Nein zur Stickstoffoxid-Belastung (NOx) in den großen Städten: Die Staatsregierung steuert gegen. (Bild: Imago/Michael Westermann)
Kabinett

Fahrplan für bessere Luft

Die Staatsregierung hat ein umfassendes Maßnahmenpaket für saubere Luft in den Innenstädten beschlossen. Damit sollen die Gesundheit der Bürger besser geschützt, aber gleichzeitig auch pauschale Fahrverbote vermieden werden.

Der Ministerrat hat an diesem Dienstag ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, mit dem die Luftqualität in den bayerischen Städten schnell, wirksam und nachhaltig weiter verbessert werden kann. „Wir wollen und müssen im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger die Stickstoffdioxidbelastung (NOx) in bayerischen Innenstädten schnellstmöglich reduzieren“, betonte Ministerpräsident Horst Seehofer. „Wir wollen dabei gemeinsam so vorgehen, dass der Gesundheitsschutz gewährleistet, die Funktionsfähigkeit der Innenstädte erhalten und die Mobilitätsinteressen von Bevölkerung und Wirtschaft berücksichtigt bleiben.“ Fahrverbote sollten vermieden werden.

Umweltministerin Ulrike Scharf wies in diesem Zusammenhang auf das prognostizierte Bevölkerungswachstum in Bayern hin – allein im Raum München sollen es weitere 300.000 Menschen bis 2035 sein.

Wir wollen und müssen im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger die Stickstoffdioxidbelastung in bayerischen Innenstädten schnellstmöglich reduzieren.

Horst Seehofer

Nach den Gesprächen mit Automobilkonzernen, betroffenen Kommunen und Wirtschaft und Handwerk habe man jetzt „einen klaren Fahrplan, der von allen Beteiligten zügig und koordiniert umgesetzt werden muss“, so Seehofer. Auch die Ministerpräsidenten der fünf Automobilländer hatten sich bereits auf gemeinsame Punkte verständigt.

Ausgleich zwischen Gesundheit und Mobilität

Umfang und Dotierung der einzelnen Maßnahmen bleiben den Haushaltsverhandlungen vorbehalten, sie sollen aber „kraftvoll“ sein. Allein bei den Maßnahmen zur Verbesserung des ÖPNV nannte die Umweltministerin für den Freistaat eine Summe von rund 400 Millionen Euro. Scharf betonte, dass sich „die Luftqualität in Bayern über die Jahren kontinuierlich verbessert“ habe, wie die 54 Messstationen bewiesen, sowohl bei Feinstaub-, als auch bei Stickstoffoxid-Werten. Sogar das besonders belastete München hat seit 2012 die Feinstaubgrenzwerte nicht mehr gerissen (an 35 Tagen ist eine Überschreitung zulässig). Schuld an den hohen Feinstaubwerten sind neben dem Verkehr hauptsächlich die Emissionen der Industrie und der Heizungen.

Staatsregierung, Kommunen, Verbände und Automobilwirtschaft sind sich einig, dass pauschale Diesel-Fahrverbote keine Lösung sind.

Ulrike Scharf, Umweltministerin

„Nachhaltige Mobilität ist ein Mega-Thema der Zukunft, gerade für unsere wachsenden Ballungsräume. Mit den Maßnahmen für saubere Luft gehen wir in Deutschland voran und schaffen einen Ausgleich zwischen Gesundheit und Lebensqualität auf der einen Seite und den Anforderungen an die Mobilität im 21. Jahrhundert“, erklärte Umweltministerin Ulrike Scharf. „Staatsregierung, Kommunen, Verbände und Automobilwirtschaft sind sich einig, dass pauschale Diesel-Fahrverbote keine Lösung sind. Stattdessen setzen wir auf ein umfassendes Maßnahmenbündel.“

Gezielte Maßnahmen

Das beschlossene Paket sieht neben der zügigen Nachrüstung von Euro-5-Diesel-Pkw auch spürbare Kaufanreize für die Flottenumrüstung von Diesel-Pkw, eine Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs, den raschen Ausbau der E-Mobilität und die Förderung des Radverkehrs vor. „Insbesondere die Maßnahmen zur Minderung der Emissionen an der Quelle, also die Nachrüstung von Kraftfahrzeugen sowie die beschleunigte Flottenerneuerung, können kurzfristig einen relevanten Beitrag zur Verbesserung der Luftqualität leisten“, so Scharf. „Auch in der Stärkung des ÖPNV liegt ein wichtiger Hebel zur Verbesserung der Luftqualität.“

Zügige Verbesserung der Flottenwerte

Wenn die Impulse der beschriebenen Maßnahmen deutschlandweit und markenübergreifend aufgegriffen werden, kann sich die NOx-Emission der Dieselflotte im Bestand in Deutschland bis 2021 halbieren. Und es gilt: Wenn sich alle Autohersteller beim Autogipfel des Bundes am 2. August auf die Umrüstung binnen eines Jahres verständigten, „rechnen wir mit einer Reduzierung um bis zu 20 Prozent der Stickstoffoxide“, so Scharf. Bei der Ertüchtigung von Euro-5-Diesel-Pkw haben die bayerischen Automobilhersteller BMW und Audi bereits zugesagt, dass mindestens 50 Prozent ihrer Diesel-Pkw durch ein Software-Upgrade ein für die Absenkung der NOx-Emissionen im innerstädtischen Bereich relevantes Niveau erreichen können. Die Umrüstung soll für die Kunden kostenfrei erfolgen, darauf will man sich aber noch mit den anderen Herstellern verständigen.

Durch Kaufanreize für modernste Dieselfahrzeuge etwa durch Änderungen im Bereich der Pkw-Steuer sollen auch Autokäufer ein klares Signal pro neuester Euro-6-Technik erhalten. Man brauche Dieselfahrzeuge nämlich weiterhin, so Scharf, um die Klimaschutzziele zu erreichen – weil der CO2-Ausstoß geringer ist als beim Benziner.

Gemeinsam mit den Kommunen wird die Staatsregierung zudem Förderkonzepte für eine geregelte Erneuerung auch bei kommunalen Nutzfahrzeugflotten wie etwa für Müllabfuhr, Bauhöfe oder Feuerwehr entwickeln. Die Bayerische Nutzfahrzeugindustrie wird mögliche Lösungsansätze im Rahmen einer gemeinsamen Plattform mit Politik, Kommunen und Gewerbe unterstützen.

Förderung innovativer Antriebe

Insbesondere die staatliche Förderung zum Aufbau der Ladeinfrastruktur bei der E-Mobilität soll aufgestockt werden. Außerdem sollen synthetische Kraftstoffe weiterentwickelt werden.

Den ÖPNV ausbauen

Ziele sind in diesem Bereich die Aufstockung des Busflottenbestands durch Neuanschaffung zusätzlicher Euro-6-Busse und anderer emissionsarmer oder -freier Antriebe. Bei Tram- und U-Bahn sollen zusätzliche Kapazitäten (Taktverdichtung) durch neue Fahrzeuge ermöglicht werden. Auch Elektro-Busse werden künftig gefördert. Im Schienenpersonennahverkehr soll es Pilotprojekte mit alternierender Antriebstechnik geben.

Weitere Maßnahmen: mehr Pkw- und Fahrrad-Abstellplätze an Haltestellen und Bahnhöfen, Schnelligkeit und Zuverlässigkeit im ÖPNV erhöhen und mehr Pkw-Fahrer zum Umstieg auf den ÖPNV veranlassen. Dazu sollen neue U-Bahn- und Straßenbahn-Linien, Busspuren, Busbahnhöfe und Bushaltestellen errichtet, Vorrangschaltungen an Ampeln geschaffen sowie die Umsetzung digitaler Infrastruktur (Echtzeitfahrpläne, E-Ticketing, Mobilitäts-Apps) gefördert werden. Dieselzüge wie bei der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) sollen durch Elektrotriebzüge ersetzt werden.

In Ballungsräumen soll es Anreize für Tangential- und Expressbusverbindungen geben – insbesondere im Raum München, da dort das S-Bahn-System auf die Stadtmitte ausgerichtet ist. Die Planungen der Landeshauptstadt für eine Tram durch den Englischen Garten werden als gutes Beispiel genannt. All diese Maßnahmen sollen letztlich Bürger dazu bewegen, auf den ÖPNV umzusteigen. Dazu soll es auch finanzielle Anreize, etwa durch steuerliche Privilegierung für vom Arbeitgeber bezuschusste ÖPNV-Fahrkarten geben. Und: Bislang zahlen MVV-Kunden für ein Jahresabo den Preis von zehn Monatskarten, künftig sollen es nur noch neun sein.

Maßnahmen zur Förderung des Radverkehrs

Auch der Radverkehr soll gefördert werden. Ziel ist, den Anteil des Rades an den Wegen auf 20 Prozent zu steigern. Voraussetzung ist ein bayernweites „Radverkehrsnetz für den Alltagsverkehr“. Auch Radschnellwege soll es in den Ballungsräumen München und Nürnberg geben. Sichere Fahrradabstellanlagen werden an zentralen Stellen getestet.

Maßnahmen zur Unterstützung nachhaltiger Mobilitätskonzepte

Die Kommunen sollen bei der Erstellung nachhaltiger und innovativer Masterpläne für Mobilität und Logistik, wie etwa der Mobilitätsdrehscheibe Augsburg (Neuordnung des Augsburger Straßenbahnnetzes sowie Maßnahmen des Innenstadtumbaus) mitsamt dem Augsburger Projekt „Fahrradstadt 2020“, unterstützt werden. Ebenso soll der bayerischen Fahrzeugindustrie bei der Erstellung nachhaltiger Logistikkonzepte geholfen werden.

Besonders belastete Straßen

Neben dem Maßnahmenpaket hat das Umweltministerium auch ein Verzeichnis von Straßen in München vorgelegt, in denen eine Überschreitung des Stickstoffdioxid-Jahresmittelgrenzwerts für 2017 erwartet wird. Das Modellierungsergebnis weist für 24 Prozent des betrachteten 511 km langen Hauptverkehrsstraßennetzes innerhalb des Stadtgebietes eine NO2-Belastung > 40 μg/m³ und damit eine Überschreitung des NO2-Grenzwertes für das Jahresmittel auf. „Wenn knapp 25 Prozent eines Straßennetzes bei Stickstoffoxiden betroffen sind, dann ist das schon ein Alarmzeichen, dem wir Taten folgen lassen müssen“, sagte Ministerpräsident Seehofer. Die Daten gibt es bei der Regierung von Oberbayern.

Stuttgart stoppt Fahrverbote

Baden-Württembergs grün-schwarze Landesregierung verzichtet unterdessen auf ihre für 2018 angekündigten Fahrverbote in Stuttgart unter der Bedingung, dass eine Nachrüstung älterer Diesel wirksam ist. Auf diese Linie einigte sich das Kabinett von Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) nach Informationen der dpa am Dienstag. Auch hier setzt man auf ein Maßnahmenpaket.