Der Freistaat hatte sich nach dem Reaktorunfall in Fukushima verpflichtet, nur noch Ökostrom für alle staatlichen Anlagen zu verwenden. Allerdings verlangt er bei seinen Ausschreibungen keinen Ökostrom aus Neuanlagen. Darüber hat sich jetzt der Bayerische Rundfunk empört. Weil der Strom auch aus bestehenden und schon älteren Wasser-, Wind- oder Solarkraftwerken kommen darf, würde er dadurch der Energiewende keinen Nutzen bringen, lautet der Vorwurf. Damit ignorierten der Freistaat und die betroffenen Kommunen obendrein auch noch die Leitlinien des Umweltbundesamts.
Wo ist der Frevel?
Ja und? Wozu die Empörung? Ob der Strom nun aus alten oder neuen Anlagen kommt, kann doch eigentlich egal sein, wenn er regenerativ erzeugt wird. Schließlich müssen auch alte Anlagen Geld verdienen, um Sanierungen, Reparaturen oder Modernisierungen sowie Lohn- und Materialkosten bezahlen zu können. Was ist also daran frevelhaft, auch aus ihnen Strom zu beziehen?
Irgendwie hört sich die BR-Recherche fast ein wenig nach Lobbyismus für die Hersteller neuer Windräder und Solaranlagen an, denn neue Wasserkraftwerke werden ja praktisch nicht mehr gebaut. Das will ich dem BR als öffentlich-rechtlichem Sender mit entsprechendem Informationsauftrag natürlich nicht unterstellen. Die Unterstützung der Energiewende ist ja durchaus ein lobenswertes Motiv. Nur ist man hier ein klein wenig über das Ziel hinaus geschossen.
Eine Frage des Geldes
Das Innenministerium ebenso wie der bayerische Gemeindetag rechtfertigten sich nämlich mit höheren Kosten, die Ökostrom nach den strengeren Kriterien möglicherweise mit sich gebracht hätte. Der Freistaat ist mit 957 Gigawattstunden jährlich einer der größten Verbraucher im Land: Die Rede ist daher allein für den Freistaat von 2,2 bis 3,3 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr. Auch der Bayerische Gemeindetag hat seinen Mitgliedern in einer Sammelausschreibung, an der rund 1500 Kommunen teilnahmen, Ökostrom „in Anlehnung an die Kriterien des Umweltbundesamts“, aber ohne Neuanlagenquote offeriert – mit eben dem Ziel, die Strompreise auf diese Weise zu senken. Über 60 Prozent der fast 1500 Kommunen haben übrigens gar keinen Ökostrom gewählt, sondern konventionellen. Bei der nächsten Ausschreibung wollte der Gemeindetag allen Gemeinden ohnehin noch eine zusätzliche Variante „Ökostrom mit Neuanlagenquote“ anbieten.
Schließlich gibt es noch andere wichtige Aufgaben, die es zu finanzieren gilt.
Die Schuldenbremse gilt für alle, daher ist es normal und üblich, dass finanziell schlechter aufgestellte Kommunen (wie auch Bürger) den billigsten Strompreis wählen. Wählen müssen, denn schließlich haben sie auch noch andere wichtige Aufgaben, die es zu finanzieren gilt, beispielsweise Kinderbetreuung, Schulen und Straßen. Das gilt auch für den Freistaat. Es ist eine Abwägung zwischen dem Wunsch, die Energiewende und den Ausbau der erneuerbaren Energien zu fördern, und andererseits einem finanziell gesunden Haushalt und den anderen Aufgaben, die erfüllt werden müssen. Wer die Energiewende noch stärker unterstützen will, aber nicht das Geld dafür hat, der muss seine Bürger fragen, ob sie das auch wollen. Oder lieber gut ausgestattete Schulen, halbwegs anständige Straßen und ausreichend Kindergartenplätze.
Mal wieder Staat vor Privat?
Und warum muss eigentlich der Staat alles regeln? Es ist ein alter Trugschluss linker Politiker, dass Staat besser als Privat ist. Auch bei der Energiewende sollte man nicht alles dem Staat aufladen, auch die Bürger und Unternehmen können ihren Beitrag leisten. Das sei aber nur am Rande bemerkt.
Dieser Ökostrom ist ein vorzüglicher Grafenauer Südhang, Jahrgang 2016, liebliches Windrad, weiß gestrichen mit roten Flügelspitzen, Energieeffizienz A-, direkt aus dem Bayerischen Wald, mittlere Vogelschlagverluste, der Hersteller ist Mitglied der Grünen.
Ökostrom ist Ökostrom. Überspitzt gefragt: Wollen wir anfangen, den Strom künftig ähnlich wie Wein nach Jahrgang, Lage, Höhe, Hangneigung und Sonnenstunden zu beurteilen? Wollen wir Windräder zwischen Offshore, Berglage, Waldgebiet und Acker beurteilen? Oder Solaranlagen nach Privathaus, Gewerbeimmobilie, Solarpark und öffentlichem Gebäude? „Dieser Ökostrom ist ein vorzüglicher Grafenauer Südhang, Jahrgang 2016, liebliches Windrad, weiß gestrichen mit roten Flügelspitzen, Energieeffizienz A-, direkt aus dem Bayerischen Wald, mittlere Vogelschlagverluste, der Hersteller ist Mitglied der Grünen“, sollen so künftig die Unterhaltungen geführt werden?
Leiter des Umweltbundesamtes war 2009 bis 2013 übrigens Jochen Flasbarth, vormals hauptamtlicher Präsident des Naturschutzbunds Deutschland und ab 2003 Abteilungsleiter Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung im vom Grünen Jürgen Trittin geführten Bundesumweltministerium. Seit 2013 leitet SPD-Mitglied Maria Krautzberger das Amt. 2011 fiel nach dem Unfall des AKW Fukushima die Entscheidung zur Energiewende, danach wurden die angesprochenen Leitlinien verfasst. Leitlinien sind aber nicht verpflichtend, sondern nur Vorgaben. Die Energiewelt ist ohnehin zu komplex, um für alles eine Pflicht zu setzen. Das Verhalten des Freistaats und des Bayerischen Gemeindetags ist jedenfalls nicht zu beanstanden.
Unerquickliche Verquickungen
Die ARD-Sendung „Plusminus“ hatte im August 2015 über die Verquickungen von Windindustrie und Windenergielobby berichtet. In dem Beitrag hatte BUND-Mitgründer Enoch zu Guttenberg beklagt, dass 20 führende Persönlichkeiten des BUND über enge Verbindungen zur Windkraftindustrie verfügen und für diese arbeiten. Daraufhin wurde Guttenberg und der zuständige Sender NDR vom BUND auf Unterlassung dieser Äußerung verklagt. Die Klage wurde aber Ende März 2016 zurückgezogen. Die Anwälte des Beklagten erklärten das in einer Pressemitteilung so: „Aufgrund der erdrückenden Beweise sah sich der BUND augenscheinlich gezwungen, mit der Klagerücknahme eine noch größere Blamage zu verhindern. Damit bringt der BUND offensichtlich zum Ausdruck, dass es zahlreiche Verquickungen dieses Verbandes mit der Windindustrie und der Windenergielobby gibt.“ Der Versuch, Enoch zu Guttenberg einen „Maulkorb zu verpassen“, sei damit gescheitert. Besonders pikant: Zu Guttenberg trat 2012 aus dem BUND aus, weil er die seiner Meinung nach landschaftszerstörenden Windräder ablehnte – im Gegensatz zum BUND. Dieser bezeichnete zu Guttenbergs Vorwürfe nach der Sendung als „haltlos“. Man habe „nur sehr wenige Personen, bei denen es Überschneidungen gibt zwischen Beruf und BUND-Ehrenamt, auf Länderebene sind es lediglich zwei von 190, auf Bundesebene gibt es da niemanden“. Laut BR hatte der Richter zu verstehen gegeben, dass zu Guttenbergs Äußerung noch unter Meinungsfreiheit fallen könnte. Ob nun das oder eine drohende Blamage ursächlich für den Klagerückzug war, bleibt wohl offen.