SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. (Foto: CommonLens/imago)
SPD-Chef

Gabriel plant rot-dunkelrot-grünes Bündnis

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat einen Schulterschluss der Mitte-Links-Parteien im Kampf gegen Rechts gefordert. In einem Gastbeitrag für das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" warf er Bundeskanzlerin Angela Merkel vor, mit einer "Entkernung der CDU" mitverantwortlich für das Erstarken rechter Kräfte zu sein. Eigentlich geht es ihm aber nur um eines: Die Vorbereitung von Rot-Dunkelrot-Grün.

Die Mitte-Links-Parteien müssten sich besinnen, „um ihren notorischen Missmut, ihre Eitelkeiten und Spaltungen zu überwinden“, mahnte Gabriel. „Deutschland braucht jetzt ein Bündnis aller progressiven Kräfte.“ Damit meinte der Vizekanzler aber eigentlich nur alle linken Parteien. Denn dass es ihm neben Streicheleinheiten für die widerwilligen Linken in der SPD nur um die Vorbereitung eines rot-dunkelrot-grünen Bündnisses geht, macht seine nächste Äußerung deutlich: „In Europa müssen progressive Parteien und Bewegungen füreinander bündnisbereit und miteinander regierungsfähig sein“, mahnte der SPD-Chef. Das gelte auch für Deutschland. Da die Union für die SPD aber immer bündnisbereit und miteinander regierungsfähig war, kann nur die Linkspartei gemeint sein. Gabriel machte deutlich, dass es hier noch programmatische Hürden zu überwinden gilt: Ein solches Bündnis verlange „einiges“ von den Sozialdemokraten und ihren denkbaren Partnern. „Doch der Gegner der Demokratie steht rechts.“

Den Boden bereitet für Rot-Dunkelrot-Grün

SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel sagte der „Bild„-Zeitung klar und deutlich, dass es nicht um die Neuauflage der Großen Koalition geht, sondern um die Beteiligung der Linkspartei. „Die Sozialdemokratie stellt fast nirgends die absolute Mehrheit, deshalb wollen wir den Schulterschluss mit fortschrittlichen Kräften und sind auch offen für neue soziale Bewegungen.“ Es wäre „wünschenswert, wenn sich unter anderem in der Linkspartei die durchsetzen, die sich dieser Verantwortung stellen“. Und Gabriels Stellvertreter vom äußersten linken Rand der SPD, Ralf Stegner, forderte eine Alternative zur großen Koalition. „Bürgerversicherung, moderne Familienpolitik, gute Arbeit, Rente und Bildung sowie Steuergerechtigkeit – all das geht mit der Union nicht“, sagte er ebenfalls der „Bild„-Zeitung.

Wir sollten 2017 vor den Bundestagswahlen mit der SPD einen Lagerwahlkampf gegen die Bürgerlich-Konservativen führen.

Bernd Riexinger, Linken-Chef

Eine neue sozialistische Einheitsparteiengruppe also? Im 70. Jahr der Zwangsvereinigung von SPD und KPD (der Bayernkurier berichtete) ist das ein reichlich geschichtsvergessener Wunsch. Obendrein hat die Linkspartei ein Programm, das mit dem der SPD an vielen Stellen völlig unvereinbar ist, beispielsweise in der Außenpolitik. Das Kalkül Gabriels ging jedenfalls sofort auf: Linke-Chef Bernd Riexinger wertete dessen Äußerungen als „klares Signal“ und forderte Gabriel auf, direkte Gespräche mit seiner Partei aufzunehmen. „Wir sollten 2017 vor den Bundestagswahlen mit der SPD einen Lagerwahlkampf gegen die Bürgerlich-Konservativen führen“, sagte Riexinger der „Passauer Neuen Presse„. „Ein erster Schritt wäre eine rot-rot-grüne Übereinkunft über einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten.“

Gabriels Absetzbewegungen

Gabriel hatte zuletzt auch mehrfach deutlich gemacht, dass er seine Partei mit einem Mitte-Links-Kurs stärker vom Koalitionspartner Union abgrenzen will. Im „Spiegel“ übte er nun deutliche Kritik an Merkel. „Es war eine der großen historischen Leistungen der Union, vielen alten Nazis und Deutsch-Nationalen in der jungen Bundesrepublik eine politische Heimat gegeben zu haben.“ Mit diesem Anspruch habe der frühere CSU-Chef Franz Josef Strauß schon recht gehabt. „Mit Angela Merkels politischer Entkernung der CDU haben die Unionsparteien ihre Bindekraft für dieses Milieu verloren.“ Dieses „vergiftete Lob“ Gabriels ist nicht nur falsch, es hört sich zudem noch wie Kritik an und soll es natürlich auch sein. CDU-Generalsekretär Peter Tauber antwortete mit leicht resignierter Note:

Das ist so dummdreist, was der SPD-Vorsitzende da getan hat und bar jeder historischen Realität, dass ich keine Lust habe, mich mehr damit zu beschäftigen.

Schließlich waren NSDAP-Mitglieder nach dem Krieg in allen Parteien zu finden, einschließlich der SPD. Auch einige Bundesminister waren darunter zu finden. Über die Gründe für einen NSDAP-Beitritt und die bewusste Abkehr von der Nazi-Partei ist ausreichend geschrieben worden.

Eine Bundestagsdrucksache ergab 2011:

Mitglieder der NSDAP oder einer ihrer Untergliederungen und Organisationen wie SS und SA waren (ohne Wertung für den Einzelfall, die Mitgliedschaftsdauer, das Eintrittsalter und das jeweilige Beitrittsmotiv) aus der SPD zum Beispiel der Ex-Bundesjustizminister und Chef im Bundeskanzleramt, Horst Ehmke, der Ex-Bundesminister Erhard Eppler, der Ex-Bundeswirtschaftsminister und -Bundesfinanzminister, Karl Schiller, Karl Ahrens (MdB), Rudi Arndt (MdL Hessen, Minister, MdEP) oder Alfons Bayerl (MdB). War die SPD also „politische Heimat“ von alten Nazis?

Gabriel verlangte „mehr Kampfbereitschaft der demokratischen Linken“, um der Herausforderung durch rechte Kräfte zu begegnen. Ob er damit die teilweise allzeit gewaltbereiten Linksradikalen, Autonomen und Antifa-Truppen meint? Zugleich forderte der SPD-Chef die Intellektuellen in Deutschland auf, ihre Stimme zu erheben und „ihre gezierte und selbstverliebte Distanzierung von der ruppigen Welt der Parteiendemokratie abzulegen“.

In der Mitte sind schon lange nicht einmal mehr Stehplätze zu haben.

Björn Engholm, ehemaliger SPD-Chef

Auch der frühere SPD-Vorsitzende Björn Engholm forderte von seiner Partei eine Positionierung links von der Mitte. „Dort ist Platz für und Bedarf an Sozialdemokratie. In der Mitte sind schon lange nicht einmal mehr Stehplätze zu haben“, sagte Engholm der Deutschen Presse-Agentur. Die großen Volksparteien erlebten zurzeit eine Krise der demokratischen Beteiligung, was sich in einem erschreckenden Rückgang der Wahlbeteiligung äußere. Um aus diesem Tief herauszukommen, müsse die SPD ein geradliniges, kantiges Profil entwickeln und es auch konsequent vertreten: „Wir müssen klare Kante zeigen.“

Seehofer: Nur die SPD ist entkernt worden

CSU-Chef Horst Seehofer hat nun Kanzlerin Angela Merkel (CDU) vor den Vorwürfen von SPD-Chef Sigmar Gabriel in Schutz genommen – und im Gegenzug seinerseits die Sozialdemokraten angegriffen. „Die größte Entkernung hat bei der SPD stattgefunden, das ist ja unbestritten“, sagte Seehofer am Montag vor einer CSU-Präsidiumssitzung in München. „Also wenn man mal als Volkspartei unter 20 Prozent rutscht, verstehe ich, dass ein Parteivorsitzender dann auf andere Parteien lenkt. Aber ein Kern ist bei den Sozialdemokraten wirklich derzeit nicht zu erkennen.“ Seehofer reagierte gelassen auf Gabriels Gedankenspiele. „Für mich ist das immer klar gewesen: Wenn die Linken ein Bündnis schließen können, werden sie es tun, denn sonst haben sie ja objektiv überhaupt keine Chance.“ Deshalb überraschten ihn die Gedankenspiele des SPD-Chefs auch nicht. „Das ist auch eine Lebensversicherung für ihn“, meinte Seehofer.

Es geht nur darum, das Kanzleramt zu erreichen, ganz egal mit wem.

Jens Spahn, zu Gabriels Vorstößen

Eine Entfernung der CDU von ihren Werten und einen Verzicht auf konservative Stammwähler hatte in der Vergangenheit auch die CSU der Schwesterpartei vorgeworfen, zuletzt im Streit um die Flüchtlingspolitik. Um einen Ausweg aus dem Konflikt um den weiteren Kurs zu finden, wollen sich die Parteispitzen von CDU und CSU am Freitag zu einer Klausurtagung in Potsdam treffen. Denn auch viele CDU-Mitglieder teilen die Ansichten der CSU, darunter etwa der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff.

Auch führende CDU-Politiker haben den Vorstoß von SPD-Chef Gabriel für ein Mitte-Links-Bündnis kritisiert. „Ich glaube, das ist der verzweifelte Versuch, irgendwie auf die Beine zu kommen“, sagte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier. Er wolle damit dem linken Flügel der eigenen Partei ein Signal geben. „Rot-Rot-Grün wäre für Deutschland schlimm“, sagte Bouffier. CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn nannte den Vorstoß „geschichtsvergessen“ und „machtversessenen“. „Es geht nur darum, das Kanzleramt zu erreichen, ganz egal mit wem.“

(dpa/avd)