31.000 weitere Migranten für Deutschland
Die EU-Innenminister haben beschlossen, 120.000 Migranten auf die Mitgliedsländer zu verteilen. Deutschland wird 31.000 Personen aufnehmen. Ein Tropfen auf den heißen Stein: Der UNHCR zufolge kommen jeden Tag mindestens 6000 neue Migranten in Europa an – Tendenz steigend. EU-Kommissionspräsident Donald Tusk rechnet mit Millionen weiteren Migranten und fordert die Sicherung der Außengrenzen.
EU-Gipfel

31.000 weitere Migranten für Deutschland

Die EU-Innenminister haben beschlossen, 120.000 Migranten auf die Mitgliedsländer zu verteilen. Deutschland wird 31.000 Personen aufnehmen. Ein Tropfen auf den heißen Stein: Der UNHCR zufolge kommen jeden Tag mindestens 6000 neue Migranten in Europa an – Tendenz steigend. EU-Kommissionspräsident Donald Tusk rechnet mit Millionen weiteren Migranten und fordert die Sicherung der Außengrenzen.

Das war ein hartes Ringen um einen Kompromiss. Am Schluss ging es trotzdem nur mit Gewalt: Mit qualifizierter Mehrheit beschlossen die 28 EU-Innenminister auf ihrem Brüsseler Treffen die Verteilung von 120.000 Migranten über die EU-Mitgliedsländer. Es geht  zunächst um 50.400 Migranten, die sich derzeit in Griechenland befinden, sowie um 15.600 aus Italien. Als Aufnahmeländer sind von der Entscheidung besonders Deutschland, Frankreich und Spanien betroffen. Deutschland soll 31.000 der zumeist aus Syrien, Irak und Eritrea stammenden Migranten aufnehmen. Eine Erleichterung: Denn die übrigen 90.000 Migranten sollen dann nicht mehr nach Deutschland strömen − jedenfalls theoretisch. Großbritannien, das sich zusammen mit Irland und Dänemark auf eine EU-Aufnahmereglung berufen kann, wird sich keine Migranten zuweisen lassen. Presseberichten zufolge wollen Irland und Dänemark je 4000 und 1000 der Migranten aufnehmen.

Mit qualifizierter Mehrheit

Eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit – 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren – ist in der Konsens-Institution, die der EU-Ministerrat ist, nicht häufig. Umso größer ist nun die Erbitterung in den überstimmten Hauptstädten Ungarns, Tschechiens, Rumäniens und der Slowakei.

Niemand hat das Recht, nicht zuzustimmen, wenn die Entscheidung per qualifizierter Mehrheit gefallen ist. Klar?

Jean Asselborn, Luxemburgs Außenminister

Finnland enthielt sich bei der Abstimmung. Polen, das zunächst innerhalb der sogenannten Visegrad-Gruppe zusammen mit Budapest, Prag und Bratislawa den Quotenvorschlag der EU-Kommission kritisiert hatte, stimmte am Dienstagabend dann doch für die Migranten-Verteilung per Quote. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, der die Ministerkonferenz geleitet hatte, trug auf einer knappen Pressekonferenz nicht zur Entspannung der Atmosphäre bei. Asselborn eisig: „Niemand hat das Recht, nicht zuzustimmen, wenn die Entscheidung per qualifizierter Mehrheit gefallen ist. Klar?“

Zorn in der Slowakei

Am folgenden Tag, unmittelbar vor dem Brüsseler EU-Gipfel zur Migrantenkrise, kündigte der slowakische Regierungschef Robert Fico denn auch entschlossenen Widerstand an: „Die slowakische Regierung wird den rechtlich bindenden Akt nicht umsetzen, sondern sie wird dagegen eine Klage erheben“. Darauf habe die Slowakei ein Recht. „Solange ich Premierminister bin, werden auf slowakischem Territorium keine verpflichtenden Quoten umgesetzt“, betonte Fico in Pressburg vor dem Parlamentsausschuss für europäische Angelegenheiten. Fico: „Lieber gehe ich in ein Strafverfahren gegen die Slowakei, als dass ich dieses Diktat respektiere.“

Solange ich Ministerpräsident bin, werden auf slowakischem Territorium keine verpflichtenden Quoten umgesetzt.

Robert Fico, slowakischer Ministerpräsident

Scharfe Worte der Kritik fand Fico für das Verfahren, in dem die Entscheidung gefallen war: „Es ist noch nie vorgekommen, dass Meinungen, für die Länder rationale Argumente hatten, von einer Mehrheit einfach niedergewalzt wurden, nur weil sie nicht fähig war, einen Konsens zu finden.“

Gelassenheit in Tschechien

Mit größerer Gelassenheit wurde die Brüsseler Entscheidung in Prag aufgenommen. Mit Rücksicht auf das Miteinander in Europa werde Tschechien nicht vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Migrantenquote klagen, erklärte Ministerpräsident Bohuslav Sobotka: „Ich möchte die Spannungen mit Klagen nicht weiter steigern.“ Zugleich kündigte Sobotka aber weitere Gegenwehr an: „Die Quoten werden nicht funktionieren und haben uns bei der Lösung für die eigentlichen Gründe der Migrationskrise nicht weiter gebracht.“

Die Quoten werden nicht funktionieren.

Bohuslav Sobotka, tschechischer Ministerpräsident

Es sei nicht vernünftig, sich juristisch zu wehren, warnte sein Finanzminister Andrej Babis: „Weil uns die EU das mit Zins und Zinseszins zurückzahlt“. Wie Sobotka hält auch Babis offenen Widerstand schlicht für überflüssig, weil der Quotenmechanismus nicht funktionieren werde: „Die Flüchtlinge wollen nicht zu uns.“

Es darf keinen moralischen Imperialismus geben. Deutschland muss für sich selber entscheiden und darf nicht seinen Willen anderen Ländern aufzwingen.

Viktor Orban, ungarischer Ministerpräsident

„Es darf keinen moralischen Imperialismus geben“, betonte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban auf dem Weg nach Brüssel: „Deutschland muss für sich selber entscheiden und darf nicht seinen Willen anderen Ländern aufzwingen.“ Ungarn werde sich dennoch an die Brüsseler Entscheidung halten, kündigte in Budapest ein Regierungssprecher an: „Das ist eine verpflichtende Entscheidung, und wir werden sie respektieren.“ Presseberichten zufolge wird Ungarn 1300 Migranten aufnehmen.

Die Migranten-Zahlen steigen weiter

Der Streit wird die EU weiter spalten. Denn das in Brüssel beschlossene Quotensystem kann nur ein erster kleiner Schritt sein. Die 120.000 zu verteilenden Migranten entsprechen etwa der Zahl jener, die zur Zeit in 20 Tagen in Europa ankommen, rechnet aus der Ferne die US-Tageszeitung Washington Post vor. Der UN-Flüchtlingsagentur UNHCR zufolge haben dieses Jahr schon mehr als 477.000 Migranten Europa erreicht. Derzeit landen jeden Tag etwa 6000 weitere an Europas Küsten. Beunruhigender Trend: Im bisherigen Rekord-Monat August kamen jeden Tag 4200. Allein auf der griechischen Ägäis-Insel Lesbos landeten an diesem Mittwoch wieder über 2500 Migranten.

Die drängendste Frage ist, wie wir die Kontrolle an unseren Außengrenzen zurückgewinnen, sonst macht es keinen Sinn, über eine gemeinsame Migrationspolitik zu reden.

EU-Ratspräsident Donald Tusk

Und die Zahlen steigen weiter, die große Völkerwanderung nach Europa hält an: Eine Analyse des österreichischen Innenministeriums geht von über zwei Millionen syrischen Flüchtlingen im Libanon und in der Türkei aus, die nach Europa weiter „fliehen“ wollen. In Brüssel warnte auch EU-Ratspräsident Donald Tusk vor Millionen weiterer Migranten, die sich Richtung Europäischer Union aufmachen könnten. Tusk: „Die meisten fühlen sich von Europa eingeladen.“ Auf dem Brüsseler EU-Gipfel will der Kommissionspräsident darum das Thema der Sicherung der EU-Außengrenzen in den Vordergrund stellen. Tusk: „Die drängendste Frage ist, wie wir die Kontrolle an unseren Außengrenzen zurückgewinnen, sonst macht es keinen Sinn, über eine gemeinsame Migrationspolitik zu reden.“