Europas Zukunft
Manfred Weber fordert einen starken Schutz der Schengen-Außengrenzen und schließt einen EU-Beitritt der Türkei aus. Innenminister Joachim Herrmann kündigt schärfere Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze an. Französische Sicherheitsdienste haben begonnen, Flüchtlingsströme und Transitzentren schärfer zu überwachen.
Manfred Weber

Europas Zukunft

Manfred Weber fordert einen starken Schutz der Schengen-Außengrenzen und schließt einen EU-Beitritt der Türkei aus. Innenminister Joachim Herrmann kündigt schärfere Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze an. Französische Sicherheitsdienste haben begonnen, Flüchtlingsströme und Transitzentren schärfer zu überwachen.

„Europa muss an den Außengrenzen handeln“, fordert der Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber. Wenn das Schengener Abkommen über den kontrollfreien Reiseverkehr Bestand haben soll, betont der CSU-Europa- und Außenpolitiker im Interview mit der Tageszeitung Münchner Merkur, sei der nachdrückliche Schutz der Schengen-Außengrenzen umso unverzichtbarer. Nur notfalls auch mit Zäunen. „Ich will keine Zäune innerhalb Europas“, stellt Weber jedoch klar. Er fordert außerdem eine „eigene EU-Grenzschutztruppe mit mehreren tausend Mann, die eigene Schiffe und Hubschrauber haben“.

Die Türkei wird kein Mitglied der Europäischen Union werden.

Manfred Weber

Außerdem verlangt Weber die Reduzierung der Flüchtlingszahlen sowohl über die Balkan- wie auch über die Mittelmeer-Route. Weber: „Wir brauchen feste Flüchtlingskontingente für Europa, auch eine faire Verteilung.“ Die EU-Staaten brauchten immer ein wenig Zeit, um gemeinsame Antworten zu finden. „Aber in der Flüchtlingspolitik liefert Brüssel! Kommission und Parlament haben eine verbindliche Quote vorgeschlagen. Nicht Europa droht zu scheitern, sondern die Nationalstaaten – und zwar an den eigenen Egoismen“, so Weber im Merkur. Gleichzeitig würden aber bei Verhandlungen mit der Türkei über eine gemeinsame Herangehensweise an die Flüchtlingsfrage keine unvernünftigen Zugeständnisse gemacht, verspricht der Europapolitiker: „Die Türkei wird kein Mitglied der Europäischen Union werden. Die Beitrittsgespräche sollten wir einmal zu den Akten legen. Die Diskussion hält von einem pragmatischen, kooperativen Verhältnis ab.“ Zugleich müsse die Türkei aber „den Schleusern das Handwerk legen“. In der Visa-Frage könne es nur um Erleichterungen für türkische Geschäftsleute gehen, hier müsse man einen Kompromiss finden. Weber: „Bei der Visafrage steckt der Teufel im Detail. Wir wollen, dass Geschäftsleute unproblematisch reisen können. Darauf sollten wir uns konzentrieren.“

Am Freitag werden die EU-Innenminister in  Brüssel die Verschärfung der Passkontrollen an den Außengrenzen des Schengen-Raumes beschließen. Frankreich hatte zuletzt eine „systematische und koordinierte“ Kontrolle der Schengen-Außengrenzen gefordert, um zu verhindern, dass europäische Syrien-Dschihadisten unbemerkt zurückkehren könnten.

Schengen aussetzen − oder beenden?

Unterdessen mehren sich Stimmen, die das Schengener Abkommen über den kontrollfreien Reiseverkehr in Frage stellen. Eine deutliche Warnung hatte Frankreichs Präsident Franςois Hollande am 16. November ausgesprochen: „Wenn Europa nicht seine Außengrenzen unter Kontrolle bekommt, dann – und wir sehen heute wie es vor unseren Augen geschieht – kommt die Rückkehr zu nationalen Grenzen, zwar nicht mit Mauern, aber mit Stacheldrahtzäunen.“ Hollande meint die Rückkehr zu Grenzkontrollen und Zäunen im bisherigen Schengen-Raum, zwischen den EU-Mitgliedsländern.

Wenn Europa nicht seine Außengrenzen unter Kontrolle bekommt, dann  kommt die Rückkehr zu nationalen Grenzen mit Stacheldrahtzäunen.

Präsident Franςois Hollande

Noch deutlicher spricht Frankreichs ehemaliger Staatspräsident – und mutmaßlicher Präsidentschaftskandidat 2017 – Nicolas Sarkozy im Interview mit der Pariser Tageszeitung Le Monde: „Das Schengen-System ist tot.“ Der Vorsitzenden der bürgerlichen Oppositionspartei Les Republicains fordert einen Gipfel der europäischen Staats- und Regierungschefs zum Thema: „Sie müssen sich über die Dauer der Wiedereinführung von Kontrollen an unseren Grenzen einigen.“

Das Schengen-System ist tot.

Ex-Präsident Nicolas Sarkozy

Der Ex-Präsident weiter: „Diese Kontrollen müssen bis zur Einsetzung eines neuen Schengen-Abkommens dauern.“ Ein neues Schengen-Abkommen setze allerdings eine umfassende Einigung auf eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik voraus, betont Sarkozy: „Diesem neuen Schengen muss die Annahme einer gemeinsamen Einwanderungspolitik vorausgehen. Das bedeutet eine einheitliche Liste von sicheren Herkunftsländern, und die Harmonisierung der Aufenthaltsdauer von irregulär eingereisten Ausländern ebenso wie der Sozialleistungen, die Asylbewerber erhalten sollen.“

Rückkehr zum Mini-Schengen?

Mit Blick auf den mutmaßlichen Organisator der Anschläge in Paris, und viele seiner Komplizen, die zwischen dem Nahen Osten und Europa und innerhalb Europas ungehindert umherreisen konnten, obwohl in mehreren Ländern nach ihnen gefahndet wurde, stellt auch die Pariser Tageszeitung Le Figaro die Schengen-Frage: „Muss man die Grenzen zwischen den EU-Ländern wieder einführen? Die Frage verdient es, gestellt zu werden.“

Wir werden uns jetzt sehr kurzfristig darauf verständigen, dass die Kontrollen der Bundespolizei an der Grenze zu Österreich verstärkt werden.

Innenminister Joachim Herrmann

Das Nachdenken über Schengen führt schon zu ersten Vorschlägen. Presseberichten zufolge sollen die Niederlande den Gedanken der Errichtung einer „Mini-Schengenzone“ aus den Benelux-Staaten, Deutschland und Frankreich ins Spiel gebracht haben. Die EU-Kommission hat die Existenz eines solchen Vorschlags sogleich bestritten. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann dagegen sieht für den niederländischen Vorschlag, die Zahl der Schengen-Länder von heute 26 auf fünf zu reduzieren, einen „guten Grund“. Der einstmals kleine Schengen-Raum habe gut funktioniert, was jetzt eben nicht mehr der Fall sei. Herrmann fordert außerdem schärfere Kontrollen an den Binnengrenzen, etwa zu Österreich: „Wir werden uns jetzt sehr kurzfristig darauf verständigen, dass die Kontrollen der Bundespolizei an der Grenze zu Österreich verstärkt werden.“

Was bedeutet es, wenn man in Molenbeek sein Auto mit Kalaschnikows vollladen und dann ungehindert nicht nur nach Paris, sondern in jede EU-Hauptstadt fahren kann, wie es einem gerade gefällt?

Londons Bürgermeister Boris Johnson

Für strengere Grenzkontrollen innerhalb der EU wirbt in London auch der konservative Bürgermeister Boris Johnson und stellt eine relevante Frage: „Was bedeutet es, wenn man in Molenbeek sein Auto mit Kalaschnikows vollladen und dann ungehindert nicht nur nach Paris, sondern in jede EU-Hauptstadt fahren kann, wie es einem gerade gefällt?“ Europa brauche stärkere Grenzen, fordert etwa  auch die Londoner Tageszeitung The Daily Telegraph. Schengen stamme aus der Zeit vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion und vor dem Aufkommen des militanten Islamismus – Entwicklungen, die seither den Schengen-Idealismus in Frage stellten. Das Blatt weist auch darauf hin, dass es dank strenger Waffengesetze und eben der einfach zu kontrollieren Insel-Grenzen Kalaschnikows und ähnliche Waffen in Großbritannien praktisch nicht gebe.

Sorge der Sicherheitsdienste: Islamischer Staat nutzt Flüchtlingsrouten

Unterdessen wachsen in Frankreich „Ängste vor einer Infiltration der Flüchtlingsrouten durch den Islamischen Staat“, titelt Le Monde. Unter den europäischen und amerikanischen Sicherheitsdiensten „breitet sich eine echte Beunruhigung aus, dass die Organisation des Islamischen Staates die Migrationsrouten nutzen könne, um die Entsendung von Terror-Kommandos auf europäischen Boden zu verbergen“, so das den Sozialisten nahestehende  Pariser Blatt. Nach dem neben einem der Selbstmord-Attentäter ein syrischer Pass gefunden wurde, bestehe für manche Experten eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Terroristen „aus Syrien zurückgekehrt sind, in dem sie sich als Flüchtlinge ausgegeben haben“, gibt Le Monde Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve wieder. Auch der Bataclan-Mörder Samy Amimour sei „höchstwahrscheinlich über Griechenland“ eingereist, so das Blatt mit Bezug auf eine „den Untersuchungen nahestehende Quelle“. Der Umstand, dass nach Amimour international gefahndet wurde, lege den Fahndern die Vermutung nahe, dass auch er die Flüchtlingsroute genutzt haben könnte, schreibt Le Monde.

Internetkommunikation aus den Flüchtlingstransitzentren wird verstärkt analysiert

Der französische Inlandsgeheimdienst DGSI will darum nun den Flüchtlingstransitzentren und dem ganzen Flüchtlingsstrom größere Aufmerksamkeit schenken. Einem DGSI-Angehörigen zufolge wird die Internet-Kommunikationen von und zu solchen Orten jetzt verstärkt kontrolliert und untersucht, berichtet wieder Le Monde. Auch die Einrichtung der „Hotspots“ genannten Erstaufnahme-Zentren diene der Verstärkung der Sicherheitskontrollen der Flüchtlingsströme, so das Blatt: „Offiziell wird die Maßnahme als Mittel ‚verkauft‘, um die Aufnahmeländer zu entlasten. Aber sie ist auch ein Mittel, um die Einreisen näher unter die Lupe zu nehmen und die Präsenz der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex zu verstärken.“ Problem: Die Maßnahme wirkt nur, wenn die Flüchtlinge in noch einzurichtenden „Hotspots“ Asyl-Anträge stellen. Le Monde: „Personen, die nicht um Asyl bitten, schlüpfen durch alle Maschen des Kontrollnetzes hindurch.“