„Das Verhalten der griechischen Regierung gleicht einem Erpressungsmanöver“
Mit einer denkbar unklar formulierten Referendumsfrage will die Regierung Tsipras die Schuld an der kommenden Katastrophe von sich abwälzen – und ihre Kreditgeber ein letztes Mal erpressen. Aber die Taktik verfängt nicht. Niemand mehr in Europa hat noch Geduld mit Athen. Zu diesem Schluss kommt Bayernkurier-Redakteur Heinrich Maetzke. Er hat Stimmen und Meinungen aus Europa gesammelt.
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„Das Verhalten der griechischen Regierung gleicht einem Erpressungsmanöver“

Mit einer denkbar unklar formulierten Referendumsfrage will die Regierung Tsipras die Schuld an der kommenden Katastrophe von sich abwälzen – und ihre Kreditgeber ein letztes Mal erpressen. Aber die Taktik verfängt nicht. Niemand mehr in Europa hat noch Geduld mit Athen. Zu diesem Schluss kommt Bayernkurier-Redakteur Heinrich Maetzke. Er hat Stimmen und Meinungen aus Europa gesammelt.

Das Tsipras-Referendum über Brüsseler Reformvorschläge, die gar nicht mehr auf dem Tisch liegen, ist eine Zumutung – für die Griechen. Ihr Wortlaut: „Muss der gemeinsame Plan von EZB, EU-Kommission und IWF, der am 25. 6. 2015 in der Eurogruppe eingebracht wurde und aus zwei Teilen besteht, angenommen werden?“ Dann folgen nur die Titel der beiden Teile: Reformprogramm und Schuldentragbarkeitsanalyse. Um was präzise es geht, muss der Wähler irgendwoher wissen – oder auch nicht. Aber dafür steht das „Nein“ zum Ankreuzen ganz oben.

Was auf dem Spiel steht ist die Frage, ob die Griechen in der Eurozone bleiben wollen oder nicht – oder ob sie das Risiko des Austritts eingehen wollen

Franςois Hollande, Frankreichs Staatspräsident

Für dieses „Nein“ kämpft jetzt die kommunistische Syriza-Regierung von Alexis Tsipras und hat darum die Referendumsfrage so undurchschaubar-unklar wie nur irgend möglich formuliert. Das könnte ihr jetzt auf die Füße fallen. Denn nun erklären die EU-Kommission und ziemlich einstimmig alle Eurozonen-Regierung den griechischen Wählern, worum es am kommenden Sonntag geht: Um den Euro, um Griechenlands Mitgliedschaft in der Eurozone. „Was auf dem Spiel steht ist die Frage, ob die Griechen in der Eurozone bleiben wollen oder nicht – oder ob sie das Risiko des Austritts eingehen wollen“, so etwa Frankreichs Staatspräsident Franςois Hollande. Es sei ein Referendum über den Verbleib im Euroraum und über Europa insgesamt, hatte zuvor auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker den Griechen eindringlich erklärt.

Referendum für oder gegen den Euro, für oder gegen Europa

Ein Referendum für oder gegen den Euro, für oder gegen Europa – seit die Banken geschlossen sind und die Bankautomaten stillstehen, fangen die Griechen an zu ahnen, was das für sie bedeuten könnte. Und genau darum wollte die Regierung Tsipras solche Klarheit auf dem Stimmzettel unbedingt vermeiden. Und darum schwingt Finanzminister Yanis Varoufakis sofort die verbale Keule: Athen werde vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EU-Institutionen klagen und gegen die europäische Zentralbank, wenn die nicht weiter Notkredite fließen ließe. „Die EU-Verträge sehen einen EuroAustritt gar nicht vor“, so Athens Finanzminister, „und wir weigern uns, ihn zu akzeptieren“. Varoufakis zur Londoner Tageszeitung The Daily Telegraph: „Unsere Mitgliedschaft ist nicht verhandelbar.“ Dabei ist in der Wirklichkeit die Sache ganz simpel: Wenn Athen von der EZB keine Euros mehr erhält und keine Renten und Gehälter mehr in Euros bezahlen kann, muss die Regierung selber Geld drucken. Dann ist die Drachme da und der griechische Euro fort.

Aber in Athen geht es gar nicht mehr um die Realität oder um Euro oder Drachme. Für Premierminister Alexis Tsipras und seine national-kommunistische Regierung geht es nur noch darum, die Schuld an der Katastrophe, die auf das Land zurollt, möglichst weit von sich fort zuschieben – und sei es zu den Wählern, wie etwa die linke Pariser Tageszeitung Le Monde am 30. Juni klug beobachtet: „Die Entscheidung von Herrn Tsipras, ein Referendum zu organisieren, um die Wähler dazu aufzurufen, die Vorschläge der europäischen Kreditgeber abzulehnen, ist eine Art Weigerung, selber die Verantwortung für das Scheitern der Verhandlungen zu übernehmen und der Versuch, sie stattdessen beim griechischen Volk abzuladen.“

Alle Regeln der Diplomatie gebrochen

Für den anschließenden Versuch von Finanzminister Varoufakis, die EU-Finanzminister sogleich zu neuen Zugeständnissen zu drängen, damit die Regierung Tsipras die Griechen doch noch dazu aufrufen könnte, im Referendum mit „Ja“ zu stimmen, hat Le Monde nur ein Wort: „üble Erpressung“. In der Tat: Das Referendum ist für die Regierung Tsipras zugleich ein Mittel, um die Kreditgeber im allerletzten Moment zu neuen, weicheren Bedingungen zu peitschen. Auch darum stehen die Brüsseler Bedingungen nicht präzise im Text.

Sechs Monate lang hat die Tsipras-Regierung versucht, Brüssel und die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB)  zum Schuldigen an der griechischen Krise zu stempeln und den Streit über die Reformen zum Duell zwischen Alexis Tsipras und Bundeskanzlerin Angela Merkel zu stilisieren. Die Taktik verfängt vielleicht bei manchen Griechen, aber sonst nirgends. Indem er das Referendum ankündigte, ohne zuvor seine europäischen Gegenüber von dem Vorhaben zu unterrichten, habe Tsipras „alle Regeln der Diplomatie gebrochen“, meint sogar die linke Londoner Tageszeitung The Guardian, die sonst durchaus Verständnis für den radikalen griechischen Premier hat. Ganz einfach beschreibt die Neue Zürcher Zeitung die Lage:

Monatelang gaukelte die Syriza-Regierung der Bevölkerung die beste aller Traumwelten vor: keine Einsparungen, keine Reformen, keine Mühsal – dafür Hilfsgelder, ein Schuldenschnitt und die Beibehaltung des Euro.

Neue Zürcher Zeitung

Erbitterte Süd- und Osteuropäer

Nicht etwa nur in Deutschland, sondern bei allen anderen 18 Eurozonen-Partnern hat Athen damit inzwischen jedes Vertrauen verspielt. Besonders die Regierungen der anderen beiden Krisenländer Spanien und Portugal „sind gegen eine übermäßige Nachsicht gegenüber Griechenland“, berichtet wieder die NZZ. In beiden Ländern stehen in diesem Herbst Wahlen bevor. Die Regierungen müssen ihren Wählern harte, aber erfolgreiche Sparmaßnahmen erklären. Portugals bürgerlicher Premierminister Pedro Passo Coelho fordert für Griechenland eine „echte“ Lösung, die über harte Strukturreformen zu Wirtschaftswachstum führt. Spaniens konservativer Premier Mariano Rajoy lehnt einen weiteren Schuldenerlass für Griechenland strikt ab. Er hat natürlich recht: Wenn alle Schuldenländer Schuldennachlass forderten wie Griechenland, wäre die Eurozone am Ende.

Beinahe noch bitterer sind die osteuropäischen Euro-Länder Slowenien, die Slowakei und die drei baltischen Republiken Estland, Lettland und Litauen. Sie müssen zu den griechischen Rettungspaketen beitragen, obwohl es ihnen wirtschaftlich schlechter geht als Griechenland. Und sie haben zum Teil ohne Hilfe schwere Krisen durchstehen müssen. Griechische Forderungen stoßen bei ihnen nicht auf Verständnis.

Auch die Tsipras-Behauptung vom großen Duell zwischen Athen und Berlin verfängt nirgends. Von der „schier quälenden Nachsicht“ der Kreditgeber mit Athen und von Merkels „unbedingtem Willen, eine Lösung des griechischen Schuldenproblems zu finden“, schreibt die NZZ. Vom „griechischen Selbstmord“, spricht in New York die Tageszeitung Wall Street Journal und ergänzt: „Niemand will verantwortlich sein für den griechischen Euro-Austritt, am allerwenigsten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.“

Frankreich: Stimmen für den Grexit

Keineswegs nur in Deutschland, sondern ebenso im Nachbarland Frankreich wächst der Unmut über Griechenland. Das Vertrauern sei erschüttert, schreibt Le Monde und zitiert Premierminister Manuel Valls: „Tsipras erklärt zwar, dass er eine Einigung will. Aber die harten Erklärungen, die er abgibt, wenn er nach Griechenland zurückkehrt, machen seine Linie unbegreiflich.“

In der französischen Presse klingt es längst viel härter. So plädierte schon vor einer Woche etwa die Pariser Tageszeitung Le Figaro offen für den Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone: „Um den Euro zu retten – lasst uns die Griechen rauswerfen“. Das Blatt sieht den Euro ernsthaft in Gefahr und wandelt das bekannte Wort des amerikanischen Entertainers Groucho Marx ab, der keinesfalls Mitglied eines Clubs werden wollte, der Leute wie ihn selber aufnähme: „Niemals würde ich wollen, dass mein Land Mitglied einer Eurozone wäre, die hinnimmt, dass ihre Regeln von einem anderen Land fast fünf Jahre lang permanent verletzt werden.“

Endlich wäre Schluss mit jenem Damoklesschwert, das seit vier Jahren die europäischen Gipfel verdirbt, die Finanzmärkte bedroht und Europa daran hindert, sich mit den wesentlichen Fragen zu befassen.

Le Figaro

Denn genau das, so das Blatt, sei heute durch Griechenland der Fall. Von dem Augenblick an, zu dem ein Club-Mitglied sich weigere, sich den Regeln zu fügen, die für alle gelten, meint Le Figaro, „sind es nicht mehr die anderen, die jenes Mitglied zur Tür zurückbringen. Es selbst schließt sich aus und gewinnt so seine Unabhängigkeit zurück – mit allen Risiken und Gefahren.“

Das Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone, selbst wenn er mit einem Zahlungsausfall einherginge, „wird es erlauben, Europa zu retten“, so das Blatt. Le Figaro: „Endlich wäre Schluss mit jenem Damoklesschwert, das seit vier Jahren die europäischen Gipfel verdirbt, die Finanzmärkte bedroht und Europa daran hindert, sich mit den wesentlichen Fragen zu befassen.“

Ohne  Reformen kann Griechenland niemals dauerhaft aus der Krise kommen, ganz egal wie groß die Hilfsbeiträge sind, die an sie gezahlt werden.

Le Monde

Auch für die linke Le Monde gibt es am 30. Juni nur noch einen Ausweg: Die Regierung Tsipras müsse ihren europäischen Kreditgebern endlich Sicherheit geben für den ernsthaften Willen zur Modernisierung des griechischen Staates und zu den Reformen, die nötig sind, damit das Land effektiv und gerecht Steuern erheben könne – „so wie das in allen anderen Ländern der Eurozone der Fall ist“. Le Monde: „Ohne diese Reformen kann Griechenland niemals dauerhaft aus der Krise kommen, ganz egal wie groß die Hilfsbeiträge sind, die an Athen gezahlt werden.“