Erster Schultag an der Förder- und Grundschule Kaufbeuren. (Bild: imago/MiS)
Bildungspolitik

Schulstart: Herkulesaufgabe Integration

Ein neues Schuljahr beginnt - mit vielen Herausforderungen: Wie geht es weiter mit den Gymnasien, dem Ausbau des Ganztags und der Inklusion? Zentrale Aufgabe ist die Integration von rund 60.000 jungen Flüchtlingen.

In Grönland gibt es zur Einschulung eine traditionelle Festkleidung, in Russland tragen einzuschulende Mädchen bunte Bänder in ihren Zöpfen, in Bayern haben die sogenannten „Abc-Schützen“ an ihrem ersten Schultag Schultüten im Arm. Jedes Land hat seine Bräuche zum Schulanfang. Und Bayern in diesem Jahr eine Menge Herausforderungen in Sachen Schulpolitik – vom Lehrermangel über Flüchtlinge bis zur Diskussion um die Entwicklung der Gymnasien.

Vorab eine positive Meldung: der Schülerrückgang ist vorläufig gestoppt. Aktuell besuchen 1,7 Millionen Schülerinnen und Schüler den Unterricht. Das sind 100.000 mehr als im letzten Jahr. Unklar ist, wie viele Flüchtlingskinder in diesem Schuljahr unterrichtet werden. Schulpflichtig sind dem Kultusministerium zufolge 58.500 Zuwanderer. Deren Förderung lässt sich das Kultusministerium 161 Millionen Euro kosten. Davon werden knapp 1100 Planstellen und mehrere hundert Beschäftigungsmöglichkeiten für Lehrkräfte finanziert. Der Großteil der Planstellen wird in Grund- und Mittelschulen (696) und Berufsschulen (332) besetzt. Allerdings kritisieren Lehrerverbände, das damit der Mangel an Lehrkräften nicht behoben wird. Es gebe kaum Ersatz, wenn welche ausfallen. Im Vergleich zu anderen Bundesländern steht Bayern aber dennoch sehr gut da. Weitere 100 Lehrerstellen werden geschaffen, um die Inklusion voranzubringen.

Förderung für Flüchtlinge

Die Integration von Flüchtlingen soll mithilfe von Übungsklassen an Grund- und Mittelschulen, Deutschförderklassen und Berufsintegrationsklassen gelingen. So hat sich innerhalb eines Jahres die Zahl spezieller Förderklassen an Berufsschulen auf 650 erhöht und soll sich bis zum kommenden Schuljahr noch einmal verdoppeln. Im Rahmen eines Schulversuchs können Berufsintegrationsklassen künftig auch an Wirtschaftsschulen, Berufsfachschulen und Beruflichen Oberschulen gegründet werden.

Bei den jungen Zuwanderern geht es um Sprach- und Wertevermittlung sowie um Integrationsangebote für diejenigen mit hoher Bleibeperspektive.

Ludwig Spaenle, bayerischer Kultusminister

45 Sprachintensivklassen plant das Ministerium für 850 berufsschulpflichtige Jugendliche, die derzeit in Sammelunterkünften leben müssen. Allerdings liegen die Kosten bei den Kommunen. Laut einer Vorlage, auf die sich der Münchner Merkur bezieht, sei die Last zumutbar. Mietfreie Gebäude und Gastschulbeiträge sollen zur Entlastung beitragen.

710 Übergangsklassen entstehen zum neuen Schuljahr an den Grund- und Mittelschulen. Für Berufsschulen sind es 1100 Berufsintegrations- sowie Spracherwerbsklassen. Lehrer stehen vor allem vor der Herausforderung, dass die Schüler verschiedene Vorkenntnisse haben. Das Niveau reiche von Analphabeten bis hin zu sehr leistungsstarken Schülern, sagte ein Ministeriumssprecher dem Münchner Merkur. Aber das ist nicht der einzige Grund, der die Integration erschwert. Auch die Vorbereitung der Lehrer könnte noch etwas verbessert werden. Das forderte jedenfalls die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.

Die Vorbereitung der Kollegen ist, ja sagen wir mal, so mittelmäßig gegeben. Natürlich werden ganz viele Vorbereitungen abgehalten, natürlich gibt es Kollegen, die Deutsch als Zweitsprache auch studiert haben, und es geht auch um die emotionalen Kompetenzen.

Simone Fleischmann, BLLV-Präsidentin

Übergangsjahr und mehr Islamunterricht

Neben Übergangsklassen zählt zu einem weiteren Modellprojekt das „berufliche Übergangsjahr“. Diese Variante des zweiten Jahres der Berufsintegrationsklasse war im Schuljahr 2015/2016 erstmals an vier Standorten realisiert worden. Neben dem Unterricht an der Berufsschule erhalten die Schüler eine Berufsvorbereitung in Kooperation mit Bildungsträgern und Unternehmen. Dieses berufliche Übergangsjahr wird nun an 20 Standorten angeboten – von Altötting bis Weiden.

Zehn Millionen Euro stehen den Schulen zur Verfügung, um über ihr Unterrichtsbudget hinaus flexibel Sprach- und Alphabetisierungskurse sowie interkulturelle Projekte organisieren zu können. Im neuen Schuljahr soll es auch mehr deutschen Islamunterricht an Bayerns Schulen geben. Bislang können Schüler das Angebot an 260 Schulen nutzen, auf rund 400 wird es ausgeweitet.

Weiterentwicklung der Gymnasien

Bayerns Gymnasien sollen künftig selbst festlegen können, ob sie eine achtjährige (G8) oder eine neunjährige (G9) Ausbildung anbieten. Bis zum Frühjahr 2018 will das Kultusministerium von den Verantwortlichen der Schulen wissen, ob sie zur neunjährigen Ausbildung zurückkehren wollen. Unverändert bleibt beim G9: Nach Vollendung des sechsten Gymnasiumjahres wird den Schülern auch weiterhin die Mittlere Reife verliehen. Gleich bleiben wird auch der Lehrplan. „Wir arbeiten auf Basis des Lehrplans für das G8“, erklärte Spaenle. Beim G9-Zug würde der Stoff lediglich für die verlängerte Lernzeit anders aufgeteilt. Die Oberstufe soll auch weiterhin aus zwei Schuljahren bestehen.

Derzeit setzen 47 Gymnasien den Pilotversuch „Mittelstufe Plus“ fort, bei dem Schüler die auf drei Jahre angelegte Mittelstufe in vier Jahren durchlaufen können. Rund 323.500 Schülerinnen und Schüler besuchen ein Gymnasium in Bayern, die Übertrittsquote bewegt sich seit gut fünf Jahren bei rund 40 Prozent.

Digitaler Unterricht und offener Ganztag

Der Unterricht soll künftig noch digitaler werden. Dazu wird das Angebot digitaler Bildungsmedien weiter ausgebaut. Auf dem Infoportal „mebis“ finden Lehrkräfte und Schüler Beratungs- und Fortbildungsangebote und können virtuelle Klassenzimmer einrichten. Die Plattform wird mittlerweile von 80.000 Lehrkräften und rund 450.000 Schülern genutzt.

Neu ist der offene Ganztag in Grundschulen. In diesem Schuljahr können rund 5670 offene Ganztagsgruppen in den allgemeinbildenden Schularten eingerichtet werden. Gebundene Ganztagsklassen werden an rund 1070 Schulen auf den Weg gebracht. Ferner bestehen an Grundschulen Gruppen der Mittagsbetreuung.

Mehr Interesse an Mathe

Um das Interesse an sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, stärker zu fördern, sollen spezielle Regionen aufgebaut und miteinander vernetzt werden. Mit dieser Maßnahme hofft das Kultusministerium auch die Attraktivität des ländlichen Raumes zu stärken.

Gestiegenes Interesse bei den Schülerinnen und Schülern trägt dazu bei, den Bedarf an Fachkräften im MINT-Bereich vor Ort zu decken und aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen, etwa den ländlichen Raum zu stärken.

Ludwig Spaenle, bayerischer Kultusminister

So gibt es das 2014 ins Leben gerufene Netzwerk der MINT-Region Mainfranken. Die Initiatoren möchten für Naturwissenschaften und Technik begeistern, indem sie den Zugang zu den Fächern erleichtern und Talente fördern. Dabei spielt vor allem auch die Vernetzung und Kooperation mit Unternehmen aus der Region eine entscheidende Rolle. Die Begabtenförderung soll im Freistaat außerdem durch Flexible Grundschulen, M-Klassen an Mittelschulen, Talent-Klassen an 21 Realschulen und Kompetenzzentren an acht Gymnasien vorangebracht werden.

Begabtenförderung ist sozial gerecht, sie gehört ebenso wie die Förderung von Kindern und Jugendlichen, die sich beim Lernen schwerer tun, zum Kern der Gewährleistung von Bildungsgerechtigkeit.

Ludwig Spaenle, bayerischer Kultusminister

Von 2005 an bis heute hat sich das Volumen des Bildungshaushalts auf insgesamt rund 11,7 Milliarden Euro fast verdoppelt. Hinter der Zahl verstecken sich allerdings auch die Pensionsleistungen für die Beamten.

Entwicklung der Schülerzahlen im Freistaat

Die Gesamtzahl der Schüler an allgemein bildenden und beruflichen Schulen im Freistaat hat im Schuljahr 1989/90 mit 1,58 Millionen ihren tiefsten Stand durchlaufen und ist bis 2004/05 auf ein Maximum von 1,88 Millionen angestiegen. Seither ist die Schülergesamtzahl leicht rückläufig, im aktuellen Schuljahr 2015/16 beträgt sie 1,68 Millionen. Doch der Rückgang ist vorläufig gestoppt – in Bayern besuchen aktuell 1,7 Millionen Schülerinnen und Schüler den Unterricht. Laut Prognosen werden die Zahlen auch in den kommenden Jahren wieder ansteigen und den höchsten Stand voraussichtlich im Schuljahr 2030/31 mit rund 1,76 Millionen erreichen.