Mehrheit gegen türkische Wahlkampfauftritte
Die meisten Deutschen lehnen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hierzulande ab und sprechen sich für ein Verbot aus. Doch Ankara beharrt auf mindestens 30 weiteren Veranstaltungen. Dabei untersagt ein türkisches Gesetz eigentlich Wahlkampfauftritte im Ausland.
Umfrage

Mehrheit gegen türkische Wahlkampfauftritte

Die meisten Deutschen lehnen Wahlkampfauftritte türkischer Politiker hierzulande ab und sprechen sich für ein Verbot aus. Doch Ankara beharrt auf mindestens 30 weiteren Veranstaltungen. Dabei untersagt ein türkisches Gesetz eigentlich Wahlkampfauftritte im Ausland.

Nach der Absage mehrerer Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland hat Ankara eine Liste für 30 weitere geplante Veranstaltungen eingereicht. Außenminister Mevlüt Cavusoglu hat nach eigenen Worten Bundesaußenminister Sigmar Gabriel die Liste bei ihrem Treffen übergeben. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan selbst plant einen baldigen Auftritt in Europa.

Der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic plant am 10. März gleich mehrere Auftritte in Köln. Wie die Polizei mitteilte, will der Politiker nicht nur am Abend zu einer Veranstaltung in die Stadt kommen, sondern etwa auch die Keupstraße mit vielen türkischen Geschäften und eine Moschee im Stadtteil Porz besuchen. Bei dem Auftritt am Abend handelt es sich nach Polizeiangaben um eine private Veranstaltung, die nicht angemeldet werden müsse. Am vergangenen Wochenende war der türkische Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci in Köln und Leverkusen aufgetreten.

Deutsche lehnen Wahlkampfauftritte ab

Die meisten Bundesbürger in Deutschland sprechen sich gegen Werbung für das Verfassungsreferendum in der Türkei durch türkische Politiker aus. Im ARD-Deutschlandtrend sagen 91 Prozent der Befragten, sie fänden es nicht gut, wenn türkische Politiker für solche Wahlkampfauftritte nach Deutschland kämen.

91 Prozent der Befragten sagten, sie finden es nicht gut, wenn türkische Politiker für solche Wahlkampfauftritte nach Deutschland kommen.

ARD-Deutschlandtrend

Nur sechs Prozent finden das demnach gut. Knapp ein Fünftel der Deutschen ist der Umfrage zufolge aber der Meinung, die deutsche Politik sollte solche Auftritte zulassen. 77 Prozent der Befragten finden das nicht. In der Frage, wie sich die Bundesregierung gegenüber der Türkei verhalten sollte, sagen 75 Prozent der Befragten, dass die Bundesregierung der Türkei entschiedener entgegentreten sollte. 20 Prozent sind der Meinung, dass die Bundesregierung auf die Türkei zugehen sollte.

Türkisches Gesetz verbietet Wahlkampf im Ausland

Immer wieder beharrt die türkische Regierungspartei AKP darauf, dass ihre Vertreter hierzulande auftreten dürfen. Doch eigentlich sind diese Auftritte nicht zulässig – die Erdogan-Partei selbst hat sie 2008 per Gesetz untersagt. Im türkischen Wahlgesetz heißt es in Artikel 94/A: „Im Ausland und in Vertretungen im Ausland kann kein Wahlkampf betrieben werden.“ Der Vertreter der Oppositionspartei CHP in der Wahlkommission, Mehmet Hadimi Yakupoglu, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Regierungspartei AKP selbst habe das Gesetz 2008 eingeführt. In dem Gesetz sei aber nicht geregelt, wer dessen Einhaltung kontrolliere und welche Strafen bei Verstößen angewendet würden, sagte Yakupoglu. Deshalb bestehe es nur als „moralische Regel“.

Die Vorgabe werde von „allen Parteien“ missachtet. Nicht nur die AKP, auch Oppositionsparteien betreiben immer wieder Wahlkampf im Ausland. In einem Beschluss vor dem Referendum am 16. April spezifiziert die türkische Wahlkommission (YSK), dass Wahlkampf im Ausland in geschlossenen Räumen nicht gestattet ist. Weiter legt der Beschluss unter anderem fest, Wahlkampfansprachen seien auch auf offenen Plätzen nicht zulässig. Wahlkampfmaterialien dürften nicht verteilt werden. In Printmedien dürfe keine Wahlwerbung geschaltet werden. Die OSZE-Wahlbeobachtermission hatte nach der Parlamentswahl vom November 2015 bemängelt, dass sich die türkische Wahlkommission im Fall einer Beschwerde über Auslandswahlkampf für nicht zuständig erklärt und auf die Staatsanwaltschaft verwiesen hatte. Die OSZE erklärte dazu: „Nach dem türkischen Gesetz ist Wahlkampf im Ausland keine Straftat, sondern ein Verwaltungsverstoß innerhalb der Zuständigkeit der Wahlkommission.“ Laut OSZE hatten 2015 die AKP, die CHP und die pro-kurdische HDP Wahlkampf im Ausland betrieben.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu, der für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Wahlen beobachtet, sagte der dpa: „Als OSZE-Wahlbeobachter für die Türkei rate ich den Herrschaften in Ankara, die sich mit Nazi-Vorwürfen Richtung Berlin überschlagen, einen Blick ins türkische Wahlgesetz zu werfen“. Er empfehle der türkischen Regierung daher „verbale Abrüstung und die Einhaltung der eigenen Gesetze“.

Erdogan wirft Deutschland „Nazi-Praktiken“ vor

Yeneroglu hatte kürzlich kritisiert, Veranstaltungen mit Abgeordneten und Ministern seiner AKP würden in Deutschland „systematisch verhindert, zeitgleich werden Veranstaltungen türkischer Oppositioneller von städtischen Einrichtungen unterstützt“. Staatspräsident Recep Erdogan hatte Deutschland in dem Zusammenhang „Nazi-Praktiken“ vorgeworfen. Die aktuellen Auftritte türkischer Minister in Deutschland wurden von der AKP beworben. Auf einem Veranstaltungshinweis etwa für den Auftritt von Außenminister Cavusoglu in Hamburg stand neben Namen und Logo der AKP: „Unsere Entscheidung lautet Ja“. Damit wird bei den Türken in Deutschland um Zustimmung zu dem von Staatschef Erdogan angestrebten Präsidialsystem beim Referendum am 16. April geworben. Cavusoglu war am 7. März in der Residenz des türkischen Generalkonsuls in Hamburg aufgetreten.

Türkei untersagt Besuch der deutschen Bundeswehr

Einen Tag später hat die Türkei dem Linken-Bundestagsabgeordneten Jan van Aken einen Besuch bei den deutschen Soldaten auf dem Nato-Stützpunkt Konya verweigert. Auf den Luftwaffenstützpunkten Konya und Incirlik in der Türkei sind etwa 270 Bundeswehrsoldaten am internationalen Einsatz gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligt. Im vergangenen Jahr war deutschen Abgeordneten über mehrere Monate hinweg der Besuch der Soldaten in Incirlik verweigert worden, bis im Oktober schließlich sieben von ihnen anreisen durften. Grund für die Verstimmung in der Türkei war damals, dass der Bundestag in einer Entschließung die an den Armeniern begangenen Verbrechen als Völkermord anerkannt hatte.

Ihr braucht den Mund nicht so voll nehmen, solange ihr nicht bereit seid, ein Grundelement von Freiheit, nämlich Religionsfreiheit, in eurem Land zuzulassen.

Volker Kauder, Unions-Fraktionschef

Unions-Fraktionschef Volker Kauder forderte angesichts des Streits um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland Grundfreiheiten in der Türkei ein. Nach Deutschland kommen zu wollen, aber Bundestagsabgeordneten Reisen zu den in der Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten zu verbieten, gehe überhaupt nicht, sagte der CDU-Politiker im Bundestag.

Gegen Freigeister

Nicht nur Journalisten und Oppositionelle haben es in der Türkei derzeit nicht leicht. Auch die Arbeit von Filmemachern wird durch die rigide Anti-Terror-Politik der türkischen Regierung erschwert. „Alle kritisch Denkenden sind blockiert. Fernsehkanäle und Kinobetreiber zeigen ihre Filme nicht – und wenn doch, erreicht man nur einen sehr kleinen Kreis“, berichtet Adil Kaya, Leiter des noch bis zum 12. März dauernden Filmfestivals Türkei Deutschland in Nürnberg.

Auch bei der so wichtigen staatlichen Förderrunde seien zuletzt alle Regisseure leer ausgegangen, die eine bestimmte Friedens-Petition unterschrieben hätten, sagt Kaya. „Alle machen sich große Sorgen und leben in einer gewissen Angst.“ Die angespannte Stimmung sei auch beim Filmfest spürbar. „Ich bin 57 Jahre alt und habe bereits drei Militärputsche erlebt“, sagte der Istanbuler Drehbuchautor, Schauspieler und Regisseur Ercan Kesal. Vor dem Putsch im Jahr 1980 habe er einen ähnlichen Druck verspürt wie jetzt. „Seitdem man seine Gedanken auf Papier drucken kann, wird man in der Türkei verfolgt.“