Rechts ist da, wo der Daumen links ist: Kanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer im April nach dem Koalitionsgipfel. (Foto: Imago/Reiner Zensen)
Strauß-Interpretation

Blick nach rechts zur Mitte

CDU-Vorsitzende Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer streiten über die Richtigkeit des Strauß-Satzes: Rechts von der Union dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Eigentlich dreht sich der Zwist aber nicht darum, ob das stimmt - sondern wie es zu erreichen wäre.

Den einstigen Übervater letztgültig zu interpretieren, das haben die Strategen im Münchner „Franz Josef Strauß-Haus“ stets für sich beansprucht. Dass die CDU-Vorsitzende nun auch in der Strauß-Exegese mitredet, das treibt die Vordenker in der CSU-Zentrale in Verwunderung, Ärger, wahlweise auch ins ironische Amüsement.

Die Interviewer der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hatten Kanzlerin Angela Merkel gebeten, für sie einen Leitsatz von Franz Josef Strauß auszulegen: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben“, hatte der Parteivorsitzende im Jahr 1986 nach Wahlerfolgen der „Republikaner“ gefordert. Interpretin Merkel tat hierzu eine Einerseits-andererseits-Deutung kund, wonach die Sentenz je nach Perspektive nach rechts oder links zutreffe oder in die falsche Richtung führe. „Der Satz ist einerseits richtig“, erklärte sie, „weil wir uns als Union stets so verstehen müssen, dass wir zur Mitte hin integrieren, auch indem wir zum Beispiel als Partei der Sicherheit Lösungen für die innere und äußere Sicherheit anbieten, Ordnung und Steuerung in als ungeordnet empfundene Zustände bringen. Damit geben wir konkrete Antworten auf reale Sorgen und Anliegen der Menschen.“ Wobei ihr Augenmerk ein wenig auseinanderdriftet, wenn sie mit einem Blick nach rechts zur Mitte schauen will.

Ihre Zustimmung schränkte sie jedoch ein: „Wenn der Satz von Strauß aber andererseits auch so verstanden werden kann, dass im Ergebnis Prinzipien relativiert oder gar aufgegeben werden müssten, damit Menschen sich nicht von der Union abwenden, Prinzipien, die für unser Land wie auch die Union konstitutiv sind, die den Kern unserer Überzeugungen ausmachen, dann gilt dieser Satz für mich nicht.“

Bayerische Antwort in Berlin

Den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer reizte diese Auslegung zur Replik. Mit einem süffisanten Lächeln quittierte er in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ den Versuch, die Deutungshoheit über Strauß’sche Gedanken in die Bundeshauptstadt zu verlagern. Nach Seehofers Wahrnehmung trifft der Grundsatz nicht halb, sondern ganz zu: „Der Satz ist heute so richtig wie vor 30, 40 Jahren. Das ist mein ganzer Lebensinhalt, Politik für eine Volkspartei zu machen, um zu vermeiden, dass rechts von einer Volkspartei eine demokratisch legitimierte Partei entsteht.“ Dafür habe er vier Jahrzehnte Politik betrieben – „und darf jetzt erfahren, dass er unter bestimmten Voraussetzungen gar nicht stimmt, der Satz“.

Hinter dieser Auseinandersetzung um die historische Strauß-Forderung steht die gegenwärtige Richtungsdebatte zwischen CSU und CDU. Umso interessanter, weil Strauß sie angesichts der Lagertheorie des seinerzeitigen CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler erhoben hatte, wonach mit dem Erstarken der Grünen zwei große Lager gegeneinander stünden: CDU/CSU und FDP auf der rechten Seite der hypothetisch angenommenen Mitte, sowie SPD und Grünen auf der linken Seite des Spektrums.

Ausweitung des Spektrums

Aus dieser Vierer-Konstellation ist seitdem auf Bundesebene mit dem Aufkommen der „Linken“ ein Fünfer-Tableau geworden, das sich womöglich mit der AfD zu einem Sechser erweitert. Mit welcher Strategie die Volksparteien ihrer Erosion begegnen sollten, darum dreht sich zwischen den beiden schwarzen Schwesterparteien die Diskussion. Mit einer Besinnung auf das konservative Kerngeschäft? Oder mit einer Akzentverschiebung hin zu möglichen Koalitionspartnern im Farbenspektrum zwischen rot, gelb oder grün? „Wenn man zu sehr auf die Linkskurve schaut, dann verliert man treue Fans, die einen immer von Erfolg zu Erfolg getragen haben“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer dazu der Süddeutschen Zeitung. Der Strauß-Satz sei noch heute „brandaktuell“. Hans Reichhart, Landesvorsitzender der Jungen Union hält ihn zwar eigentlich für einen Allgemeinplatz, über den man nicht streiten müsse. „Jeder, der sagt, er steht auf dem Boden des Grundgesetzes, muss auch bei der CDU willkommen sein“, betonte Reichhart jedoch.

Der eigentliche Zwist innerhalb der Union dreht sich nicht um die Richtigkeit des Strauß-Satzes, sondern mit welchen Mitteln seine Zielsetzung zu erreichen wäre. Seehofer jedenfalls hat in der ARD klargestellt, dass er keineswegs christlich-soziale Kernwerte drangebe. „Wir aus Bayern heraus haben kein einziges Prinzip, das die Union ausgemacht hat in der Nachkriegsgeschichte, aufgekündigt“, betonte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef.