Abschiebung? Geht nicht. Bild: Imago/Christian Ditsch
Abschiebung

Zuckerbrot und Peitsche

Nach einem Bericht der Zeitung „Die Welt“ hat die Bundesregierung 17 "besonders problematischen Staaten" bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern Briefe geschickt. Die Heimatländer kooperieren nicht, weil die Migranten viel Geld in die Heimat überweisen. Abschiebung bleibt auch darum nur ein frommer Wunsch, weil die Asylbewerber ebenso nicht kooperieren: 77 Prozent haben keine Papiere.

Absender des Briefes sind das Bundesinnenministerium und das Auswärtige Amt. Einerseits mahnen sie zur Kooperation, andererseits versprechen sie, dass sich im Falle einer erfolgreichen Zusammenarbeit dies auch auf andere Bereiche positiv auswirken könne.

Abschiebung – bisher ein frommer Wunsch

Viel wurde in den letzten Monaten getan, um Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern zu erleichtern, seitdem die Zahl von nicht abgeschobenen Ausreisepflichtigen sowie der unterschiedliche Vollzug von Abschiebungen in den Bundesländern bekannt wurde. Denn 2015 wurden gerade einmal rund 21.000 Ausländer rückgeführt, obwohl rund 200.000 ausreisepflichtig waren. Ein paar Beispiele, die „die Welt“ aus den Bundesländern auflistet: Von den derzeit in Sachsen lebenden 2000 Tunesiern gelten 678 als „vollziehbar ausreisepflichtig“. Im vergangenen Jahr konnten aber nur 66 abgeschoben werden, das sind gerade einmal 9,7 Prozent. Hinzu kommt, dass die Tunesier nur vier Prozent der Migranten in Sachsen stellen, aber rund 25 Prozent Viertel aller ermittelten tatverdächtigen Zuwanderer. Auch bei den in Hessen lebenden Pakistanis sei es ähnlich: Obwohl nur etwa jeder zehnte Asylantragsteller aus dem Land einen Schutzstatus erhält, blieben auch die übrigen meistens in Deutschland. In Hessen seien 615 Pakistaner vollziehbar ausreisepflichtig gewesen, aber 2015 wurden nur fünf abgeschoben, gerade einmal 0,8 Prozent. 24 Pakistaner mussten außerdem gemäß dem Dublin-Abkommen in den EU-Staat, den sie zuerst betraten, 36 reisten freiwillig aus.

Wie Abschiebung verhindert wird

Ein Problem blieb: Etliche Staaten nehmen ihre Bürger nicht zurück oder verzögern über ihre Auslandsvertretungen deren Rückreise mit jedem nur möglichen Winkelzug. Beispielsweise werden Ersatzpapiere nicht oder erst nach Monaten oder Jahren ausgestellt. Man fragt sich, warum dieses Problem nicht schon längst angegangen worden ist. Viele Flüchtlinge verlieren ihre Dokumente (jedoch offenbar nie ihre Smartphones) und sind dann auf neue Pässe angewiesen. Menschenrechtsorganisationen behaupten gerne, dass Oppositionelle in vielen Staaten keine Papiere beantragen könnten, weil sie sonst erst recht politisch verfolgt würden. Auch würden Staaten wie Eritrea beispielsweise Regimekritikern die Ausstellung eines Passes verweigern. Dies mag sicher auf einige Flüchtlinge zutreffen, für sehr viele jedoch nicht.

77 Prozent der Migranten haben keine Papiere.

Denn viele Asylbewerber verschleiern ganz bewusst ihre wahre Identität oder geben sich als Syrer aus, um nicht abgeschoben zu werden. Niemand kann abgeschoben werden, solange seine Identität nicht geklärt ist, das wissen natürlich auch die Migranten. Laut Bundesinnenministerium verfügten im Januar diesen Jahres 77 Prozent der durch die Bundespolizei festgestellten Migranten bei der Einreise nicht über die nötigen Papiere. Diese Zahl hatte die „Berliner Morgenpost“ erfragt. Auch Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) vermutet, dass sich viele Personen bewusst ohne Papiere meldeten, um größere Chancen im Asylverfahren zu haben. Erst Sprachmittler könnten eine vermeintliche Herkunft in der Regel belegen. Zuletzt wurde deshalb auch immer wieder gefordert, falsche Angaben oder fehlende Mitwirkung an der Beschaffung von Ersatzpapieren zu sanktionieren (der Bayernkurier berichtete).

Der Brand- und Bettelbrief

Nun fordern also die beiden Bundesministerien diese Länder endlich (das Problem ist seit Monaten, wenn nicht Jahren bekannt) auf, ihre Bürger zurück zu nehmen. Das sind laut der „Welt“ die afrikanischen Staaten Ägypten, Algerien, Marokko, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Ghana, Guinea, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Nigeria und Tunesien sowie die asiatischen Länder Bangladesch, Indien, Pakistan und Libanon. Angeblich erhielten laut anderen Medienberichten auch die Außenminister von Senegal und des Sudan einen solchen Brief. Einzig dem Libanon kann man keinen Vorwurf machen, weil das Land und seine Verwaltung mit Millionen syrischen Flüchtlingen hoffnungslos überfordert sind. Die Länder Ghana und Senegal sind aber immerhin von der Bundesregierung schon seit Jahren als „sichere Herkunftsstaaten“ eingestuft. Ihre Bürger könnten also in der Regel im beschleunigten Verfahren abgeschoben werden.

Oft wird an dieser Stelle auf die Rückführungsabkommen verwiesen. Laut einer Liste des Bundesinnenministeriums mit Stand April 2015 gibt es ein solches bilaterales Abkommen Deutschlands „zur Erleichterung der Rückkehr ausreisepflichtiger Ausländer“ bei den 17 Angeschriebenen nur mit Algerien und Marokko. Auch die EU schließt solche Abkommen, die dann multilateral genannt werden. Hier ist von den 17 Problemstaaten einzig mit Pakistan ein solches Abkommen geschlossen worden. Der „Clou“ dabei ist: Solche Abkommen sind eigentlich gar nicht erforderlich, weil eine völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur Rückübernahme eigener Staatsangehöriger besteht. Sie dienen also nur der Konkretisierung von Rücknahmeverfahren.

Wir arbeiten intensiv daran, die Rückführung zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Bundesministerium des Innern und Auswärtiges Amt

Ende der Woche wollen deshalb Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der saarländische Innenminister Klaus Bouillon und sein sächsischer Kollege Markus Ulbig (alle CDU) nach Nordafrika reisen, um weitere Abkommen mit den Staaten dort zu schließen. „Das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt arbeiten intensiv daran, in und mit den Herkunftsstaaten Verfahren zur Rückführung abgelehnter Asylbewerber zu vereinfachen und zu beschleunigen“, erklärte ein Sprecher des Außenministeriums. Ziel sei es, „gegenüber allen Herkunftsstaaten von irregulär eingereisten Menschen, die in Deutschland keine Bleibeperspektive haben, EU-‚Laissez-Passer‘-Dokumente für die Rückkehr zu verwenden“. Dieser Passersatz ermöglicht die freiwillige Ausreise in Länder, die dieses Dokument auch anerkennen.

Die Wahrheit: Es geht ums Geld

Dabei sollte es doch so einfach sein, ein solches Abkommen oder ganz allgemein die Rückführung durchzusetzen: Man droht mehr oder weniger direkt mit dem Entzug von Entwicklungshilfe und anderen Projekten der Zusammenarbeit. Aus der Bundesregierung heißt es zwar, es sei nicht ihre Linie, unkooperativen Staaten die Kürzung der Entwicklungshilfe anzudrohen. Mehrere Politiker, darunter auch Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel, hatten diese Möglichkeit aber ganz offen genannt. Gabriel sagte, er halte nichts davon, wenn Länder Entwicklungshilfe annehmen würden, die eigenen Bürger aber nicht. Einen solchen Druck, egal ob öffentlich oder nur intern ausgesprochen, könnte die EU mit ihrer wirtschaftlichen Macht noch besser als Deutschland ausüben. Doch so einfach ist es nicht: Die Summe der Gelder, die Einwanderer, die legal oder illegal in Europa arbeiten, in ihre Heimatländer überweisen, ist oft deutlich größer, als die von der EU gezahlte Entwicklungshilfe. Diese Überweisungen halten nicht nur Familien am Leben, sondern oft ganze Volkswirtschaften – oder auch viele üble Regimes in Afrika und Asien.

Die EU zahlt nicht genug.

So sagten EU-Diplomaten nach Angaben der Zeitung „Die Welt“, Pakistan fördere systematisch die Auswanderung aus wirtschaftlichen Gründen. Laut Weltbank überwiesen pakistanische Auswanderer 2015 mehr als 20 Milliarden Dollar zurück in die Heimat, das seien rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für den Zeitraum 2009-2013 betrug die Entwicklungshilfe der EU und ihrer Mitgliedstaaten für Pakistan insgesamt gerade einmal 2,458 Milliarden Euro. Und Pakistan kann seine 180 Millionen Einwohner, die stetig mehr werden, nicht versorgen.

Im November verkündete Pakistans Innenminister Chaudhry Nisar Khan sogar ganz ungeniert, sein Land habe das seit 2010 bestehende Rücknahmeabkommen mit der EU mit Ausnahme Großbritanniens ausgesetzt, weil die Europäer „offenkundigen Missbrauch“ damit betrieben hätten. Die Begründung für diesen Schritt ist unklar: Laut der Zeitung „Die Zeit“ bemängelte der Minister, dass Pakistaner ohne genauere Prüfung als Terroristen gebrandmarkt und zurückgeschickt würden – diese Behauptung wäre offenkundig ein schlechter Witz. „Die Welt“ vermeldete, Pakistan habe keine Flüchtlinge mit möglichen extremistischen Verbindungen einreisen lassen wollen. Was auch immer davon stimmen mag, angeblich wurde das Abkommen nach Verhandlungen doch wieder von Pakistan akzeptiert. Bis Anfang Dezember: Da ließ das überaus ordnungsliebende Land 30 von 49 aus der EU abgewiesenen Asylbewerbern wieder zurückfliegen. Laut Innenminister seien die Dokumente nicht in Ordnung gewesen – dabei waren laut EU alle Dokumente von pakistanischen Behörden ausgestellt worden.

Die letzte vorgeschobene Hürde

Hinzu kommt als Hindernis, dass die betreffenden Staaten wissen, dass man mit lang anhaltendem Widerstand den Preis für das letztliche „Nachgeben“ in die Höhe treiben kann – wie auf arabischen und afrikanischen Basaren und Märkten eben üblich. Und gerade die nordafrikanischen Heimatländer wollen ihre in deutschen Kriminalitätsstatistiken auffälligen Bürger gar nicht wieder bei sich aufnehmen, schlicht aus Sicherheitsgründen.

Doch selbst wenn am Ende eigentlich alles klar ist, will laut der „Welt“ so mancher Staat „schließlich nur jene zurücknehmen, die Deutschland auch freiwillig verlassen wollen“. Nun, das dürfte auf fast keinen einzigen Migranten zutreffen.

Still und leise: Spanien

Seit Langem gilt es als offenes Geheimnis, dass Spanien Marokko für die Kontrolle des Flüchtlingsstroms bezahlt. Es soll laut Medienberichten ein Kontingent vereinbart worden sein, wonach täglich nicht mehr als 30 Personen durchgelassen werden. Immerhin ist es auffällig, wie wenige Flüchtlinge über Spanien den Weg nach Europa suchen – obwohl doch der kürzeste Weg von Afrika nach Europa über Spanien (über die Enklaven Ceuta und Melilla, die Kanarischen Inseln sowie die Meerenge von Gibraltar) verläuft.