Keine Burka vor Gericht
Was in Schulen verboten ist, ist vor Gericht noch nicht klar: Dürfen Frauen ihr Gesicht in Verhandlungen aufgrund ihrer Religion komplett verhüllen? Bisher entscheiden Richter nach eigenem Ermessen. Bayern fordert deshalb den Bund dazu auf, gesetzlich zu regeln, dass Beteiligte ihr Gesicht im Gerichtssaal nicht verdecken dürfen.
Bundesratsinitiative

Keine Burka vor Gericht

Was in Schulen verboten ist, ist vor Gericht noch nicht klar: Dürfen Frauen ihr Gesicht in Verhandlungen aufgrund ihrer Religion komplett verhüllen? Bisher entscheiden Richter nach eigenem Ermessen. Bayern fordert deshalb den Bund dazu auf, gesetzlich zu regeln, dass Beteiligte ihr Gesicht im Gerichtssaal nicht verdecken dürfen.

Weder Augen, Nase noch Mund sind zu erahnen. Der hellbraune Stoff über dem knöchellangen schwarzen Mantel von Amira B. verhüllt ihren Kopf und ihr Gesicht komplett. Kein Wunder, dass die Richterin sie dazu auffordert, den Schleier zu lüften, um ihre Identität zu überprüfen. Wegen ihrer Religion weigert sich Amira B. zunächst, tritt dann doch zur Richterbank und entblößt ihr Gesicht. Ihre Aussage will sie aber nicht unverschleiert machen. Die Vorsitzende Richterin belehrt sie: „Vor einem deutschen  Gericht müssen Sie ihr Gesicht zeigen. Alle Prozessbeteiligten müssen sie sehen, damit wir auch ihre Mimik einschätzen können.“ So beschreibt eine Autorin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Vorfall. Admira B. klappt schließlich ihren Schleier hoch und sagt aus. Allerdings nur, wenn der Angeklagte sie nicht anschaut. Starr muss er seinen Kopf nach vorne richten und darf Admira B. nicht mehr anblicken.

Farce oder Verhandlung?

Was sich in diesem Berufungsprozess Mitte März 2016 im Landgericht München abspielt, klingt eher nach einer Farce als nach einer Verhandlung. Nach der Beweisaufnahme spricht das Gericht den Angeklagten frei und verwirft die Berufung. Alle Prozessbeteiligten verzichten darauf, Rechtsmittel einzulegen, das Urteil ist somit rechtskräftig, die Kosten trägt die Staatskasse. Tatsächlich ging es in dem eher unbedeutenden Verfahren darum, dass die Klägerin auf ihre Gesichtsverschleierung bestand – auch vor Gericht.

Denn in erster Instanz vermied das Amtsgericht eine Antwort auf diese Frage. Bereits in der Verhandlung im November 2015 verhüllte Amira B. ihr Gesicht und legte den Schleier nicht ab. Aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ verzichtete der Richter in Übereinstimmung mit Verteidigung und Staatsanwaltschaft darauf, dies zu ahnden. Der Angeklagte wurde freigesprochen, doch die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. So kam es im Berufungsprozess erneut zur Gretchenfrage, wie das Gericht mit der Kleiderfrage umgeht.

Expertise aus Saudi-Arabien gefragt

Der Fall zeigt, dass es bisher im Ermessen des Richters liegt, wie er mit einer Gesichtsverschleierung umgeht. Im Fall Amira B. besorgten sich die Richter in zweiter Instanz zudem laut Süddeutscher Zeitung die Expertise eines saudischen Islam-Rechtsgelehrten. Er stellte in einem ähnlichen Fall 2011 fest, dass das Ablegen der Niqab vor Justizorgangen und Strafverfolgungsbehörden erlaubt sei. Der Anwalt der streng gläubigen Frau kündigte daraufhin an, dass seine Mandantin den Schleier in der Berufungs-Verhandlung ablegen werde.

Bund soll Verhüllung verbieten

Bayern will hier künftig Rechtsklarheit schaffen. Deshalb hat das Kabinett eine Bundesratsinitiative beschlossen. Darin fordert sie die Bundesregierung dazu auf, gesetzlich zu regeln, dass Verfahrensbeteiligte in Gerichtsverhandlungen ihr Gesicht in aller Regel weder ganz noch teilweise verdecken dürfen.

Für den Rechtsstaat ist die Erforschung der Wahrheit in gerichtlichen Verfahren zentrale Aufgabe und Verpflichtung, die nicht relativiert werden darf. Der Rechtsstaat braucht in Gerichtssälen einen unverhüllten Blick in das Gesicht und auf die Wahrheit!

Winfried Bausback, Bayerischer Justizminister

Das im Grundgesetz verankerte Rechtsstaatsprinzip gebiete den Gerichten, den wahren Sachverhalt bestmöglich aufzuklären. Richter müssten dazu alle Erkenntnisquellen ausschöpfen, einschließlich Mimik. Es komme nicht nur darauf an, was ein Zeuge sagt, sondern auch wie er es sagt: Wird der Zeuge rot im Gesicht? Zuckt der Zeuge bei einer Frage zusammen? Hat er Schweißperlen auf der Stirn? All das könne wichtig sein, um die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu beurteilen, sagt Justizminister Bausback.

Urteil mit Signalwirkung

Frauen, die ihr Gesicht vollständig verhüllten, waren bereits Verfahrensbeteiligte vor bayerischen Gerichten. Weder das Gerichtsverfassungsgesetz noch die einzelnen Verfahrensordnungen sehen für solche Fälle bislang spezifische Regelungen vor. Das geltende Recht ermöglicht den Gerichten zwar, die Abnahme eines Gesichtsschleiers im Einzelfall anzuordnen. Aber Bayern will durch eine bundesweit einheitliche Regelung Gewissheit für Gerichte und Betroffenen schaffen. Gleichzeitig sieht der Justizminister in der Initiative auch ein wichtiges Signal gegen eventuelle Verunsicherungen in der Bevölkerung.

Die Identität unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung wird sich nicht verändern. Bayern sorgt dafür, dass der Rechtsstaat seine gewachsenen Grundwerte entschlossen verteidigen kann.

Winfried Bausback, Bayerischer Justizminister

Kein Schleier im Unterricht

Was für den Gerichtssaal noch nicht geklärt ist, ist für den Unterricht in bayerischen Schulen eindeutig geregelt. Eine muslimische Schülerin muss im Unterricht den Gesichtsschleier abnehmen. Das entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im April 2014. Das Verbot schränke das Recht der Schülerin auf freie Religionsausübung nicht in unzulässiger Weise ein. Der Schleier, der nur die Augen freilässt, behindert nach Ansicht der Richter die ständige – auch nonverbale – Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern.

Burka-Verbot in der EU

In den meisten europäischen Staaten gibt es kein Verbot, eine Burka zu tragen. Eine Ausnahme ist Frankreich. Dort ist es seit 2011 grundsätzlich verboten, sich in der Öffentlichkeit zu vermummen. Darunter fallen neben Masken aller Art auch Burka und Nikab. Verschleierung wird mit einer Geldstrafe von 150 Euro bestraft. Das französische Innenministerium schätzt laut Zeit Online, dass etwa 2000 Frauen in Frankreich von dem Verbot betroffen sind. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Burka-Verbot in Frankreich für rechtens erklärt. Neben Frankreich haben auch Belgien und die Niederlande ein Burka-Verbot erlassen. In Deutschland dürfen sich Frauen im öffentlichen Dienst nicht vermummen. Das beschloss Hessen als erstes Bundesland im Februar 2011.

Verschleierungsverbot nur im Einzelfall

Bei der Bundesratsinitiative des Freistaats geht es nicht um kein generelles Burka-Verbot. Für Deutschland hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags 2012 laut Welt in einem Gutachten klargestellt, dass ein generelles Verbot, Burka oder Nikab zu tragen, verfassungswidrig sei. Es verstoße gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes. Nur im Einzelfall sei ein Verbot zulässig – wenn es mit anderen Verfassungsgütern kollidieren sollte. So hat das Bayerische Verwaltungsgericht in München den Gesichtsschleier 2014 in der Schule untersagt.