Die Mörder unter uns? Taliban-Parade durch die afghanische Stadt Musa Qala 2007. (Bild: Imago/Aziz Ahmad Tassal/Zuma Press)
Flüchtlinge

Der Taliban-Trick

Tausende Asylbewerber aus Afghanistan haben sich als ehemalige Taliban-Kämpfer bekannt. Nun muss die deutsche Justiz klären, ob das nur Märchen waren, um in Deutschland Asyl zu erhalten – oder ob die islamistischen Mörder tatsächlich unter uns sind.

Die deutsche Justiz steht vor einer großen Herausforderung: In ihren Asylgesprächen mit Mitarbeitern des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) haben sich laut Berichten der Welt und des Spiegel seit Beginn des Flüchtlingsstromes 2015 mehrere tausend afghanische Migranten als ehemalige Taliban-Kämpfer oder -Unterstützer geoutet. Andere angebliche Flüchtlinge sollen sich als Teil der islamistischen Terrorgruppen Boko Haram (Nigeria) und Schabab (Somalia) bekannt haben. Zuvor lag der Fokus immer auf einer Mitgliedschaft beim Islamischen Staat (IS).

Bearbeitungsstau als Sicherheitsrisiko

2015 und 2016 stellten 160.000 Afghanen einen Asylantrag in Deutschland. Insofern erstaunt die Zahl von mehreren tausend Ex-Taliban nicht. Warum das alles aber erst jetzt bekannt wurde, hat offenbar mit dem enormen Bearbeitungsstau beim BAMF zu tun. Die Berichte über diese Asylgespräche wurden schlicht erst vor ein paar Monaten abgearbeitet.

Nun gibt es zwei Gründe, warum sich die Afghanen zu der Mitgliedschaft in der islamistischen Terror- und Mördertruppe der Taliban bekannt haben:

  • Sie wussten einfach nicht, dass schon die Mitgliedschaft oder Unterstützung in einer Terrororganisation hierzulande strafbar ist (bis zu zehn Jahre Haft) und Mord oder Kriegsverbrechen auch in Deutschland verfolgt werden (Strafe bis zu lebenslanger Haft).
  • Sie haben gelogen, um sich eine bessere Ausgangsposition als Asylbewerber zu verschaffen, auch weil seit Dezember 2016 mehr als hundert abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan in ihre Heimat abgeschoben wurden. Zudem ist die Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus Afghanistan in den ersten beiden Monaten 2017 auf 47,9 Prozent gesunken.

Kein Witz: Taliban als Flüchtlinge

Denn so unglaublich es klingt: Weil Ex-Taliban in Afghanistan laut einem UN-Bericht Strafen bis hin zur Hinrichtung sowie Folter durch die Polizei drohen, kann diese Mitgliedschaft bereits in Einzelfällen ausreichen, um in Deutschland Schutzstatus zu erhalten. Dies hat das BAMF der Welt bestätigt. Warum aber überhaupt ein Mitglied einer solchen außergewöhnlich brutalen Terrormiliz Anspruch auf Schutzstatus haben kann, ist ein Versäumnis der Vereinten Nationen: Sie haben im Gegensatz zu Deutschland die Taliban bisher nicht als terroristische Organisation eingestuft. Wäre das der Fall, wären ihre Mitglieder vom Schutzstatus der Genfer Flüchtlingskonvention nicht erfasst. Es gibt aber laut BAMF noch eine Möglichkeit, den Schutzstatus zu verweigern: „Im Falle einer Beteiligung an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit liegt ebenfalls ein Ausschlussgrund vor.“ In solchen Fällen würde dem Betroffenen auch keine Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Märchen oder echtes Geständnis?

Die Ermittler halten beide Varianten für möglich – Unwissenheit und Lüge. Zum Teil widerriefen die Afghanen jetzt ihre Geständnisse mit der Begründung, sie seien ihnen von der Schleppermafia empfohlen worden, um die Asylchancen zu erhöhen. Ein Informationsdefizit auch bei den Schleppern ist nicht auszuschließen. Zudem beklagte die afghanische Regierung jüngst, dass vor allem die Bessergebildeten und etwas Wohlhabenderen das Land verließen – wozu Taliban eher nicht gehören.

Andere Geständnisse schienen den Ermittlern laut Spiegel „glaubhaft“. Einmal, weil die Afghanen von einer deutschen Strafbarkeit wirklich nichts wussten, und zum zweiten, weil sie sich teilweise übelster Verbrechen bis hin zu Vergewaltigung und Mord bezichtigten. Überdies hätten die teils sehr drastischen Schilderungen der Gräueltaten sehr wahrheitsgetreu gewirkt. Die Taliban hätten überdies keinerlei Unrechtsbewusstsein gehabt, da sie ja laut ihrer islamistischen Irrlehre alles „richtig“ gemacht haben. Zudem sei es schon rein statistisch nicht unwahrscheinlich, dass unter den 160.000 afghanischen Migranten in Deutschland auch Ex-Taliban sein könnten – viele Afghanen seien dazu in ihrer Heimat ja auch gezwungen worden. Und zuletzt wollten sich offenbar auch einige Männer eine Last von ihrer Seele reden.

Härtetest für die Justiz

Obwohl die Bundesanwaltschaft schon wegen der zahlreichen IS-Verfahren laut Generalbundesanwalt Peter Frank überlastet ist, droht nun ein weiterer Härtetest. Ein erster Strafprozess gegen einen Ex-Taliban wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, unerlaubtem Besitz von Kriegswaffen und versuchtem Mord hat jetzt in Berlin begonnen, ein weiterer beginnt in Koblenz. Der Berliner Angeklagte hat bereits sein Geständnis als Erfindung widerrufen. Tausende weitere Verfahren könnten nun folgen, befürchten die Juristen.

Denn jeder Einzelfall muss geprüft werden, das verlangt das Gesetz bei Terrorverdacht. Und die Beweislage ist dünn, denn zumeist liegen nur die Selbstbezichtigungen vor. Die Welt berichtet, dass die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe derzeit in 48 vergleichbaren Fällen ermittele, aber nur in acht davon weitere Beweise vorlägen. Viermal sei bisher Anklage erhoben worden. Laut dem Spiegel wird sogar in mehr als 70 Fällen ermittelt. Sechs Beschuldigte, die in Untersuchungshaft säßen, hätten danach angeblich „massiv Blut an den Händen“. Um ihre Arbeitsbelastung zu reduzieren, will sich die Bundesanwaltschaft laut Spiegel auf die Fälle mit Mord und Kriegsverbrechen beschränken, kleinere Vergehen sollen die Länder-Staatsanwaltschaften bearbeiten.

Zuletzt sorgte ein Fall auch in Bayern für Aufsehen: Ende März wurde ein früherer Kommandeur einer Kampfeinheit der Taliban in Afghanistan im Ostallgäu festgenommen. Er sitzt nun in Untersuchungshaft. Von 2004 bis 2008 soll er selbst zahlreiche Einsätze gegen ausländische und einheimische Soldaten befehligt haben, teilten die Bundesanwälte mit. Die Bundesanwaltschaft legt ihm insbesondere einen Angriff auf einen Militärkonvoi mit Sprengsätzen und Panzerfäusten zur Last. Dabei seien mindestens 16 US-amerikanische und afghanische Soldaten getötet worden. Der Mann hatte sich den Angaben zufolge schließlich selbst von der Kampfeinheit losgesagt und musste seither um sein Leben fürchten. Über Pakistan und die Balkan-Route sei er deshalb nach Deutschland geflüchtet, wo er sich seit 2011 aufhielt.

Tricksen und täuschen

Die Geständnisse könnten jedoch wiederum auch nur ein Trick sein, erklärt die Welt. Denn wenn ein Ermittlungsverfahren aufgenommen wird, kommt es zu einem Abschiebestopp, sogar bei ausreisepflichtigen Asylbewerbern. Doch mit den falschen Aussagen könnten sich die Beschuldigten unter Umständen keinen Gefallen getan haben: Das Kabinett beschloss vor ein paar Wochen einen Gesetzentwurf, wonach Asylbewerber, die falsche Angaben über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit machen, mit härteren Sanktionen rechnen müssen.

Es bleiben besorgniserregende Fragen: Leben in Deutschland mehrere hundert oder gar mehrere tausend (Ex-)Taliban-Kämpfer? Wenn ja, wie werden sich deren steinzeitliche Ansichten hierzulande auswirken? Und was haben wir von den skrupellosen islamistischen (Ex-)Terroristen zu befürchten? 

Afghanische Flüchtlinge

Derzeit leben der Bundesregierung zufolge knapp 255.000 Afghanen in Deutschland. Bei mehr als der Hälfte davon laufen Asylverfahren. Ein Viertel der Afghanen haben ein befristetes Aufenthaltsrecht. Gut 6 Prozent haben ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. 13 Prozent sind ausreisepflichtig oder haben einen anderen Status. Die Zahl der ALG-II-Empfänger aus Afghanistan liegt laut einem aktuellen Bericht der Bild-Zeitung bei 52.300, ein Anstieg um 46,4 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015.

(dpa/Welt/Spiegel/Bild)