Edmund Stoiber, CSU-Ehrenvorsitzender und ehemaliger Ministerpräsident. (Foto: imago/Sebastian Widmann)
Kolumne

Es darf jetzt kein „weiter so“ geben

Gastbeitrag Aus dem aktuellen BAYERNKURIER-Magazin: Die jüngsten Landtagswahlen waren eine Zäsur in der politischen Geschichte Deutschlands, schreibt der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber. Er warnt die CDU davor, ihren Charakter als Volkspartei zu verlieren.

Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern ist eine Zäsur in der politischen Geschichte Deutschlands. Sieht man von der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft vor 65 Jahren ab, ist eine rechte Partei zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in einem Land stärker als die CDU geworden. Weil viele Menschen sich von der etablierten Politik nicht mehr vertreten fühlten, haben sie nach allen Wahlanalysen vielfach die AfD gewählt.

Die CDU missachtet das Credo von Strauß

Wichtig wäre es jetzt, sich als Volkspartei Gedanken darüber zu machen, warum so viele Menschen das Vertrauen in die CDU und die anderen etablierten Parteien verloren haben. Aber eine ehrliche Aufarbeitung der Wahlschlappe ist nicht in Sicht, ebenso wenig wie nach den für die CDU verheerenden Wahlniederlagen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Das Credo von Franz Josef Strauß, dass es rechts von der Union keine demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, wird von unserer Schwesterpartei leider konsequent missachtet. Damit wird im Bund und den Ländern außerhalb Bayerns die konservative Flanke weit aufgerissen. Mit dieser Strategie droht die CDU ihren Volksparteicharakter zu verlieren.

Die Burka ist die Uniform des Islamismus, kein modisches Kleidungsstück

Edmund Stoiber

Eine ehrliche Analyse der Wahl würde ergeben, dass bei den meisten Menschen die Flüchtlingspolitik und die Innere Sicherheit ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Einer aktuellen Umfrage des „Spiegel“ zufolge fordern 82 Prozent von der Bundesregierung eine Korrektur ihrer Flüchtlingspolitik. Diese überwältigende Mehrheit darf von den demokratischen Parteien, aber vor allem von der CDU nicht außer Acht gelassen werden. Und wenn einer Umfrage zufolge 85 Prozent aller Wähler und 92 Prozent der CDU-Wähler in Mecklenburg-Vorpommern für eine dauerhafte Begrenzung der Zahl der Flüchtlinge sind, ist der Schritt hin zur Definition einer Obergrenze nicht mehr groß. Es geht aber nicht nur um die Zahl an sich, sondern vor allem um ein Signal, dass unsere Integrationsfähigkeit begrenzt ist, wenn wir unser Land vernünftig weiterentwickeln wollen. Das treibt die Menschen um, die uns das Mandat gegeben haben. Mit diesem Mandat müssen wir verantwortungsvoll umgehen.

80 Prozent wollen keine Burkas

Auch die Tatsache, dass 80 Prozent für ein Verbot der Vollverschleierung sind, kann nicht einfach übergangen werden, schon gar nicht von einer Partei mit konservativer Wurzel. Die Burka ist die Uniform des Islamismus, kein modisches Kleidungsstück. Es ist zwar richtig, dass Burka und Nikab in Deutschland keine Alltagsphänomene sind. Aber in der Politik sind Gefühle und Ängste Fakten, die ernst zu nehmen sind!

Es geht aber nicht nur um die Flüchtlings- und Islampolitik. Viele konservative Wähler waren mit den Entscheidungen der letzten Jahre wie die Energiewende, die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe zwischen Mann und Frau oder die Aussetzung der Wehrpflicht nicht einverstanden. Diese Entscheidungen wurden aber im Gegensatz zu heute intensiver kommuniziert, mit der breiten Öffentlichkeit erörtert, auf Kongressen diskutiert und von Beschlüssen der Parteitage getragen.

Die Obergrenze steht als Synonym für die Integrationsfähigkeit eines Volkes.

Edmund Stoiber

Fest steht: Weil die Welt sich ändert, darf es jetzt kein „Weiter so“ geben. Die CSU hat 47 Jahre lang in der Bundesregierung die deutsche Politik mitgestaltet. Die großen Leistungen, die CDU und CSU – angefangen mit den Gründervätern wie Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß oder Ludwig Erhard bis hin zu Helmut Kohl – gemeinsam in jahrzehntelanger harter Arbeit für das Land gezeigt haben, dürfen nicht durch diese grundsätzliche Meinungsverschiedenheit in einer zentralen politischen Frage verspielt werden. Diese Meinungsverschiedenheit geht inhaltlich tiefer als damals in Kreuth. Der politische Gegner der CSU ist nicht die CDU. Aber klar ist auch: Die Menschen erwarten jetzt tragfähige Konzepte zur Lösung der drängenden Zukunftsprobleme. Das geht nicht ohne eine breit kommunizierte Korrektur des Kurses in der deutschen und europäischen Migrationspolitik. Die Ängste und Sorgen vieler Menschen ließen sich durch die Vereinbarung einer Obergrenze begegnen. Die Obergrenze steht als Synonym für die Integrationsfähigkeit eines Volkes.

Die CSU gibt Orientierung

Wir müssen Orientierung in einer Welt der Orientierungslosigkeit geben. Das wird die CSU mit ihrem neuen Grundsatzprogramm tun. Es ist ein kraftvolles Signal für eine moderne konservative Politik. Darin wird sie auch den Menschen Antworten aufzeigen, die der Globalisierung ablehnend oder ängstlich gegenüberstehen und die sich vor den enormen Umbrüchen fürchten, die uns durch die Digitalisierung und die angespannte Weltlage noch bevorstehen.

Hier geht es im Übrigen nicht um „linke“ oder „rechte“ Politik. Hier geht es um Politik für die breite Mehrheit der Bevölkerung. Hier geht es vor allem auch um „oben“ und „unten“. Die Union war noch nie ausschließlich eine Partei des gehobenen Bildungsbürgertums. Wir müssen auch die „kleinen Leute“ erreichen. Die Union muss insgesamt mehr um Menschen werben, die wenig verdienen und durch politische Debatten nicht so leicht erreicht werden. Viele glauben, dass sich die etablierten Parteien – mit Ausnahme der CSU – kaum noch unterscheiden. Deshalb brauchen wir auch wieder eine streitigere Debattenkultur. Politischer Streit, das Ringen um die besten Konzepte, gehören untrennbar mit zur Demokratie dazu.