Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet (CSU). (Foto: Wolfram Göll)
Ukraine-Konflikt

Mit Moskau reden, ohne dessen Position zu übernehmen

Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet, Mitglied des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogforums, hat für die Beibehaltung der EU-Sanktionen gegen Russland plädiert, so lange Moskau im Osten der Ukraine internationales Recht bricht. Gleichzeitig rät Bocklet, den Gesprächsfaden mit Moskau nicht abreißen zu lassen. Man brauche Russland beispielsweise für die Lösung der Syrienkrise.

„Wenn Putin den Eindruck bekommt, dass die EU und die USA bei den Sanktionen wackeln, hat er keinen Grund mehr, sich in der Ukrainefrage zu bewegen“, betont der bayerische Landtagsvizepräsident Reinhold Bocklet (CSU). Gleichzeitig fordert er, den Dialog mit Moskau nicht abreißen zu lassen. Ohne Putin gebe es keine Lösung des Syrienkonflikts. Bocklet vertritt Bayern seit 2004 im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogforums zwischen Deutschland und Russland. Bei einem Pressegespräch legte er in München ein 21-seitiges Positionspapier „Deutschland, Russland, die Ukraine und Europa“ vor.

Bocklet erinnerte an das Budapester Memorandum von 1994, in dem Russland der Ukraine im Gegenzug für den Verzicht auf die sowjetischen Atomwaffen volle Souveränität in seinen Grenzen zusicherte – unter anderem einschließlich der Krim und des Donezk-Beckens (Donbas). „Das ist ein international gültiger Vertrag, und den hat Russland durch die Infiltration der Ostukraine und die Annexion der Krim gebrochen“, stellt Bocklet fest. Die EU müsse ihre Sanktionen so lang aufrechterhalten, bis Russland die Zusicherungen des „Minsk II“-Abkommens überprüfbar umsetze. Das sei auch die Haltung der Bundesregierung.

Russlands Rechtsverletzung betrifft Europa insgesamt

Die Feststellung der Verletzung des internationalen Rechts in der Ukraine durch Russland bezeichnete Bocklet als „nicht verhandelbar“. Diese Rechtsverletzung greife tief und betreffe Europa insgesamt. Dies betreffe sogar die Charta von Paris und darauf aufbauend auf den KSZE/OSZE-Prozess. „Es wäre töricht, die Fragen Syrienkonflikt und die russischen Rechtsbrüche in der Ukraine sowie die Sanktionen zu vermengen. Damit würde man signalisieren, dass die Ukraine ein nachrangiges Problem ist“, analysierte Bocklet. Er lobte die EU, die in der Frage der Sanktionen bislang „erstaunlich gut“ zusammenhalte und die Verlängerung der Sanktionen ins Jahr 2016 hinein bereits einstimmig beschlossen habe.

Gleichzeitig warb Bocklet dafür, Verständnis für die Be- und Empfindlichkeiten Russlands aufzubringen. Während die Westeuropäer in den 1990er Jahren von einem „gemeinsamen Haus Europa“ träumten und das Ende aller internationalen Konflikte erhofften, hätten die Russen diese Jelzin-Zeit als chaotisch und ungerecht empfunden, so Bocklet. Während die Oligarchen sich schamlos bereichert hätten, sei das Land im Chaos versunken. „Putin wollte die Ordnung, aber auch die frühere Größe Russlands wiederherstellen, und zwar in dem Bereich der ehemaligen Sowjetunion. Wir haben das damals nicht so richtig ernstgenommen, als Putin sagte, der Zerfall der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts gewesen“, sagte Bocklet.

Ukraine ist Kernbestandteil der großrussischen Pläne

Aber Putin habe genau dies gemeint, und die Ukraine sei Kernbestandteil dieser großrussischen Einflusssphäre. Wladimir Putin habe die Entwicklung in der Ukraine 2014 erschreckt zur Kenntnis genommen und Angst vor einer prowestlichen Revolution, einem „Maidan in Moskau“ bekommen. „Daraufhin hat er die Ostukraine angezündet“, so Bocklet. Die dortige russischstämmige Bevölkerung habe sich in Kiew nie richtig repräsentiert gefühlt, obwohl der bisherige Präsident Janukowitsch von dort stammte. „Seitdem hat Putin in der Ukraine den Fuß in der Tür und muss bei allen wichtigen Fragen mit am Tisch sitzen“, so Bocklet.

In Syrien habe Russland als einzige Weltmacht seit Jahren eine sichere Position. „Syrien, das Assad-Regime, war immer ein echter Verbündeter Russlands. Der Hafen Tartus ist der einzige Hafen Russlands am Mittelmeer. Bei jeder Lösung des Syrienkonflikts wird Putin ein wichtige s Wort mitsprechen“, betont Bocklet. Zur Motivation Putins, im Syrienkonflikt derart in die Offensive zu gehen, mutmaßte Bocklet, dass Putin mehr als alle anderen internationalen Zurücksetzungen – etwa den Ausschluss aus den G8 –  die Aussage von US-Präsident Obama getroffen habe, Russland sei nur eine Mittelmacht. „Er hat jetzt vor der Uno dem Westen den Spiegel vorgehalten, und all die Fehler des Westens in Libyen, in Syrien und im Irak aufgezählt“, so Bocklet.

Assad-Regime war wenigstens säkularer Staat und ließ Christen in Ruhe

Erstes Gebot in Syrien sei jetzt der Kampf gegen die Terroristen vom Islamischen Staat (IS), aber dann stelle sich die Frage, wie es mit dem Land weitergehen solle – etwa mit einer Kantonalisierung des Landes, also einer Aufteilung. Syrien sei bisher vor allem durch die Assad-Diktatur zusammengehalten worden. Bocklet: „Der Westen hat den Fehler gemacht, die Opposition zu unterstützen, ohne zu wissen, wer da alles dabei ist, die al-Nusra-Front etwa, die heute eng mit dem IS kooperiert.“ Das Assad-Regime habe wenigstens den Vorteil gehabt, ein streng säkularer Staat zu sein, daher hätten sich auch die syrischen Christen immer für Assad ausgesprochen.

Bocklet sagte, EU und Nato müssten auch die Nachbarschaftspolitik im Osten überdenken. Russland habe Nato und EU jahrelang immer näher heranrücken gesehen. Zuletzt hätten die USA Raketen in Polen stationiert, die zwar angeblich gegen den Iran gerichtet waren, aber auch Moskau hätten treffen können, meinte Bocklet. „Wir dürfen nicht nur mit unseren direkten Nachbarn im Osten reden, sondern wir müssen auch mit dem Nachbarn der Nachbarn reden, und das ist Russland.“ Russland sei nun einmal das wichtigste Land in Osteuropa. „Wir Europäer müssen mit Russland im Gespräch bleiben, aber gleichzeitig die eigene Position so geschlossen halten, dass wir einig auftreten“, so Bocklet.

Nato zog nur schwache Konsequenzen aus Rechtsbruch

Die USA und die Nato hätten keine Konsequenzen aus dem Bruch des Budapester Memorandums von 1994 durch Russland, immerhin eine der Signatarmächte, gezogen. Einige Nato-Manöver seien die einzige sichtbare Reaktion gewesen. Durch die Schwäche und Untätigkeit der USA sei hier eine „Lücke“, ein Machtvakuum entstanden, so Bocklet. „Es wäre im Interesse der USA, dass sie sich hier mehr engagieren.“ Man müsse mit Moskau reden, ohne dessen Position zu übernehmen. Deutschland sei hier in einer wichtigen Position als Mittler gefragt. Bayern wiederum pflege seit vielen Jahren einen vertrauensvollen Kontakt mit der Region Moskau.

Nach mehreren abgesagten Gipfeltreffen des Petersburger Forums, zuletzt in Sotschi, sei nun der nächste Termin für den 21. und 22. Oktober in Potsdam angesetzt – allerdings ebenfalls nur als Treffen der Lenkungsausschüsse, ohne Gipfel.