Logo der Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. (Bild: imago/epd)
Kirchenasyl

Die Pflicht der Staatsanwaltschaft

Machen sich Pfarrer strafbar, wenn sie abgeschobenen Asylbewerbern Kirchenasyl gewähren? Das ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft in Bayern. Justizminister Winfried Bausback erklärt das Vorgehen der Behörden.

Immer mehr Pfarrer in Bayern sind im Blickpunkt der Staatsanwaltschaften, nachdem sie in ihrer Gemeinde abgelehnten Asylbewerbern Kirchenasyl gewähren. Zuletzt bestätigten die Strafverfolgungsbehörden in Nürnberg, Bamberg, Schweinfurt und Würzburg mehrere aktuelle Ermittlungen gegen Geistliche wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sprach von etwa zwölf Fällen seit Jahresbeginn. Auch gegen die evangelische Pfarrerin Doris Otminghaus aus dem unterfränkischen Haßfurt wurde wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt ermittelt. Sie gewährt afghanischen Geflüchteten Kirchenasyl. Deren Asylantrag war bereits abgelehnt worden. Die Bamberger Staatsanwaltschaft bestätigte diese Ermittlungen. „Die Ermittlungen dauern an und der Verfahrensausgang ist offen“, sagte ein Sprecher dazu.

Sachliche Diskussion statt Beschimpfungen

Justizminister Winfried Bausback sagte in einer öffentlichen Stellungnahme, man solle hier nicht „den Boden einer sachlichen Diskussion“ verlassen. Es gäbe keine Verschärfung der strafrechtlichen Verfolgung des Kirchenasyls. Aber die Gewährung von sogenanntem Kirchenasyl stelle in der Regel eine strafbare Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt dar. Die müsse von Staatsanwälten verfolgt werden, verteidigte er das Vorgehen. In einem Rechtstaat sei schließlich niemand von der Beachtung von Recht und Gesetz entbunden. Im Klartext: Niemand steht über dem Gesetz, auch Pfarrer nicht.

Ich habe Verständnis dafür, dass manches Einzelschicksal gerade die Menschen bewegt, die sich – wie gerade auch die Kirchen – vor Ort in der Flüchtlingshilfe engagieren. Aber: In einem Rechtsstaat ist eben niemand von der Beachtung von Recht und Gesetz entbunden.

Winfried Bausback, bayerischer Justizminister

Die Pflicht der Staatsanwaltschaften, in Fällen sogenannten Kirchenasyls einzuschreiten, ergibt sich aus dem Gesetz. Nach dem so genannten Legalitätsprinzip sind die Staatsanwaltschaften verpflichtet, bei Verdacht einer Straftat zu ermitteln. Dieser Verdacht ist beim Kirchenasyl gegeben, da es sich um eine strafbare Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt handeln kann (laut Paragraph 95 Abs. 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz, 27 Strafgesetzbuch). Da sich die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft aus dem Gesetz ergibt, gebe es auch keine Weisung aus dem Staatsministerium der Justiz, derartige Verfahren verschärft einzuleiten. Die Besonderheit eines jeden Einzelfalles werde berücksichtigt. Wegen Geringfügigkeit könne das Verfahren außerdem eingestellt werden.

Zudem gehen auch Anzeigen von Bürgern gegen die Geistlichen ein, denen ebenfalls nachgegangen werden muss.

Staatsanwaltschaft hört Pfarrer an

Der Unterschied zu den vorangegangenen Jahren besteht darin, dass die Staatsanwaltschaften die Pfarrer vor Abschluss des Ermittlungsverfahrens durchweg anhören, was früher regional uneinheitlich gehandhabt wurde. Die derzeit einheitliche Verfahrensweise sei laut Ministerium sowohl aus Gründen der Gleichbehandlung als auch zur Aufklärung der Motivation der Pfarrer geboten. Dass in der Bevölkerung der Eindruck erweckt werde, die Strafverfolgung der Geistlichen nehme zu, hänge mit dem vermehrten Zuzug von Flüchtlingen nach Bayern zusammen. Deshalb gebe es aber eben auch mehr Fälle von sogenanntem „Kirchenasyl“.

Unsere Staatsanwälte gehen behutsam vor, berücksichtigen die Besonderheiten des Einzelfalls und handeln mit Augenmaß. Dazu gehört aber auch, transparent zu verfahren und klar zu benennen, was erlaubt ist und was nicht.

Winfried Bausback, bayerischer Justizminister

Aus dem Bayerischen Innenministerium ist überdies zu hören, dass die Polizei keine Kirchen „stürmen“ werde.

2015 hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) laut einem unbestätigten Spiegel-Bericht angeblich die Praxis des Kirchenasyls kritisiert. Als Verfassungsminister lehne er das Kirchenasyl „prinzipiell und fundamental“ ab, so de Maizière laut dem Magazin. Als Christ habe er jedoch Verständnis dafür, dass die Kirchen „in Einzelfällen“ unter dem Aspekt der Barmherzigkeit Flüchtlinge aufnehmen wollten.

„Hier geschieht nichts Illegales“

Auch der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx äußerte Verständnis für die Behörden. Wenn jemand einen Pfarrer anzeige in der Annahme, dass dieser illegal Leute aufnehme, müsse die Staatsanwaltschaft ermitteln. Er sieht das Kirchenasyl nicht grundsätzlich infrage gestellt. Marx geht davon aus, dass die Vereinbarungen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum Kirchenasyl, die vor zwei Jahren getroffen wurden, weiter gültig seien. „Wir wollen davon nicht abweichen“, sagte er. Die Praxis des Kirchenasyls sei geduldet und niemand tauche unter. Die beiden großen Kirchen und das BAMF hatten vereinbart, dass es Kirchengemeinden und Ordensgemeinschaften auch weiterhin möglich ist, im Rahmen von Kirchenasyl Einzelfälle, in denen besondere Härten befürchtet werden, noch einmal vortragen zu können.

Wir sind der Auffassung, dass hier nichts Illegales geschieht. Wir haben die Gepflogenheit, dass niemand mit Gewalt abgeholt wird.

Reinhard Marx, Münchner Erzbischof und Kardinal

Bislang sei nirgendwo eine Anklage erhoben worden, es habe noch keine Prozesse gegeben. Wenn es eine Anklage geben würde, „müssten wir einen Prozess führen. Wir werden unsere Mitarbeiter ja nicht im Regen stehen lassen. Die haben das ja mit uns abgesprochen“, sagte Marx nach der Frühjahrsvollversammlung der bayerischen Bischöfe.

Kirchenasyl als Notlösung

Aktuell befinden sich bundesweit rund 550 Personen in etwas über 300 Kirchenasylen. In der evangelischen Kirche in Bayern gewähren Pfarrer derzeit fast 60 Kirchenasyle. Zahlen von der katholischen Kirche in Bayern gibt es nicht. Die Kirchen sehen Kirchenasyl nicht als Instrument, politische Änderungen zu erzwingen. Sie verstehen es als Notlösung, um beispielsweise die Rückführung von Asylsuchenden in deren Heimatländer oder in jene EU-Mitgliedsstaaten zu verhindern, in die sie zuerst eingereist waren – und die nach der so genannten „Dublin“-Regelung der EU für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sind. Bundesweit ist rund jeder zweite Fall der Kirchenasyle – aktuell sind es 254 – ein solcher sogenannter Dublin-Fall. „Kirchenasyl ist eine Tradition, die unseren Rechtsstaat stärkt und nicht von ihm verfolgt werden sollte“, meinte dazu Dietlind Jochims, Vorstandsvorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Asyl in der Kirche e.V.

Nun spielte das Kirchenasyl aber lange Zeit praktisch keine Rolle in Deutschland, nur im Zuge von Flüchtlingswellen Anfang der 80er und 90er Jahre kam es wieder dazu. So wurden etwa in Bayern zwischen 2001 und 2011 keine Kirchenasyle beantragt, erst dann stiegen die Fälle wieder an. Außerdem geht das Kirchenasyl auf Zeiten zurück, in denen es eben keinen demokratischen Rechtsstaat gab. Heute jedoch haben alle abgelehnten Asylbewerber ein ordentliches rechtsstaatliches Verfahren inklusive gerichtlicher Berufungsmöglichkeiten und Härtefallkommissionen durchlaufen, das von den Kirchen durch deren Asylgewährung als fehlerhaft eingestuft wird. Ob den Kirchen zusteht, die ordentliche Justiz derart in Zweifel zu ziehen, bleibt eine heikle und offene Frage.

(AS/avd)