Der CDU-Politiker Jens Spahn spricht in einem Zeitungsinterview über das Unions-Dauerthema Obergrenze. (Bild: Imago/M. Popow)
Jens Spahn

„Sogar 200.000 wäre noch eine hohe Zahl“

In einem Zeitungsinterview spricht der CDU-Politiker Jens Spahn über die Flüchtlingspolitik und das Diskussionsthema Obergrenze. Sein Urteil: Ohne eine Begrenzung geht es nicht. Die von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr sei "noch immer eine sehr hohe Zahl".

Im Interview mit der Rheinischen Post hat Staatssekretär Jens Spahn (CDU) über die Lage seiner Partei nach den jüngsten Wahlen, die aktuelle Flüchtingspolitik und das Unions-Streitthema Obergrenze gesprochen. Den Grund für die große Aufregung rund um Hunderttausende Migranten sieht der 36-Jährige dabei darin, dass Deutschland die Krise in Syrien und der Region lange nicht ausreichend beachtet habe. „Syrien ist näher, als wir lange dachten“, sagte Spahn dem Blatt. Dass so viele Flüchtlinge und Migranten in so kurzer Zeit nach Deutschland gekommen seien, habe „viele verunsichert“. Darin sieht Spahn die Ursache für die Wahlschlappen der Volksparteien bei den jüngsten Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin: „Das hat bei CDU und SPD zu Verlusten geführt.“

Bundesregierung muss „Vertrauen zurückgewinnen“

Jetzt gelte es, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen, sagte der CDU-Mann. „Die allermeisten Deutschen wollen, dass wir Flüchtlingen helfen. Aber sie haben auch Zweifel, etwa ob wir uns dabei nicht übernehmen.“ Außerdem sei zu beobachten, „dass da auch viele kommen, die diese Hilfe ausnutzen.“ Diese Missstände müsse man ansprechen, betonte Spahn. Die Kanzlerin habe in ihren jüngsten Statements die im vergangenen Jahr getroffenen Entscheidungen verteidigt, aber auch Versäumnisse der Vergangenheit eingeräumt. „Das ist der richtige Weg“, stellte der Staatssekretär klar.

Aus Nordafrika kommen vor allem Armutsauswanderer.

Jens Spahn

Um die europäischen Außengrenzen stärker zu sichern, plädiert Spahn für eine deutliche Aufstockung der Grenzsicherungsagentur Frontex. „Frontex müsste eigentlich mehr als 50.000 Grenzschützer stark sein“, sagte der CDU-Politiker. Nur so sei ein ausreichender Schutz der EU-Grenzen zu garantieren. Gerade Afrika ist für Spahn ein wichtiges Thema. „Aus Nordafrika kommen vor allem Armutsauswanderer“, stellt er klar. Mit neuen Abkommen zwischen der EU und den Staaten Nordafrikas könnte man die aus dem Meer Geretteten dorthin zurückbringen. Das Türkei-Abkommen hat Spahn zufolge „das menschenverachtende Schleppergeschäft und damit das furchtbare Sterben in der Ägäis fast vollständig beendet“.

Spahn fordert Obergrenze

Beim Thema Obergrenze aber liegt Jens Spahn nicht auf einer Linie mit der CDU-Führung – sondern steht eher auf Seiten der bayerischen Schwesterpartei. „Jeder bei CDU und CSU weiß, dass wir nicht unbegrenzt Flüchtlinge und Migranten aufnehmen können“, stellte Spahn fest. Integration sei ein langjähriger, anstrengender Prozess. „Und gerade bei Zuwanderern aus dem arabisch-nordafrikanischen Kulturraum hat das bisher zu oft nicht geklappt, auch weil zu viele sich gar nicht integrieren wollen.“ Angesichts dessen sei eine wie von der CSU geforderte Obergrenze von 200.000 Asylbewerbern noch immer „eine ziemlich hohe Zahl“.

200.000 bedeutet: Jedes Jahr zwei Mal Erlangen aufnehmen und aufbauen.

Damit hat er Recht: Bildlich gesprochen, müsste Deutschland dann jedes Jahr fast zwei Mal die Stadt Erlangen (108.000 Einwohner) aufnehmen, integrieren – und aufbauen! Denn diese Zahl würde nicht nur Unterkünfte und Wohnungen für die Neuankömmlinge bedeuten, sondern auch Arbeitsplätze, Schul- und Kindergartenplätze, zusätzliche Polizisten und weitere Beamte, Sozialarbeiter, Dolmetscher und vieles andere mehr. Selbst wenn man das finanziell schultern kann (was dann an anderer Stelle fehlen wird), ist das ein gewaltiger Kraftakt. Hinzu kommt: Ohne die vielen ehrenamtlichen Helfer geht es nicht. Experten warnen deshalb: Was, wenn dieses Engagement irgendwann nachlässt?

Auch Bouffier zeigt sich gesprächsbereit – Kongress an diesem Wochenende

Unterstützung für seine Kompromissbereitschaft mit den Christsozialen erhält Spahn von CDU-Vize Volker Bouffier. Der hessische Ministerpräsident sagte der Deutschen Presse-Agentur, er halte einen Kompromiss auf eine „Orientierungsgröße“ für möglich. Die entsprechende Formulierung der CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt finde er „sehr interessant“. Zunächst aber müsse man sich darüber verständigen, welche Personengruppen darunter fielen, sagte Bouffier. Die erste große Gelegenheit zum Austausch über diese Frage bietet sich CDU und CSU an diesem Wochenende: Am Samstag findet in Würzburg der erste Deutschlandkongress statt, bei dem Vertreter beider Parteien mit Experten über die Herausforderungen der Zukunft sprechen wollen. Für die CDU nimmt unter anderem Bouffier selbst an dem Kongress teil.