Ist ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz eine Diskriminierung? (Bild: Imago/Westend61)
EuGH: Kopftuchverbot

Streit um zuviel Stoff

Zwei Frauen klagten in Belgien und Frankreich vor Gericht, weil sie wegen ihres Kopftuches den Job verloren. Der Streit ging bis an den Europäischen Gerichtshof. Doch dort kamen jetzt die Generalanwältinnen zu äußerst unterschiedlichen Einschätzungen.

Ist es eine Diskriminierung, wenn Arbeitgebern ihren Mitarbeiterinnen verbieten, am Arbeitsplatz ihren Kopf zu bedecken? Ja und nein. Das zeigen die Einschätzungen zweier Generalanwältinnen zu zwei aktuellen Verfahren in Luxemburg.

Fall 1: Belgien, Unternehmen für Rezeptionsdienste

In Belgien verliert eine Frau ihren Job, weil sie ihr Kopftuch nicht während der Arbeitszeit abnehmen will. Das Unternehmen bietet Rezeptionsdienste an. Den Mitarbeitern sind äußerliche Zeichen religiöser, politischer oder philosophischer Überzeugungen verboten.

Fall 2: Frankreich, Software-Firma

Eine Projektingenieurin in Frankreich weigert sich bei Kundenkontakt ihren Hidschab abzulegen, der Haar und Nacken bedeckt, aber das Gesicht freilässt. Aufgrund von Beschwerden eines Kunden kündigt die Software-Firma der Frau.

Zwei Fälle, zwei Gutachten

Das französische Gericht bat den Europäischen Gerichtshof um Klärung. Denn der Fall berührt ein EU-Gesetz. Es verbietet die Diskriminierung am Arbeitsplatz zum Beispiel aufgrund der Religion. Ausnahmen sind aber erlaubt, wenn es um wesentliche berufliche Anforderungen geht. Endgültigen Urteile stehen in beiden Verfahren noch aus, angekündigt sind sie für Herbst. Die Gutachten der Generalanwältinnen sind nicht bindend, sondern sollen den Richtern bei ihrer Entscheidungsfindung helfen. In der Mehrzahl der Fälle folgen die EuGH-Richter den Anträgen der Generalanwälte. Doch wie fällt das Urteil, wenn sie dabei zu einer unterschiedlichen Rechtsauslegung kommen?

Fall 1: Neutralität als Arbeitskodex

Juliane Kokott, deutsche Generalanwältin am EuGH, vertritt die Ansicht, dass ein Kopftuchverbot zulässig sein kann, wenn es sich auf eine allgemeine Betriebsregelung stützt. Die Firma will religiöse Neutralität herstellen. Deshalb sei die Arbeitnehmerin nicht „aufgrund ihrer Religion“ diskriminiert worden.

Fall 2: Kopfbedeckung hindert nicht an der Arbeit

Eleanor Sharpston, britische Generalanwältin, stellt die Kündigung der französischen Software-Designerin als eine Diskriminierung dar. Denn die Mitarbeiterin habe ihre Aufgabe auch mit Kopfbedeckung wahrnehmen können. Die Beschwerde des Kunden stelle keine „berufliche Anforderung“ dar, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen würde. So definiert es eine EU-Richtlinie. Die Generalanwältin erkannte zwar an, dass die IT-Firma möglicherweise Nachteile durch das Verhalten erleide. Diese wögen aber eine religiöse Diskriminierung nicht auf.

Grundgesetz schützt religiöse Symbole

Die Entscheidungen machen deutlich: Ob ein Kopftuchverbot diskriminierend ist, hängt sowohl vom geschäftlichen Interesse des Unternehmens, den Betriebsregelungen, als auch von den Aufgaben der Mitarbeiter ab. Um Fälle rechtlich zu bewerten, müssen Richter die konkreten Umstände berücksichtigen. Dazu zählt auch, ob es sich um  Arbeitnehmer handelt oder Beamte. Sie repräsentieren in ihrem Dienst „den Staat“, der in Bezug auf Religion zur Neutralität verpflichtet ist. Das Grundgesetz sagt aber auch, dass niemandem der Zugang zum öffentlichen Dienst aufgrund seiner Religion verwehrt werden darf.

Das Grundrecht der Religionsfreiheit hat einen hohen Stellenwert. In Artikel 4 heißt es unter anderem: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“. Das beinhaltet, dass Frauen Kopftücher – religiöse Symbole – auch in der Arbeitswelt tragen dürfen. Der Arbeitgeber kann dieses Recht allerdings einschränken, wenn er dafür sachliche Gründe hat. Das können Sicherheitsvorschriften sein oder wenn dadurch das Betriebsklima gestört wird. Kommt es zum Streit, geht’s vor Gericht.

In beiden Fällen tritt nun die Große Kammer des Gerichts in die nähere Prüfung des Sachverhaltes ein. Das Gericht tagt dabei in beiden Rechtssachen in der gleichen Besetzung. Ob in drei bis sechs Monaten auch am gleichen Tag ein Urteil gesprochen wird ist noch offen. Sobald der EuGH in den aktuellen Verfahren entschieden hat, dürfte es in diesem Bereich mehr Rechtssicherheit geben.

Kopftuchverbot in Bayern kippt

Das würde sicherlich auch die Situation in Bayern ändern. Hier hat das Thema ebenfalls für Diskussionen gesorgt. So erklärte das Verwaltungsgericht in Augsburg das seit acht Jahren in Bayern praktizierte Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen als unzulässig. Damit bekam eine 25-jährige Jura-Studentin recht – sie hatte sich von dem Verbot diskriminiert gefühlt. Das Urteil aus Augsburg ist noch nicht rechtskräftig, Bayerns Justizminister Bausback kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. (Lesen Sie mehr dazu: Bausback will Berufung gegen Kopftuch-Urteil.)

Bausback will Rechtsklarheit

Auch vor Gericht ist noch nicht klar: Dürfen Frauen ihr Gesicht in Verhandlungen aufgrund ihrer Religion komplett verhüllen? Bisher entscheiden Richter nach eigenem Ermessen. Bayern hat deshalb den Bund dazu aufgefordert, gesetzlich zu regeln, dass Beteiligte ihr Gesicht im Gerichtssaal nicht verdecken dürfen. Deshalb hat das Kabinett eine Bundesratsinitiative beschlossen. Darin fordert sie die Bundesregierung dazu auf, gesetzlich zu regeln, dass Verfahrensbeteiligte in Gerichtsverhandlungen ihr Gesicht in aller Regel weder ganz noch teilweise verdecken dürfen. (Lesen Sie mehr dazu: Keine Burka vor Gericht.)

Kein Schleier im Unterricht

Was für den Gerichtssaal noch nicht geklärt ist, ist für den Unterricht in bayerischen Schulen eindeutig geregelt. Eine muslimische Schülerin muss im Unterricht den Gesichtsschleier abnehmen. Das entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im April 2014. Das Verbot schränke das Recht der Schülerin auf freie Religionsausübung nicht in unzulässiger Weise ein. Der Schleier, der nur die Augen freilässt, behindert nach Ansicht der Richter die ständige – auch nonverbale – Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern. Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrer kann ein Bundesland allerdings nicht verabschieden. Das stellte Karlsruhe in einem Beschluss aus dem Jahr 2015 klar, bei dem es um zwei muslimische Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen ging. Ein Verbot des Kopftuchs sei erst dann gerechtfertigt, wenn der Schulfrieden gefährdet sei.