Uraufführung des Musikprojekts "Aghet" im November 2015 in Berlin. (Foto: Filip Zorzor/Dresdner Sinfoniker)
Kulturfreiheit

Aghet doch

Die EU-Kommission stellt den Text zum von der Regierung Erdogan bekämpften Musikprojekt "Aghet" über den Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern wieder auf ihre Website. Die türkischen Einflussversuche auf europäische Kunstvorhaben häufen sich ebenso wie die Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit in Europa. Das Gemeine für Erdogan daran ist: Die Medien schlagen zurück.

Nach Protesten aus Deutschland hat die EU-Kommission den umstrittenen Text zum Dresdner Musikprojekt „Aghet – Die große Katastrophe“ wieder auf ihre Website gestellt. Unter der Rubrik des Kulturförderprogramms „Creative Europe“ ist nun wieder vermerkt, dass das Konzertprogramm der Dresdner Sinfoniker für die Dauer von 24 Monaten mit 200.000 Euro unterstützt werde. Die Inhaltsangabe erklärt, dass das Jahr 2015 den 100. Jahrestag der „ethnischen Säuberung der Armenier durch das Osmanische Reich“ markiere. Dieser „Genozid, den die türkischen Behörden noch immer bestreiten“, demonstriere den „schreckenerregenden Weg des Ottomanischen Reiches in die westliche Moderne“. In einem Kasten unter dem 23-zeiligen Text weist die Kommission jedoch darauf hin, dass die Europäische Union nicht verantwortlich für den Inhalt sei. Dieser gebe lediglich die Meinung des Autoren wieder.

Der Text, den die Dresdner Sinfoniker zu ihrem Förderantrag einreichten, hatte jüngst eine Intervention der Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan provoziert. Über ihren Brüsseler Botschafter hatte sie den Stop der finanziellen Förderung von der EU-Kommission für „Aghet“ gefordert. Die Kommission hatte daraufhin den Text vom Netz genommen, dabei jedoch betont, ihre Unterstützung für das Projekt stehe nicht in Frage.

CSU gegen EU-Beitritt der Türkei

Der Generalsekretär der CSU, Andreas Scheuer, hatte in einem Statement für den Bayernkurier zu dem Fall erklärt:

Die Türkei leugnet den Völkermord an den Armeniern durch das Osmanische Reich vor hundert Jahren. Es ist erschreckend, wie Erdogan immer dreister und häufiger gegen unsere Grundrechte und europäischen Werte vorgeht.

Erdogan trete nicht nur in der Türkei Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen, sondern versuche auch Europa seine Vorstellungen aufzuzwingen. Eine EU-Mitgliedschaft der Türkei hält die CSU nach Scheuers Worten für unmöglich. Es werde immer deutlicher, „dass die Erdogan-Türkei nicht zum aufgeklärten Europa passt“.

Einer der drei Komponisten der Musik für „Aghet“, Helmut Oehring, hatte im Gespräch mit dem Bayernkurier die EU-Kommission scharf kritisiert. Den Text von der Internetseite zu nehmen sei „eine Unmöglichkeit, eine Unglaublichkeit“. Das kulturpolitische Verhalten der türkischen Regierung erinnere ihn an die DDR der 60er- und 70er-Jahre, als dort kritischen Künstlern das Wort verboten wurde.

Immer neue Einflussversuche

Unterdessen häufen sich die Einflussversuche der Administration Erdogans in Kunstprojekte quer durch Europa. Zuletzt verwahrte sich der Stadtrat von Genf gegen das Ansinnen des türkischen Konsulats, ein Foto vor dem Sitz der Vereinten Nationen zu entfernen. Neben dem Porträtbild eines 15-jährigen Jungen steht der Text: „Ich heiße Berkin Elvan, die Polizei hat mich auf Anordnung des türkischen Ministerpräsidenten getötet“. Elvan war im Sommer 2013 bei den Demonstrationen am Gezi-Park in Istanbul von einer Tränengaskartusche am Kopf getroffen worden und später an den Verletzungen gestorben. Der Genfer Stadtrat Guillaume Barazzone hatte nach dem Protest des türkischen Konsulats erklärt: „Genf und die Schweiz stehen für die Freiheit der Meinungsäußerung ein.“

Das Gegenteil erreicht

Die Versuche Erdogans, auch die Presse- und Meinungsfreiheit in Europa ebenso wie in seiner Heimat zu unterdrücken, häufen sich ebenfalls. Man denke nur an den Fall Böhmermann sowie an den kurzzeitig festgesetzten ARD– und den nicht mehr zugelassenen Spiegel-Journalisten. Doch die vierte Gewalt schlägt zurück: Die englische Wochenzeitung „The Spectator“ veranstaltet einen Leserwettbewerb, wer mit einem Gedicht den türkischen Staatspräsidenten am gemeinsten beleidigen kann. Der Gewinner erhält 1000 Pfund in bar. Wichtig ist der Zeitung dabei nicht die Qualität der Poesie, sondern der beleidigende Charakter der Gedichte.

Und die niederländische Zeitung „De Telegraaf“ zeigte auf ihrer Titelseite mit einer großen Karikatur den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan als Gorilla, der mit seinen Pranken die Meinungsfreiheit in Europa unterdrückt. Dabei hat er ein Tintenfass umgeworfen, einige Stifte zerbrochen und eine Frau mit seiner Pranke am Weglaufen gehindert. Dies stellt offensichtlich die in der Türkei nach ihren kritischen Äußerungen über Erdogan festgesetzte niederländische Journalistin Ebru Umar dar. Doch das scheint noch nicht zu reichen: Die Tür zu Umars Wohnung in Amsterdam wurde „mit viel Gewalt“ aufgebrochen, berichtet die niederländische Nachrichtenagentur ANP. Dabei sei ihr alter Computer gestohlen worden.

Beleidigungen gegen Erdogan werden offenbar gesammelt.

Angeblich existiert sogar eine schwarze Liste von in der Türkei unerwünschten Medienvertretern, melden verschiedene Zeitungen. Das deutsche Außenministerium weiß davon nichts – wie auch? Vor Kurzem rief das türkische Konsulat in Rotterdam per Email türkische Gruppierungen in den Niederlanden dazu auf, Beleidigungen gegen Präsident Erdogan, auch die in sozialen Netzwerken, zu melden. Die Niederlande reagierten empört, protestierten offiziell und verbaten sich diese Aktion. Das türkische Konsulat erklärte daraufhin, der Aufruf stamme von einem Mitarbeiter, der mit einer „unglücklichen Wortwahl“ Anlass für Missverständnisse gegeben habe.

Eine große Mehrheit der Deutschen kritisiert laut dem ZDF-Politbarometer den Umgang von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Präsident Recep Tayyip Erdogan. Merkel nehme zu viel Rücksicht auf das türkische Staatsoberhaupt, urteilten vier von fünf Befragten. Zudem bezweifelten ebenfalls 80 Prozent der Befragten, dass die Türkei in der Flüchtlingskrise ein verlässlicher Partner sei.

(GD/avd)