Alles Europa? Istanbul von der Galata-Brücke aus gesehen. (Bild: Fotolia/Dario Bajurin)
Sender gestürmt

Die Türkei auf dem Weg in die Diktatur

Wenige Tage vor der Parlamentswahl in der Türkei hat die Polizei das Gebäude der regierungskritischen Mediengruppe Koza Ipek in Istanbul gestürmt und die Sender Kanaltürk und Bugün TV abgeschaltet. Präsident Recep Erdogan führt das Land immer ungenierter in eine islamistische Diktatur. Aus der EU ist wie üblich nur laue Kritik zu hören.

Am Mittwoch verschafften sich Sicherheitskräfte vor laufenden Fernsehkameras unter anderem mit einem Metallschneider Zugang zum Gelände, wie auf TV-Bildern zu sehen war. Angestellte versuchten, die Polizei mit Regenschirmen zurückzudrängen. Doch die Beamten setzten Tränengas ein. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verurteilte die Aktion. Die Europäische Union äußerte sich wie üblich „besorgt“, anstatt endlich die EU-Beitrittsgespräche zu beenden. Da man in der Flüchtlingskrise auf den türkischen Autokraten angewiesen ist, hält man sich in Brüssel vornehm zurück.

Was in diesem Gebäude seit dem Morgen passiert ist, das ist alles rechtswidrig.

Tarik Toros, Bugün TV

Die Polizisten drangen nach Angaben des Chefredakteurs von Bugün TV, Tarik Toros, in die Sendezentrale ein. Der Kanal setzte die Live-Übertragung jedoch mehrere Stunden fort, bevor es den Polizisten nach Angaben von Bugün TV gelang, den Sender abzuschalten. Toros sagte, die Sicherheitskräfte hätten sich nicht ausgewiesen und auch keinen Durchsuchungsbefehl gehabt. „Was in diesem Gebäude seit dem Morgen passiert ist, das ist alles rechtswidrig“, sagte er. Doch mit dem Recht nimmt es die islamistisch-nationalistische AKP-Regierung schon seit langem nicht mehr so genau. Ein Gericht hatte die Koza Ipek Holding am Montag unter staatliche Aufsicht gestellt und Treuhänder eingesetzt. Dem Konzern wird nach Angaben der staatsnahen Nachrichtenagentur Anadolu vorgeworfen, die „Terrororganisation“ der Gülen-Anhänger finanziert und unterstützt zu haben.

Zahnlose EU

Human Rights Watch verurteilte das Vorgehen der Behörden als ungewöhnliche Maßnahme, um kritische Medien zum Schweigen zu bringen. Die Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini sagte in Brüssel: „Die Türkei muss wie jedes andere Land, das über einen EU-Beitritt verhandelt, sicherstellen, dass die Menschenrechte eingehalten werden – das schließt auch das Recht auf freie Meinungsäußerung ein.“ Die Entwicklungen seien besorgniserregend und würden von der EU genau beobachtet.

Gülen und Erdogan, einst beste Freunde

Die Kopak Ipek Holding, zu der die Sender Bugün TV und Kanaltürk gehören, steht der Bewegung um den dubiosen Prediger Fethullah Gülen nahe, dessen weit verzweigte sektenähnliche Gruppierung ebenfalls als islamistisch gilt. Gülen war einst ein enger Verbündeter des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Noch während der Gezi-Proteste im Sommer 2013 lagen die Gülen-nahen Medien mit der Regierung weitgehend auf einer Linie. Doch spätestens seit Telefonmitschnitte, für deren Echtheit Beweise fehlen, von Erdogan und seinem Sohn veröffentlicht wurden, auf denen Erdogan anordnete, Geld verschwinden zu lassen, weil Kontrolleure auf dem Weg seien, ist das Tischtuch zerschnitten. Korruptionsvorwürfe gegen viele AKP-Mitglieder, insbesondere auf dem Bausektor, halten sich aber seit langem. Der Präsident hat die Tonbänder als „gefälscht“ abgetan und danach einige Richter, Staatsanwälte und Polizisten versetzen lassen. Seitdem wirft Erdogan dem im US-Exil lebenden Prediger vor, Polizei und Justiz unterwandert zu haben und die türkische Regierung stürzen zu wollen. Ersteres ist wohl auch tatsächlich der Fall, darüber haben auch unabhängige Journalisten berichtet. Als Erdogan und Gülen jedoch noch beste Freunde waren, wurden genau diese Journalisten von eben diesen Polizisten und Richtern inhaftiert, bedroht und schikaniert. Die AKP tat damals nicht das Geringste, um dagegen einzuschreiten.

Die kommende Diktatur eint die Opposition

Die Empörung über den Polizeieinsatz führte zu einem ungewöhnlich einmütigen Protestauftritt der zerstrittenen Opposition. Abgeordnete der Mitte-Links-Partei CHP, der rechtsnationalen MHP und der pro-kurdischen HDP waren nach Angaben von Bugün TV vor Ort. HDP-Chef Selahattin Demirtas sagte in Istanbul, die Polizeiaktion verstoße gegen „die Verfassung und gegen nationales und internationales Recht“.