Kreißsaal wegen Hebammenmangel geschlossen? (Bild: Imago/Westend61; Photothek; Montage: BK)
Gesundheit

Burnout im Kreißsaal

Trotz Babyboom in Bayern schließen die Geburtsstationen. Und gerade in ländlichen Regionen finden Frauen keine Hebammen für die Nachsorge. Gibt es einen Weg aus der Kreißsaal-Krise?

Zwölf Frauen stehen im Kreis und strecken ihre Arme in die Höhe. Neben ihnen parken Kinderwägen, in einem von ihnen liegt Lukas. Das 15 Wochen alte Baby beginnt zu schreien, Marita Burkhardt nimmt es aus dem Wagen. „Ich mache jetzt nur mit einem Arm weiter, ihr bitte mit zwei“, ruft sie den Frauen des Rückbildungskurses zu, Lukas klemmt sie sich unter ihren einen Arm. Er schaut mit großen Augen in die Runde. Zu schreien hat er vergessen. Burkhardt weiß, wie sie Babys beruhigt. Seit knapp 30 Jahren stehen die Frischgeborenen im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Die 50-Jährige arbeitet als selbstständige Hebamme im Landkreis Regensburg. „Der Job in der Geburtshilfe ist brutal anstrengend, du rennst 12 Stunden und dann noch Hausbesuche – das packst du nicht auf Dauer“, sagt sie. Rund um Regensburg haben sich die Hebammen deshalb organisiert. Burkhardt und zwei Kolleginnen übernehmen die Geburtsvorbereitung und Nachsorge mit Rückbildung. Die Übrigen arbeiten in der Geburtshilfe.

Einige meiner Kolleginnen stehen kurz vor dem Burnout.

Marita Burkhardt, Hebamme

Keine Geburtsstationen trotz Babyboom

Doch in ländlichen Regionen wie im oberpfälzischen Landkreis Cham oder im Bayerischen Wald haben immer mehr Frauen Probleme, Hebammen für die Vorbereitung und Nachsorge zu finden. „Einige meiner Kolleginnen stehen kurz vor dem Burnout. Die Betreuung ist einfach nicht mehr zu schaffen, weil die Anfahrten immer länger werden“, sagt Burkhardt. Gleichzeitig finden auch die Kliniken immer weniger Personal für die Geburtsabteilung. So schlossen in den vergangenen acht Jahren an mehr als 35 Kliniken in Bayern die Stationen. Und das, obwohl in allen Regierungsbezirken so viele Kinder zur Welt kommen, wie seit 15 Jahren nicht mehr. Die Geburtenzahl stieg im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr um knapp vier Prozent auf rund 118.200. Den deutlichsten Anstieg gab es in Niederbayern und in der Oberpfalz mit 4,8 Prozent.

Personalmangel zermürbt Hebammen

Für die Engpässe gibt es mehrere Gründe. „Die Arbeitsbedingungen werden einfach immer schlechter“, sagt Astrid Giesen, Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes. Die Verdienstaussichten sind nicht gerade verlockend: Berufseinsteigerinnen kommen mit Nachtzuschlägen auf 2000 Euro netto monatlich, mit Erfahrung können es bis zu 2500 Euro sein. Aber es ist nicht allein das Geld. Vielen macht der Personalmangel zu schaffen, weil die Arbeit auf immer weniger Schultern lastet – sei es in der Klinik oder in der Nachsorge auf dem Land.

Burkhardt besucht bis zu sieben Frauen pro Monat zuhause. „Die absolute Obergrenze liegt bei zehn – dann noch die eigene Familie nebenbei zu organisieren ist ein Kraftakt“, sagt sie. Neben Hausbesuchen nimmt nämlich auch die digitale Betreuung immer mehr Zeit in Anspruch. „Mit einigen Frauen stehe ich fast täglich per WhatsApp in Kontakt“, sagt Burkhardt. Arbeit, für die sie nicht bezahlt wird.

Geburten bringen kein Geld

Silvia Schmid beruhigt es, zu wissen, dass Burkhardt bei Fragen immer schnell reagiert. „Lukas Bauchnabel sah komisch aus. Ich habe Marita ein Bild geschickt und sie konnte mich gleich beruhigen, dass ich mir keine Sorgen machen muss“, sagt sie.

Um eine Hebamme kümmerte sich Schmid gleich nachdem sie erfuhr, dass sie schwanger ist. „Ich war vorgewarnt, dass es zu Engpässen kommen kann“, sagt sie.

Engpässe gibt es aber nicht nur, weil der Hebammenberuf für Frauen immer unattraktiver wird. Auch der Trend spielt eine Rolle, die Geburtshilfe in großen Kliniken zu zentralisieren. Denn für Krankenhäuser lohnen sich Geburtsstationen im Schnitt erst ab 1000 Geburten pro Jahr. Davon sind einige in den ländlichen Regionen weit entfernt.

Streit mit den Krankenkassen

Dabei haben die Hebammen nicht nur mit Kreißsaal-Schließungen zu kämpfen. Sie streiten derzeit auch mit den Krankenkassen darüber, wie Freiberufler künftig ihre Leistungen abrechnen und ihre Arbeit organisieren. Einen Entschluss darüber vertagen die Entscheider seit Monaten, zuletzt Anfang Juli. Nach dem Willen der Krankenkasse sollen selbstständige Hebammen nicht mehr als zwei gleichzeitig erfolgte Betreuungen von Schwangeren abrechnen können – aus Sicht der Hebammen völlig unrentabel, auch bei höherer Vergütung. „So ein Entschluss wäre auch für die Strukturen in den Kliniken sehr ungünstig. Dort haben sich Systeme etabliert, bei denen einige Hebammen nur noch organisatorische Aufgaben übernehmen“, erklärt Burkhardt.

Die Entscheidung hat vor allem für Bayerns Kliniken Brisanz. Dort sind rund die Hälfte aller Hebammen selbstständig, während es im restlichen Bundesgebiet nur 17 Prozent sind. Grund genug für viele Landräte, im Streit mitzumischen, da viele Landkreise Träger von Kliniken sind. Denn das geplante Vergütungssystem könnte dazu führen, dass sich noch weniger Beleghebammen im ländlichen Raum niederlassen.

München weist werdende Mütter ab

Burkhardt ist Mitglied im Qualitätszirkel für Hebammen rund um Regensburg und Kreissprecherin für den Landkreis. Auf der Internetseite „hebammenliste-regensburg.de“ versucht sie, die Versorgung in der Region zu verbessern. „Am besten wäre eine Zentralstelle, die diese Aufgabe übernimmt und auch Bereitschaftsdienste organisiert“, sagt Burkhardt. In München übernimmt das beispielsweise die „AG Geburtshilfe“. Dort organisieren sich Vertreter der großen städtischen und universitären Kliniken. Sie koordinieren die Verteilung werdender Mütter auf die Krankenhäuser. Wer Kapazitäten hat, ist über die Internetseite Ivena abrufbar. Trotzdem seien laut Verein Mother Hood in Münchner Kreißsälen bereits hunderte Frauen abgewiesen worden. „Wenn in einem Staat wie Deutschland, der so reich ist, eine Frau in den Wehen weggeschickt wird, dann muss ich mich schon fragen, was da in der Planung falsch gelaufen ist“, sagt Verbandsvorsitzende Giesen.

Wie viele Hebammen wo genau im Freistaat fehlen, ermittelt derzeit das Bayerische Gesundheitsministerium. Die in Auftrag gegebene Studie wird allerdings erst im kommenden Jahr vorliegen. Bis dahin heißt es für werdende Mütter: frühzeitig auf Hebammensuche gehen.