Handwerklich gebrautes Bier liegt im Trend. (Bild: A. Schuchardt)
Craft-Bier-Bewegung

Zeit für Charakterbiere

Sei es im Sudhaus, Hopfengarten oder Getränkehandel – die Bierbranche ist im Umbruch. Denn die sogenannte Craft-Bier-Welle aus Übersee macht auch vor Bayern nicht Halt. Dass die Szene im Freistaat in Schwung kommt, hat zu einem erheblichen Anteil das Hopfenforschungszentrum in Hüll zu verantworten. Bestandsaufnahme an mehreren Orten.

Hohenthann / Landkreis Landshut, 31. August 2016

Mit der Größe des Hängers hat sich Johannes Rauchenecker verschätzt. Die sieben Säcke, prall gefüllt mit Hopfendolden, finden kaum Platz auf der kleinen Ladefläche. Der Brauereibesitzer verschnallt sie mit Gurten, damit die Fracht sicher aus dem Hopfengarten in die Hohenthanner Schlossbrauerei kommt. Dort nimmt sie Braumeister Thomas Hämmerl in Empfang. Sobald er den ersten Sack öffnet, strömt ihm der markante Duft frischer Dolden entgegen. Für den ersten Braudurchgang braucht Hämmerl 170 Kilogramm Hopfen. Die Dolden kippt er gleich nach der Ernte in den Sudkessel. Diese Zubereitung macht das Bier einzigartig. Normalerweise nehmen Brauer getrocknete Hopfenpellets oder Sekret. Frisch gepflückter Hopfen muss hingegen innerhalb von fünf Stunden verarbeitet werden. Dadurch bekommt das Gebräu eine sehr hopfenbetonte, herbe Note. Von da an dauert es etwa sechs Wochen, bis die Schlossbrauerei den Sud als „Grünhopfen-Pils“ anbieten kann.

Hohenthann / Landkreis Landshut, 27. September 2016

Stefan Weingart blickt auf die leeren Drähte, vereinzelt baumeln hoch oben noch Zweige von der ein oder anderen Hopfenrebe.

In Bayern haben wir sehr konventionell geprägte Biertrinker, die den neuen Aromanoten eher skeptisch gegenüber stehen.

Elisabeth Seigner, Leiterin der Züchtungsforschung Hopfen

Nach vier Wochen Ernte sehnt sich der Hopfenpflanzer nach einem freien Tag. Es war eine überdurchschnittlich gute Ernte, zehn Prozent mehr pflückten er und seine Mitarbeiter aus den Hopfengärten. Mit dem Ertrag könnten sie für den Bierkonsum auf den nächsten acht Oktoberfesten sorgen – der Hopfen reicht für etwa 50 Millionen Liter Bier. Kein Wunder, dass er bei der Produktionsmenge den Großteil, etwa 80 Prozent, ins Ausland verkauft. Sieben Hopfensorten gedeihen auf der 30 Hektar großen Anbaufläche. Seit 2015 wachsen bei Weingart auch Reben neuer Flavoursorten. „Wir sehen das als Hopfenpflanzer sehr wohlwollend, wenn das Bewusstsein für den Rohstoff Hopfen unter den Brauern wieder ansteigt und deswegen war ich da sofort dabei“, sagt Weingart.

München, 17. Oktober 2016

Eine neue Lieferung aus Niederbayern. Das Pils der Hohenthanner Schlossbrauerei bekommt Matthias Thieme nur einmal im Jahr. Er sortiert die Flaschen mit dem Etikett „Grünhopfen-Pils“ in die Rubrik „saisonale Biere“ ein.

Der Händler hat sich ein spezielles System ausgedacht, um nicht den Überblick zu verlieren. 2014 hängte er seinen Job als Informatiker an den Nagel und eröffnete den Getränkeladen „Biervana“ in München für Fans von alkoholhaltigen Malzgetränken. Stapelten sich anfangs 250 Flaschen, sind inzwischen rund 600 hopfenhaltige Spezialitäten im Angebot – ausschließlich Craft-Biere – sprich handwerklich hergestellte Biere – aus der ganzen Welt. Der Großteil, etwa 40 Prozent aus Bayern. Je nach Monat verkauft er zwischen 8000 bis 12.000 Flaschen. Für Thieme ein Indiz dafür, dass sich immer mehr Kunden auf handwerkliche Braukunst zurück besinnen. Und dafür auch bereit sind, mehr zu zahlen. Doppelt- bis fünfmal so teuer sind die Biere mit speziellem Flavour. Er bezeichnet die Bewegung daher als „Bier-Renaissance“.

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Zeit für Charakterbiere: Craft-Bier-Bewegung in Bayern

Bier wird zum Lifestyle-Produkt

In Sachen Hopfen ist die Branche also derzeit im Wandel. Und dass, obwohl immer weniger getrunken wird. Trank der durchschnittliche Deutsche in den 1970er-Jahren noch bis zu 150 Liter Bier im Jahr, sind es inzwischen nur noch knapp über 100 Liter Bier. Was allerdings zunimmt, ist die Zahl der Brauereien. Im Vergleich zum vergangen Jahr nahm die Zahl der Braustätten in Deutschland um zwei Prozent auf insgesamt 1388 zu. Der Großteil von ihnen, etwa die Hälfte, hat seinen Sitz zwar in Bayern. Neue Brauereien gründen sich jedoch hauptsächlich im Norden, allen voran Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein. „Da im Süden der Republik die Biervielfalt immer schon deutlich größer war, besteht hier vermutlich kein so großer Drang zu Neuem“, vermutet Oliver Dawid, Geschäftsführer der Private Brauereien Bayern e.V.

Jedes fünfte Bier hat Spezialaroma

Dabei experimentieren auch in Bayern die Braumeister zunehmend mit neuen Hopfensorten. Denn was früher als Geschmacksverirrung galt, ist heute gefragt.

Das ist eine Entwicklung, die für uns Hopfenpflanzer das Positivste ist, was passieren konnte.

Johann Pichlmaier, Präsident des Verbandes deutscher Hopfenpflanzer

Dazu zählen fruchtige Noten, beispielsweise Citrus-Aroma oder der Duft von Melonen im Weißbier. Jedes fünfte angebotene Bier weltweit ist inzwischen stärker gehopft und besitzt einen speziellen „Flavour“ (Geschmack/Aroma). Mächtig Konkurrenz bekommen die deutschen Erzeuger aus den USA. Dort nahm die sogenannte Craft-Bier-Bewegung auch ihren Anfang. Im letzten Jahr schaffte es Amerika sogar, die Bundesrepublik auf den zweiten Listenplatz der größten Hopfenerzeuger zu verbannen. Dennoch stammt noch immer 40 Prozent der weltweiten Hopfenproduktion aus Deutschland. „Hopfen wird im Gegensatz zu vor zehn Jahren viel mehr verwendet, um ein Bier im Geschmack und Geruch zu differenzieren. Das ist eine Entwicklung, die für uns Hopfenpflanzer das Positivste ist, was passieren konnte“, sagt Johann Pichlmaier, Präsident des Verbandes deutscher Hopfenpflanzer zum Start der diesjährigen Hopfenernte. Hopfen ist damit nicht mehr nur der Stoff, der ein Bier bitter macht. Es ist auch der Stoff, der dem Bier Charakter verleiht.

Geschmack und Robustheit gefragt

Dass sich die Brauwirtschaft wandelt, hat auch Anton Lutz erkannt. Als technischer Leiter der Züchtung am Hopfenforschungszentrum in Hüll hat er im letzten Jahrzehnt eifrig in die Entwicklung neuer Sorten investiert. Das Ergebnis sind fünf neue Flavoursorten. Drei von ihnen wurden 2012 eingeführt, zwei weitere im vergangen Jahr. „Die Herausforderung bei der Entwicklung neuer Sorten ist, die Wünsche der Brauer nach exotischen, fruchtigen Aromen zu erfüllen und auf der anderen Seite Sorten zu entwickeln, die an unsere Witterungsverhältnisse angepasst und von den Landwirten einfach und kostengünstig produziert werden können“, sagt Lutz. Eines der größten Risiken für die Züchter ist deshalb abzuschätzen, was den Verbrauchern schmeckt. „Gerade in Bayern haben wir sehr konventionell geprägte Biertrinker, die den neuen Aromanoten eher skeptisch gegenüber stehen“, sagt Elisabeth Seigner, Leiterin der Züchtungsforschung Hopfen.

Bierchen statt Cocktail

Darin liegt aber auch die Chance. Denn das Bier mit dem neuen Charakter erschließt weitere Konsumentengruppen. „Wer eher Cocktails bevorzugt, findet jetzt auch auf dem Biermarkt Angebote“, sagt Dawid. Auf kurzfristige Trends können die Wissenschaftler in Hüll allerdings nicht reagieren. Neue Sorten zu entwickeln, ist ein aufwendiges Verfahren und dauert durchschnittlich zehn Jahre.

Da sind Gespür vom Braumeister und natürlich viele Bierproben gefragt.

Johannes Rauchenecker, Brauereibesitzer

Schließlich sind nicht nur Geschmack, sondern auch Resistenzen und Robustheit der Pflanze wichtige Kriterien. Dabei bedient das Forschungszentrum mit seinen Züchtungen fast den kompletten Markt in Deutschland. Auf 85 Prozent der Hopfenanbaufläche gedeihen Sorten, die Wissenschaftler in Hüll entwickelten. Das Zentrum liegt mitten im Herzen der Hallertau. Die Region ist mit Abstand das größte der fünf Anbaugebiete in Deutschland. Die Fläche hat sich im Vergleich zum Vorjahr um rund 1000 Hektar auf 15.500 Hektar vergrößert.

Craft-Bier-Brauer brauchen mehr Hopfen

Noch gedeihen die neu kreierten Sorten nur auf 3,6 Prozent der Anbaufläche. Doch die Sorten seien gerade erst dabei, sich am Markt zu etablieren, sagt Seigner. Was den Landwirten in die Hände spielt: für spezielle Aromabiere brauchen Brauer viel mehr Hopfen als beispielsweise für herkömmliches Helles. So nehmen sie 500 Gramm bis ein Kilo pro Hektoliter, normal sind 40 bis 80 Gramm pro Hektoliter. Johannes Rauchenecker beschreibt das Experimentieren mit neuen Hopfensorten als Hobby: „Es gibt viel Spielraum, wann und wie viel Hopfen ich einsetze und welche Sorten ich kombiniere. Da sind Gespür vom Braumeister und natürlich viele Bierproben gefragt.“ Noch ist der Anteil der vier speziell gehopften Craft-Biere an der Gesamtproduktion seiner Schlossbraurei von 3,5 Millionen Liter Bier pro Jahr minimal. Rauchenecker verfolgt in erster Linie ein Ziel: Das Bewusstsein für den Rohstoff Hopfen an den Verbraucher weitergeben. Wer vermutet schon nach einem Schluck Weißbier den Geschmack von Honigmelone und Grapefruit?

Was passiert in Hüll?

Seit 1926 forschen die Wissenschaftler im Forschungszentrum in Hüll in Sachen Züchtung, Pflanzenschutz, chemische Analytik und beraten Hopfenpflanzer. Sie liefern neue Sorten, die sowohl den Ansprüchen der Pflanze und als auch den Wünschen der Brauwirtschaft entsprechen sollen. Von insgesamt 32 in Deutschland angebotenen Sorten sind 19 Hüller Sorten. Seit 2006 experimentiert Züchter Anton Lutz mit Sämlingen, die geschmacklich weniger klassisch würzige Noten, sondern eher fruchtige Aromaelementen haben. Auch chemischer und biologischer Pflanzenschutz wird in Hüll getestet und weiterentwickelt. Gemeinsam mit Institutionen bieten die Wissenschaftler Spezialberatung an, damit Forschungsergebnisse in der Praxis umgesetzt werden können. In Sachen Düngung, Trocknung und Pflanzenschutz arbeiten sie außerdem mit den Hopfenpflanzern in der Region zusammen.