„Wer will, muss länger arbeiten können“
Die angekündigte Rentenreform wird als teure Klientelpolitik verteufelt, bisherige Vorstöße zur Vorsorge wie die Riesterrente als gescheitert erklärt. Doch neue Regeln sind dringend notwendig. Andernfalls droht beinahe der Hälfte der Rentner Armut. Ex-SPD-Chef Franz Müntefering plädierte für mehr Flexibilität, die Rente mit 63, ein Projekt seiner SPD, hält er für "einen Irrtum".
Rentenreform

„Wer will, muss länger arbeiten können“

Die angekündigte Rentenreform wird als teure Klientelpolitik verteufelt, bisherige Vorstöße zur Vorsorge wie die Riesterrente als gescheitert erklärt. Doch neue Regeln sind dringend notwendig. Andernfalls droht beinahe der Hälfte der Rentner Armut. Ex-SPD-Chef Franz Müntefering plädierte für mehr Flexibilität, die Rente mit 63, ein Projekt seiner SPD, hält er für "einen Irrtum".

Die große Koalition bastelt an einer gemeinsamen großen Rentenreform vor der Wahl 2017. Davor warnt hingegen der ehemalige Chef des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, Franz Ruland. Pläne dazu seien „teure Klientelpolitik auf Kosten der künftigen Beitragszahler“ sagte er gegenüber der Bild-Zeitung. Die habe die große Koalition schon mit der Rente mit 63 und der Mütterrente betrieben, sagte der frühere Vorsitzende des Sozialbeirats der Bundesregierung. Er forderte zielgerichtete Verbesserungen für Alleinerziehende, Solo-Selbstständige, Erwerbsunfähige und Langzeitarbeitslose. Gerade diese Menschen seien besonders von Altersarmut bedroht.

Wir brauchen keine neue große Rentenreform.

Franz Ruland, ehemaliger Chef des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger

Immer mehr Altersarmut

Laut Recherchen des WDR droht fast jedem zweiten Bundesbürger Altersarmut wegen des sinkenden Rentenniveaus. So können im Jahr 2030 zwar 28,6 Millionen Bürger erwarten, dass sie mit ihrer Rente auskommen. Bei etwa 25,1 Millionen Menschen treffe das nicht zu, hieß es in dem Bericht. Die Prognose stütze sich auf den heutigen Arbeitsmarkt und die derzeitige Verteilung der Bruttoeinkommen. Insgesamt verdiene heute fast jeder Zweite zu wenig, um höhere Rentenansprüche zu erwerben. Beinahe die Hälfte der Rentner wären dann möglicherweise abhängig von staatlichen Grundsicherungsleistungen, also faktisch Hartz-IV-Empfänger.

Auch die Ausgaben für die Grundsicherung im Alter werden bis 2020 um 35 Prozent steigen. Davon geht die Bundesregierung laut einem Bericht der Rheinischen Post aus. Demnach sind für das laufende Jahr 6,51 Milliarden Euro im Haushalt für Rentner eingeplant, deren eigene Altersbezüge unterhalb des Existenzminimums liegen. Für das Jahr 2020 werde für die Grundsicherung im Alter wohl 8,81 Milliarden Euro nötig sein, also ein gutes Drittel mehr.

Jüngere wollen höhere Beiträge zahlen

Die junge Generation ist zumindest dazu bereit, mehr in die gesetzliche Rente einzuzahlen als die Älteren. 72 Prozent der bis 34-Jährigen können sich das vorstellen, laut einer Studie des Meinungsforschungsinstituts TNS im Auftrag der IG Metall. Die Bereitschaft der Jüngeren zu höheren Rentenbeiträgen hat einen guten Grund. Denn 40 Prozent von ihnen waren schon einmal sechs Monate oder länger arbeitslos. Unter ihnen viele, die nach ihrem Hochschulabschluss keinen sozialversicherungspflichtigen Job gefunden haben. Ein Großteil der Befragten hatte zudem einen Bruttomonatslohn, der nur wenig über dem Mindestlohn liegt.

Später Jobeintritt und geringer Lohn

Das hat Folgen für die Rente. Aber nicht nur die Höhe des Lohns, auch die Menge der Beitragsjahre. So werden Ausbildungszeiten nicht mehr berücksichtigt, zudem sind sie im Vergleich zu früheren Generationen länger geworden, auch dank dem Bologna-Prozess. Viele treten erst mit Ende 20 oder Anfang 30 in eine reguläre Beschäftigung ein. Dann kommt ein befristeter Vertrag nach dem anderen. Unmöglich, 45 volle Beitragsjahre zu erreichen. Hinzu kommen Teilzeitarbeit, Familienauszeiten und Gehälter, die besonders beim Einstieg niedrig sind. Und auch weil in immer mehr Branchen die Tarifbindung abnimmt, fallen die Löhne deutlich niedriger aus.

Vom Scheitern der Reformen

Die von Rot-Grün eingeführte private Zusatz-Rente erklärte Ministerpräsident Horst Seehofer bereits für gescheitert (der Bayernkurier berichtete). Die Privatisierung der Altersvorsorge hat dabei zur Entgrenzung der Finanzmärkte beigetragen. Fazit: Wohlstand im Alter muss erarbeitet werden. Ein Riestervertrag hilft nichts gegen die Tatsache, dass wegen des demografischen Wandels immer weniger Menschen arbeiten. Und deshalb diejenigen, die beschäftigt sind, mehr arbeiten müssen, um das Leistungsniveau zu halten. Deshalb ist auch das Herzensprojekt der SPD – die Rente mit 63 – zwar „populär, aber unvernünftig“. So beurteilt sogar der frühere SPD-Chef und Vizekanzler Franz Müntefering im Interview mit der Bild-Zeitung die im Sommer 2014 eingeführte Frühverrentung.

Die Rente mit 63 halte ich für einen Irrtum. Wer will und kann, muss länger arbeiten können.

Franz Müntefering, ehemaliger SPD-Chef

Müntefering schlägt vor, die Grenze des Renteneintrittsalters nicht pauschal anzuheben, sondern mehr Flexibilität zu ermöglichen. Der Übergang in die Rente müsse außerdem kein radikaler Bruch sein. Möglich wäre beispielsweise nicht mehr acht, sondern vier Stunden am Tag zu arbeiten – vielleicht auch in einem anderen Beruf. Als „eine gute Idee“ nennt Müntefering das Modell in Skandinavien. Dort steigt das Renteneintrittsalter in Relation zum Lebensalter.

Ein Jobwechsel wäre für den Ex-SPD-Chef ebenfalls eine Option, auch wenn das Gehalt sinken würde. Andererseits fordert er Unternehmen auf, ältere Menschen zu vernünftigen Konditionen zu beschäftigen. „Gute Löhne sind Bedingung für soziale Gerechtigkeit.“

Die Integration von Flüchtlingen in die Arbeitswelt sieht er als Baustein, aber nicht als Lösung des Demographieproblems. Die Chancen sieht Müntefering eher bei denen, die schon lange hier sind.

Rentenbeiträge von Beamten gefordert

Bei der jungen Generation findet besonders der Vorschlag Anklang, auch Beamte und Selbständige in das staatliche Rentensystem einzubeziehen und dieses in eine generelle Erwerbstätigenversicherung umzubauen. Das hat die IG Metall abfragen lassen: 79 Prozent der bis zu 34-Jährigen sprechen sich dafür aus. Noch besser wären allerdings höhere Einkommen und durchgängige Beschäftigungssicherheit sowie die Anerkennung der Berufsausbildungszeiten.

Mindestrente geplant

Von dieser Idee ist die Bundesregierung allerdings noch weit entfernt. Dabei muss sich die Politik nicht nur dafür sorgen, dass das Rentenniveau nicht weiter sinkt. Sie muss sich auch um jene kümmern, die überhaupt keine Vorsorge treffen, etwa Teile der Kreativwirtschaft.

Zunächst solle mit den Gewerkschaften und den Arbeitgebern gesprochen werden. Immerhin besteht über den Handlungsbedarf breiter Konsens, sagte CSU-Chef Horst Seehofer. „Die Rentenpolitik eignet sich nicht unbedingt für gigantische parteipolitische Profilierung.“ Es brauche eine nachhaltige Lösung der komplexen Fragen. Die Menschen zu mehr Eigenvorsorge zu verpflichten, reiche nicht aus. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte: „Es gibt zwei Verabredungen, die wir aus meiner Sicht auf jeden Fall einhalten werden.“ So solle die „Mindestrente“ kommen, also die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aufwertung kleiner Renten. In Arbeit sei auch eine Reform der Betriebsrente.

Die Mindestrente ist die Schwester des Mindestlohns.

Ab 2020 einheitliches Rentenniveau geplant

Anders als von den Ländern gefordert will die Bundesregierung die geplante Angleichung der Ostrenten ohne eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorantreiben. Die Ost-Regierungschefs hatten gefordert, dass der Bundestag per Gesetz einen verbindlichen Fahrplan zur vollständigen Angleichung der Ost- an die Westrenten festschreibt. Merkel kündigte für den Sommer einen Bericht der Bundesregierung zur Rentensituation in Ostdeutschland an. Danach werde entschieden, wie das Ziel erreicht werden könne, ab 2020 ein einheitliches Rentenniveau in Ost und West zu haben.

Eine komplette Angleichung würde nicht nur Gewinner mit sich bringen. Einerseits ist zwar der Rentenwert – quasi die monatliche Rente für ein Jahr Beschäftigung mit Durchschnittsentgelt – im Osten geringer. Andererseits aber werden die der Rente zugrundeliegenden Ostlöhne bei der Rentenberechnung aufgewertet.