 100.000 Flüchtlinge, die zur Zeit in Italien sind, alle noch beherrschbar, insbesondere deswegen, weil das Gros der Last durch den EU-Haushalt und EU-Personal geleistet und getragen wird“, so Ferber. Italien wird also nicht allein gelassen, wie Schulz befürchtete. „Die Regierung in Rom fühlt sich deshalb alleingelassen, weil sie jetzt vor einem Wahlkampf steht und natürlich versucht, über diesen Hilferuf ein bisschen innenpolitische Luft zu bekommen“, ergänzte Ferber. Neue Zahlen zeigen zudem, dass Italien noch nicht mal alle von Deutschland angebotenen Plätze für eine Übernahme von Flüchtlingen angenommen hat: Von 5520 Umverteilungsplätzen wurden nur 4021 beansprucht.

Falscher Ansatz

Auch der Ansatz von Martin Schulz ist verfehlt. Eine europäische Lösung wäre wünschenswert, es wird sie aber nicht geben. Zum einen weigern sich mehrere Länder standhaft, überhaupt oder noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Das ist nicht nur Osteuropa, das betrifft auch Frankreich, das schon genug mit seinen bestehenden Migrationsproblemen zu kämpfen hat. Dagegen helfen auch Sanktionsdrohungen, EU-Gelder für die Flüchtlingsaufnahme oder ein ehemaliger EU-Parlamentspräsident wie Schulz nichts.

Dazu gehört auch, dass man mit noch mehr Flüchtlingen in Europa keine Wahl gewinnen kann. Die Bürger sehen die Grenzen der Aufnahmekapazität ihrer Länder. Eine von der EU verordnete Verteilung würde auch nicht gut ankommen im zweifelnden Europa. Ein kurzer Rundumblick reicht: Schweden hat die einst so offenen Grenzen geschlossen, Großbritannien steigt hauptsächlich wegen der Migrationsfrage aus der EU aus, Osteuropa will – wenn überhaupt – nur christliche Flüchtlinge aufnehmen, Österreich hat eine Obergrenze eingeführt. Und Deutschland debattiert seit den islamistischen Terrorakten, den Kölner Silvestervorfällen und einer gestiegenen Kriminalitätsrate bei Migranten intensiv über die Sicherheit der eigenen Bevölkerung.

Zum anderen würde auch eine Verteilung das Problem nicht lösen, weil die Flüchtlinge in einem Europa ohne Binnengrenzen am Ende doch immer dorthin gehen, wo sie hinwollen – und wo es das meiste Geld gibt, auch das trifft allzu oft zu. Also meistens nach Deutschland. Und wer erstmal hier ist, das hat jüngst CSU-Chef Seehofer resignierend gesagt, den kann man nur schwer wieder in die Heimat oder in das EU-Land rückführen, das er zuerst betreten hat. Denn irgendein Abschiebehindernis oder irgendein Fürsprecher findet sich bis dahin immer.

Drittens lässt sich das eigentliche Problem der Massenflucht gar nicht durch eine bessere EU-Verteilung lösen.

Die unglaubwürdige SPD

Natürlich ist Martin Schulz völlig unglaubwürdig, sein Gemecker ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver, um Angela Merkel zu schaden. Die SPD hätte in der Regierung Zeit genug für die Durchsetzung europäischer Lösungen gehabt, seit 2013 stellte sie den Außenminister. Doch die SPD und Schulz haben die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin immer unterstützt, auch den Alleingang im September 2015. „Frau Merkel hat ganz klar eine Position bezogen, die ich teile“, sagte Schulz im Herbst 2015. Der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel lief sogar mit „Refugees Welcome“-Button im Kabinett auf und sagte in einem Podcast im August 2015: „Ich bin sicher: Wir schaffen das.“

Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold.

Martin Schulz, Juni 2016

„Was die Flüchtlinge zu uns bringen, ist wertvoller als Gold“, säuselte der begeisterte Schulz in der Neuen Universität Heidelberg im Juni 2016 laut der Rhein-Neckar-Zeitung. „Es ist der unbeirrbare Glaube an den Traum von Europa.“ Oder doch nur an ein wirtschaftlich besseres Leben? Manche meinen, Europa abzuschotten, sei die richtige Antwort, so Schulz weiter. „Es ist die Lösung, die die Populisten des 21. Jahrhunderts in den kalten Nachthimmel schreien, nachdem sie die Fahnen ihrer Großväter aus dem Keller geholt haben“, schwang er die Nazikeule. Ein Monat vorher meinte Schulz noch reichlich naiv in einem Euronews-Interview: „Wenn Sie die eine Million Flüchtlinge, die wir derzeit haben, unter den 28 Mitgliedstaaten mit seinen 500 Millionen Einwohnern verteilen, dann verursacht das überhaupt keine Probleme.”

Zudem hat die SPD fast alles blockiert, was helfen und begrenzen konnte: „Mehr Abschiebungen, mehr sichere Herkunftsstaaten, Grenzkontrollen und Transitzonen“, nannte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer einige Beispiele.

2015 darf sich nicht wiederholen

Die CSU hat im Gegensatz zur SPD von Anfang an konsequent eine Begrenzung des Zuzugs gefordert und verschiedene Maßnahmen durchgesetzt, um das zumindest in der Praxis auch zu ermöglichen: Die Asylpakete, die Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsländer, Sach- statt Geldleistungen für Asylbewerber, schnellere Abschiebungen und vieles mehr. Dafür wurde sie jedes Mal gründlich mit der Nazikeule massiert, von den Grünen, den Linken, aber auch der SPD. Später wurde aber doch fast alles umgesetzt.

Eine Wiederholung von 2015 darf es nicht geben, darauf haben sich längst CDU und CSU im gemeinsamen Wahlprogramm geeinigt. Auch wenn die Kanzlerin das Wort Obergrenze meidet: diese Vereinbarung bedeutet nichts anderes als eine solche Zuwanderungsbegrenzung. Wenn sich der Zuzug von 900.000 Migranten nicht wiederholen darf, müssen es also weniger sein, deutlich weniger. Sind es weniger, muss man die Zahl ja irgendwie begrenzen.

Muss jetzt gehandelt werden?

Ja, denn zum einen landen je nach Wetter täglich Tausende Afrikaner in Italien an. Die Drohung der italienischen Regierung, Asylbewerber notfalls mit Visa auszustatten und auf die Weiterreise gen Norden zu schicken, muss man ernst nehmen. Schließlich hat das Land 2015 und 2016 bereits so gehandelt. Jetzt würde Österreich zwar wie angekündigt den Brenner dicht machen – doch viele Wege führen nach Deutschland. Zum anderen ist auch der Flüchtlingsdeal mit dem sprunghaften türkischen Diktator Erdogan nicht in Stein gemeißelt.

Außerdem kommen immer noch 15.000 Asylsuchende monatlich nach Deutschland, zwei Großstädte. Schon das ist eine enorme Herausforderung, für den Sozialstaat, die Bildungseinrichtungen, den Wohnungsbau, die Finanzen, die Innere Sicherheit, die vielen Helfer und die Bearbeiter der Asylgesuche. Und auch der ausgesetzte Familiennachzug ist noch ein ungelöstes Problem.

Die Rettung aus Seenot darf nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein.

Sebastian Kurz, Österreichs Außenminister

Notwendig ist auch die langfristige Aufgabe der Bekämpfung der Fluchtursachen, dafür steht in Deutschland die CSU mit Entwicklungsminister Gerd Müller.

Die Handlungsoptionen

Der Zuzug ist also keineswegs unter vollständiger Kontrolle, aber es gibt erste Anzeichen dafür, dass die EU mit Libyen die sofortige Rückführung aller geretteten Schiffbrüchigen in das nordafrikanische Land vereinbaren wird. Anders ist dieser neue Ansturm nicht aufzuhalten. „Die Rettung aus Seenot darf nicht mit einem Ticket nach Mitteleuropa verbunden sein“, hat der österreichische Außenminister Sebastian Kurz treffend analysiert. Erst wenn die Menschen das erkennen, wird diese gefährliche „Wanderroute“ aufgelöst. Das hatte im Februar auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gefordert und wurde in der SPD als „Einzelmeinung“ abgewatscht. Vizekanzler Gabriel lehnte den Plan ab, Schulz ebenso. Das sei nicht umsetzbar.

Der Eigentor-Schütze

Soziale Gerechtigkeit, Arbeitslosengeld Q, Investitionsverpflichtung und Chancen-Konto, keiner dieser unausgegorenen, realitätsfernen, uralten oder unfinanzierbaren Vorschläge hat Martin Schulz bessere Umfragewerte beschert. Schulz kann aber auch bei der Flüchtlingspolitik nicht punkten. Im Gegenteil: das war ein weiteres Eigentor für den ehemaligen Provinzfußballer aus Würselen.