Koalitionäre mit Früchten: Hinter Körben voller Kiwis und grün-schwarzer Trauben präsentieren Ministerpräsident Winfried Kretschmann (2.v.r.) und sein CDU-Vize Thomas Strobl (3.v.r.) ihren Koalitionsvertrag. (Foto: Imago/7aktuell)
Grün-Schwarz

Der exotische Kiwi-Konservatismus im Südwesten

Der Koalitionsvertrag zwischen den Grünen und der CDU in Baden-Württemberg birgt gegenseitige Zumutungen. In der Bildungspolitik offenbart er den maximalen Kompromiss, der eigentlich ein Widerspruch ist: Die CDU darf die Realschule stärken, während die Grünen ihre Gemeinschaftsschule ausbauen - ein Nebeneinander statt eines Miteinanders.

Die beiden Koalitionspartner in der neuen Regierung von Baden-Württemberg streichen die Gemeinsamkeiten hübsch heraus. Am Anfang einer politischen Verbindung fällt das auch meist leichter als an ihrem Ende, auch wenn sie historisch erst- und einmalig ist: Grün-Schwarz, die Kiwi-Koalition von Stuttgart, eine exotisch-fruchtige Kombination im tief bürgerlichen Schwaben. Der Koalitionsvertrag sei „mehr als der kleinste gemeinsame Nenner“, erklärt der alte und neue Ministerpräsident Winfried Kretschmann (grün). Während sein Juniorpartner Thomas Strobl (schwarz) sich bemüht, die Stärke der anderen in die eigenen umzuinterpretieren: „Die Grundidee der Grünen ist ja nichts anderes als die Bewahrung der Schöpfung, ein ur-christdemokratisches Anliegen.“

Winfried beinhart

Dass die damit konstruierte politisch-kulturelle Nähe von beiden Seiten jahrzehntelang bestritten wurde, lässt die Annäherung im Jahr 2016 umso erstaunlicher wirken. Aber ein Wahlergebnis mit 30,3 Prozent für die Grünen und 27 Prozent für die CDU ließ den beiden neuen Partnern wenig andere Wahlmöglichkeiten. Wo doch alle anderen potenziellen Partner wie die SPD mit 12,7 Prozent oder die FDP mit 8,3 Prozent zu schwach abgeschnitten hatten. Kretschmann versicherte, die Verhandlungen mit der CDU seien teilweise „beinhart“ geführt worden. Das Koalitionspapier jedenfalls wirkt wie der harte Kompromiss, der er für beide Seiten an einigen Stellen tatsächlich auch ist.

Beinhart.

Winfried Kretschmann, über die Art der Koalitionsverhandlungen

Trotz der blumigen Formulierungen im Vorwort, wie sie viele solcher Verträge beinhalten („nachhaltig und innovativ“, „engagiert und freiheitlich“, „leistungsstark und gerecht“ und noch vieles mehr will die Politik in Baden-Württemberg sein), stehen eine Menge gegenseitige Zumutungen in dem Konvolut. Dies fängt bereits mit dem jährlichen Einspar-Volumen von 1,8 Milliarden Euro an, das sich Grüne und Schwarze auferlegt haben. Im Jahr 2020 wollen sie keine neuen Schulden mehr aufnehmen müssen. Dabei soll freilich Luft bleiben für Investitionen in die Digitalisierung: 325 Millionen Euro sollen in schnellere Netze oder in Projekte fließen, welche die „Wirtschaft 4.0“ vom suggestiven Wort in eine ökonomische Tatsache verwandeln soll.

Luft soll auch bleiben für 1500 neue Planstellen im Polizeiapparat. Rund 100 Millionen Euro soll zudem die Modernisierung der Ausrüstung für die Polizisten kosten. Das Sicherheitsgefühl der Bürger gelte es zu erhöhen, vermelden die Koalitionspartner. Dazu gehört auch die wieder zu schaffende Möglichkeit für Kommunen, ein Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen auszusprechen. Die Grünen müssen damit eine ungeliebte Kröte schlucken, weil sie eben nicht nur eine konservative, sondern im Herzen angeblich auch eine liberale Partei sind, die den Leuten ungern das Trinken verbietet – trotz des im letzten Bundestagwahlkamp erworbenen Titels einer „Verbotspartei“.

Viel Luft für vieles

Recht luftig ist im gemeinsamen Zukunftsplan für die neue Legislaturperiode auch das Thema „Zuwanderung“ ausformuliert: „Offenherzig und realistisch“ solle die Politik gegenüber Flüchtlingen sein, schreibt Grün-Schwarz. Für den Arbeitsmarkt seien die Neuankömmlinge eine Chance.

Ein Purzelbaum nach vorne mit integrierter Rolle rückwärts.

Am offensichtlichsten sind die Differenzen zwischen beiden Partnern in der Bildungspolitik: Die CDU darf laut Koalitionsvertrag die Realschulen stärken, während die Grünen ihre Lieblingsschulform Gemeinschaftsschule stärken dürfen. Letztere hat die CDU immer erbittert bekämpft, weil das Modell in Schulstudien immer schlecht abgeschnitten hat. Der Höhepunkt des Kompromisses betrifft die „verbindliche Grundschulempfehlung“ für die weiterführende Schule. Laut Vertrag wird sie nicht wieder eingeführt. Dafür soll es eine freiwillige Empfehlung der Grundschule geben, ob ein Schüler aufgrund seiner Noten auf das Gymnasium, die Gesamt- oder die Realschule gehen soll. Mit welchen Konsequenzen, falls der Notenschnitt zu hoch ist? Womöglich wird sich das in der Praxis schon irgendwie pragmatisch gestalten lassen. Im Vertrag aber klingt es widersprüchlich – ein Purzelbaum nach vorne mit integrierter Rolle rückwärts. Ganz der Stoff eben, aus dem manchmal die Verträge zwischen nicht ganz so nahe liegenden Partnern bestehen.

Immerhin im Minister-Tableau stehen die beiden Parteien pari beisammen. Fünf Ämter für die Grünen, fünf für die CDU. Und der Ministerpräsident ist im Kabinett das Überhangskandidat für den Partner mit dem besseren Wahlergebnis. Wer die Ministerien künftig leitet, zeigen die nächsten Tage. Einer aus Kretschmanns alter Regierung wird jedenfalls künftig sicher nicht mehr mit dabei sein. Der grüne Landwirtschaftsminister Alexander Bonde schmiss via „Facebook“ hin: „Meine Frau und ich haben gemeinsam entschieden, dass ich für ein Ministeramt im nächsten Kabinett nicht zur Verfügung stehe. Ich bin bei Bedarf bereit, weiter Verantwortung für das Land zu übernehmen, aber nicht in der ersten Reihe als Minister.“ Zuvor hatte es Illustriertenberichte über eine außereheliche Liebschaft Bondes gegeben.