Flüchtlinge am LaGeSo in Berlin. (Bild: Imago/Markus Heine)
Asylpolitik

Bis zu 770.000 Asylanträge unbearbeitet

Über eine halbe Million Asylfälle sind unbearbeitet. Tausende neue Mitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollen die Rückstände abbauen. Dazu umgeht das Bundesamt laut Medienberichten sogar Einstellungsregeln, um die Rekrutierung zu beschleunigen. Seine Pläne für 2016 will der Chef des Bundesamtes, Frank-Jürgen Weise, am 5. Februar in Berlin vorstellen.

Für BAMF-Chef Frank-Jürgen Weise ist es kein einfacher Tag. An diesem Freitag zog er in Berlin Bilanz für das vergangene Jahr. Noch etwa 670.000 bis 770.000 offene Asylfälle müssten seine Mitarbeiter bearbeiten, so Weise. Diese Zahl setzt sich aus zwei Gruppen zusammen: Es gebe gut 370.000 unerledigte Asylanträge sowie 300.000 bis 400.000 Menschen, die eingereist seien, aber noch gar keinen Asylantrag gestellt hätten, erläuterte der BAMF-Chef. Genaue Zahlen gebe es hier nicht, weil einige Schutzsuchende zum Beispiel doppelt registriert würden oder nach der Erfassung in einen anderen Staat weiterreisten.

Wollen wir die eine Million bewältigen, brauchen wir 6000 Entscheidungen am Tag.

Frank-Jürgen Weise

Weise beklagte, dieser Rückstau und die lange Dauer der Verfahren sei nicht hinnehmbar. „Diese Situation ist nicht akzeptabel. (…) Es ist für die Menschen schlimm und nicht akzeptabel, so lange zu warten.“ Das BAMF will nun neue „Ankunftszentren“ in allen Bundesländern einrichten – etwa 20, also mindestens eins pro Land -, um den enormen Rückstand durch beschleunigte Asylverfahren abzubauen. Weise sagte, mit Blick auf den weiteren Zugang von Flüchtlingen müsse das BAMF im laufenden Jahr mit einem „Arbeitsvolumen“ von mehr als einer Million Anträgen rechnen. „Wollen wir die eine Million bewältigen, brauchen wir 6000 Entscheidungen am Tag.“ Einen weiteren großen Haken hat das Ganze: Wenn 2016 mehr als eine halbe Million Flüchtlinge kommen sollten, werde es erneut Verzögerungen geben, räumte Weise ein. Zuletzt hat die Behörde täglich etwa 2000 Asyl-Entscheidungen geschafft. Das Personal wird aber weiter aufgestockt.

Denn parallel zu den Entscheidungen muss das Amt bis Mitte des Jahres tausende neue Posten besetzen. Um die Menge an Asylanträgen zu bearbeiten, sieht der Haushaltsplan bis Jahresende 2016 insgesamt 7300 Stellen vor. Die Zahl der Asylentscheider soll auf 1700 aufgestockt werden. Deutlich ausgebaut werden soll auch das Personal in den Asylverfahrenssekretariaten, die von der Annahme der Asylanträge über die erkennungsdienstliche Behandlung der Asylbewerber bis zum Versand der Bescheide zuständig sind.

BAMF mit neuem Rekrutierungsverfahren?

Aktuell sind 3400 Stellen besetzt, so soll sich die Belegschaft in den kommenden Monaten mehr als verdoppeln. Das ist zumindest der Plan. Doch die Rekrutierung über die standardmäßige Vorgehensweise mit Ausschreibungen bremst den Stellenaufbau. Um in kurzer Zeit mehr Mitarbeiter einstellen zu können, umgeht das Bundesamt nun nach unbestätigten Berichten geltende Regeln. Dazu beruft sich der Bayerische Rundfunk auf eine interne Beschlussvorlage. Im Papier ist ein Verfahren entworfen, das eine Rekrutierung ausschließlich durch Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit vorsieht und die Vorab-Mitspracherechte von Personal-, Gleichstellungs- und Schwerbehindertenvertretern missachtet. Darüber hinaus soll in die Arbeitsverträge neuer Mitarbeiter eine Klausel zu verpflichtender Mehr- und Schichtarbeit aufgenommen werden. Wenn das den Tatsachen entspricht, ist es kein Wunder, dass auch ein Klagerisiko in dem BAMF-Papier detailliert benannt ist. Ein Vertreter des BAMF äußerte sich bisher nicht offiziell zu den Änderungen.

Ländervertreter machen Druck

Das Bundesamt steht unter erheblichen Druck der Vertreter der Länder. Das „Nadelöhr“ BAMF müsse zu „einem großen Entscheidungstor werden“, verlangte Bundesratspräsident Stanislaw Tillich (CDU). Die Pläne Weises, der die Leitung des Amtes im September vergangenen Jahres übernommen hatte, seien richtig: „Jetzt muss geliefert werden.“ Nach Ansicht der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) dauern Asylverfahren in Deutschland noch immer zu lang. „Wenn ich die Zahlen nüchtern betrachte, stelle ich fest, dass die Situation besser werden muss“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur in Mainz. „Im September traf das BAMF noch 877 ablehnende Entscheidungen bei Asylerstanträgen, im Oktober waren es nur noch 570, im November gerade einmal noch 173, im Dezember nur 285. Die Entwicklung geht also eher in die falsche Richtung.“

Auf mehr Tempo dringt auch der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD). Beschleunigte Asylverfahren wären „ein klares Signal an die Menschen, die keinen Anspruch auf Asyl und damit bei uns auch keine Zukunftsperspektive haben“.

Es kamen zu viele Menschen in zu kurzer Zeit.

Klaus Bouillon, CDU, Innenminister Saarland

Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) sieht deutliche Fortschritte beim BAMF. Es seien mehr als 2000 Menschen eingestellt und die Bearbeitungszeit deutlich gesenkt sowie die verschiedenen Computersysteme von Bund, Ländern und Kommunen aufeinander abgestimmt worden. „Hexen kann niemand“, so der derzeitige Vorsitzende der Innenministerkonferenz. „Es kamen zu viele Menschen in zu kurzer Zeit.“ Keine Verwaltung auf der Welt hätte dies in so kurzer Zeit organisieren können.

Lob für BAMF-Chef

Der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Kanzleramtschef Peter Altmaier, bescheinigte dem Flüchtlingsbundesamt Fortschritte. Der neue Behördenchef Weise habe vieles zum Besseren verändert. „Wir werden jetzt von Monat zu Monat mehr Entscheidungen haben, und ich habe die große Hoffnung, im Laufe dieses Jahres mehr Entscheidungen zu treffen, mehr Asylanträge entgegenzunehmen, als Menschen neu nach Deutschland einreisen“, sagte Altmaier im RTL-Nachtjournal.