Ferber sieht mehr Rückschritte als Fortschritte
Seit zehn Jahren führt die EU mit der Türkei Beitrittsverhandlungen. Jetzt kritisiert die EU-Kommission in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht in der Türkei fehlende Unabhängigkeit der Justiz und Defizite bei demokratischen Grundrechten. Trotzdem muss Brüssel in der Flüchtlingsfrage mit Ankara verhandeln. Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber warnt: „Beitritts-Zugeständnisse darf es nicht geben.“
Türkei

Ferber sieht mehr Rückschritte als Fortschritte

Seit zehn Jahren führt die EU mit der Türkei Beitrittsverhandlungen. Jetzt kritisiert die EU-Kommission in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht in der Türkei fehlende Unabhängigkeit der Justiz und Defizite bei demokratischen Grundrechten. Trotzdem muss Brüssel in der Flüchtlingsfrage mit Ankara verhandeln. Der CSU-Europapolitiker Markus Ferber warnt: „Beitritts-Zugeständnisse darf es nicht geben.“

Als „Rückschrittsbericht“ bezeichnet Schwabens Europaabgeordneter Markus Ferber den jüngsten Türkei-Bericht der EU-Kommission über die Fortschritte der Türkei auf dem Weg zur EU-Beitrittsreife. In dem turnusmäßigen Bericht übt die Kommission scharfe Kritik an der islamistischen AKP-Regierung in Ankara und beklagt Menschenrechtsverstöße und mangelnde Rechtstaatlichkeit.

Kein unabhängiges Justizsystem

Beim Aufbau eines unabhängigen Justizsystem komme die Türkei nicht voran, heißt es in dem Bericht. Seit 2014, so die Kommission wörtlich, gebe es auf dem Gebiet in der Türkei „keine Fortschritte“. Die Unabhängigkeit des Justizwesens und die Beachtung des Prinzips der Gewaltenteilung würden untergraben und „sowohl Richter als Staatsanwälte standen unter starkem politischen Druck“. Brüssels nachdrückliche Forderung: „Die Türkei sollte ein politisches und legales Umfeld schaffen, das es der Justiz erlaubt, ihren Pflichten unabhängig und unparteiisch nachzugehen.“

Ich zweifle daran, dass die Grundlagen für die Beitrittsgespräche überhaupt noch gegeben sind.

Markus Ferber

Weitere Rückschritte sieht Brüssel in der Türkei bei der Durchsetzung demokratischer Grundrechte wie etwa der Meinungs- und Versammlungsfreiheit.  Dazu Markus Ferber: „Wer abweichende Ansichten und einen kritischen Diskurs mit Verboten bekämpft und mit polizeilichen Ermittlungsverfahren Journalisten ausschaltet, dem liegt nichts an Pressefreiheit und demokratischen Grundwerten.“ Wer sich so verhalte, so der CSU-Europa-Politiker, der könne auch für die EU kein Verhandlungspartner sein, mit dem man ehrlich über solche Themen diskutieren könne. Ferber weiter: „Im Gegenteil: Das ist das Vorgehen einer Regierung, der die Argumente ausgehen und die sich nun mit Verboten zu wehren versucht.“

Eskalation im Kurden-Konflikt

Eine andere Brüsseler Türkei-Sorge gilt der eskalierenden Gewalt im Lande. Bei der Vorlage des Türkei-Berichts verlieh Erweiterungskommissar Johannes Hahn seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Verhandlungen über eine dauerhafte Beilegung der Kurdenfrage wieder aufgenommen würden. Die Erwartung ist wenig aussichtsreich: Nach der Wahl am 1. November hat der türkische Präsident Recep Erdogan den Luftkrieg gegen Stellungen der kurdischen PKK fortsetzen und einen kurzen Waffenstillstrand beenden lassen. Presseberichten zufolge hat Erdogan sogar davon gesprochen, die PKK „liquidieren“ zu wollen. Politische Folge: Die Kurden – eben auch die PKK – haben kaum noch eine andere Option, als für die Entstehung eines unabhängigen kurdischen Staates in Syrien und im Irak zu kämpfen.

Mehr Rückschritte als Fortschritte

Als Konsequenz aus dem für Ankara katastrophalen Bericht fordert Ferber eine Neubewertung des gesamten Türkei-Beitrittsprozesses: „Der Bericht zeigt deutlich: Wir verhandeln seit zehn Jahre, aber es gibt mehr Rückschritte als Fortschritte. Deshalb fordere ich die Kommission auf, eine Neubewertung des gesamten Beitrittsprozesses vorzunehmen, da die Türkei nach wie vor in keinem einzigen Punkt die Beitrittskriterien erfüllt.“

Wir verhandeln seit zehn Jahre, aber es gibt mehr Rückschritte als Fortschritte.

Markus Ferber

Angesichts der besorgniserregenden Beschneidung der Grundfreiheiten in der Türkei zweifelt Ferber daran, dass die Grundlagen für die Beitrittsgespräche überhaupt noch gegeben sind. Ferber: „Auch die Situation der in der Türkei lebenden Christen ist äußerst kritisch.“

Verhandlungen in der Flüchtlingsfrage unumgänglich

Trotz der erschreckenden Türkei-Bilanz plädiert etwa der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn mit Blick auf die Migrantenkrise dafür, jetzt die EU-Beitrittsverhandlungen voranzutreiben. Sein deutscher Amtskollege Frank-Walter Steinmeier spricht sich ebenfalls für die Intensivierung von Gesprächen und Verhandlungen mit der Türkei aus: „Wir brauchen Verabredungen mit der Türkei, dass weniger Menschen völlig ungeordnet den kurzen Seeweg auf eine der griechischen Inseln finden. Ob uns die gegenwärtige innenpolitische Situation in der Türkei gefällt oder nicht, wir werden wirklich Verabredungen brauchen.“

In der Flüchtlingskrise brauchen wir die Türkei als Partner. Aber ich warne davor, deshalb leichtfertig Zugeständnisse bei den Beitrittsverhandlungen an die Türkei zu machen.

Markus Ferber

Auch Markus Ferber sieht, dass die EU in der Flüchtlingskrise „die Türkei als Partner“ braucht. Anders als etwa Steinmeier lässt der CSU-Politiker Ferber allerdings eine deutliche Warnung folgen: „Aber ich warne davor, deshalb leichtfertig Zugeständnisse bei den Beitrittsverhandlungen an die Türkei zu machen. Das sind zwei Paar Schuhe.“ Ferber weiter: „Das wäre ein fataler Fehler, der uns schnell einholen würde.“