Der Druck im Kessel steigt
Weil fast die Hälfte aller Asylgesuche von Bewerbern aus dem Westbalkan kommt, wird jetzt intensiv darüber nachgedacht, wie etwa Migranten aus Albanien, Kosovo oder Mazedonien so schnell wie möglich zurückgeführt werden können. Aber die Armutsmigration aus dem Westbalkan wird anhalten. Sichtbar wird hier auch der nur begrenzte Erfolg von 20 Jahren EU-Politik in der Region.
Asylpolitik

Der Druck im Kessel steigt

Weil fast die Hälfte aller Asylgesuche von Bewerbern aus dem Westbalkan kommt, wird jetzt intensiv darüber nachgedacht, wie etwa Migranten aus Albanien, Kosovo oder Mazedonien so schnell wie möglich zurückgeführt werden können. Aber die Armutsmigration aus dem Westbalkan wird anhalten. Sichtbar wird hier auch der nur begrenzte Erfolg von 20 Jahren EU-Politik in der Region.

Der Strom der Migranten aus den Westbalkanländern wächst und wächst. Allein im Monat Juli beantragten etwa 7000 Albaner in Deutschland Asyl – knapp 1200 mehr als im Vormonat und fast zehn Mal so viel wie im Juli 2014. Das berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter Berufung auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Insgesamt kamen von 200.000 Anträgen, die dieses Jahr schon in Deutschland gestellt wurden, 97.000 von Migranten aus den Ländern des westlichen Balkan, erläutert BMAF-Chef Manfred Schmidt. Das ist fast die Hälfte aller Migranten, aber nur 0,1 bis 0,2 Prozent würden als Flüchtlinge anerkannt, so Schmidt.

Wer etwa aus dem Kosovo kommt, sollte innerhalb eines Monats wieder in seine Heimat zurück.

Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

Konsequente und schnelle Rückführung der Migranten vom Westbalkan forderte jetzt Unionsfraktionschef Volker Kauder in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Personen, die mit großer Wahrscheinlichkeit kein Asyl erhalten, sollten nicht mehr auf die Kommunen verteilt werden, so Kauder: „Sie sollten direkt aus den Erstaufnahmeeinrichtungen in ihre Heimatländer zurückgeführt werden.“ Kauder weiter: „Wer etwa aus dem Kosovo kommt, sollte innerhalb eines Monats wieder in seine Heimat zurück.“

Kürzung des Taschengelds und Wiedereinreisesperre

BAMF-Chef Schmidt plädiert außerdem für eine Wiedereinreisesperre für ganz Schengen-Europa. Schmidt erläutert die Abschreckungsbotschaft der Maßnahme: „Wenn Du diesen Weg beschreitest, droht Dir nicht nur Rückführung in Dein Herkunftsland, sondern dass Du auch auf legalem Weg nicht mehr in ein Schengenland einreisen darfst.“

Was wir in unseren Anhörungen hören ist, dass die Barmittel durchaus ein Anreiz sind, in der Bundesrepublik zu bleiben.

Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge

Schmidt zufolge stellen viele abgelehnte Asylbewerber sofort einen Folgeantrag. Auch hier kommen 50 Prozent der Antragsteller aus dem Westbalkan. Auch darum rät der BAMF-Chef dazu, etwa für Asylbewerber vom Westbalkan das Taschengeld von monatlich 143 Euro zu kürzen oder durch Sachleistungen zu ersetzen. Schmidt: „Was wir in unseren Anhörungen hören ist, dass die Barmittel durchaus ein Anreiz sind, in der Bundesrepublik zu bleiben.“ Schon jetzt sei es geltendes Recht, dass Leistungen für Asylbewerber gekürzt werden können, „wenn anzunehmen ist, dass sie nur deswegen hier sind, um diese Leistungen in Anspruch zu nehmen“.

Lob für Bayern

Der BAMF-Chef verteidigt denn auch  die bayerischen „Aufnahmezentren” für Asylbewerber aus Balkan-Staaten. Der Freistaat setze lediglich einen gemeinsamen Beschluss aller Ministerpräsidenten um. „Der lautete: Wir konzentrieren uns auf herkunftsstarke Länder mit geringer Schutzquote.” Asylbewerber aus Ländern mit wenig oder keinerlei Chancen auf ein Bleiberecht − also vor allem vom Balkan − sollen demnach so lange in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben, bis über ihren Antrag entschieden wurde. Im Fall einer Ablehnung sollen sie von dort schneller in ihre Heimat zurückgebracht werden. Schmidt: „Dadurch werden wir in den Entscheidungen schneller und effektiver.” Die Antragsteller müssten dann nicht jedes Mal aus ihren Unterkünften in die Aufnahmestelle gebracht werden.

Wir werden eine gesellschaftliche Destabilisierung dieses Landes erleben, wenn wir die massenhafte illegale Zuwanderung nach Deutschland nicht stoppen.

Hans-Peter Friedrich, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion

Unterdessen bekräftigte der frühere Innenminister Hans-Peter Friedrich seine Forderung nach Einführung einer Visumspflicht für die Balkan-Staaten. Man müsse über die Gefahr reden, die auf Deutschland infolge des Missbrauchs des Asylrechts durch Bürger dieser Staaten zukomme, betonte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am vergangenen Freitag im ZDF: „Wir werden eine gesellschaftliche Destabilisierung dieses Landes erleben, wenn wir die massenhafte illegale Zuwanderung nach Deutschland nicht stoppen.“

Problem: Beim Berliner Koalitionspartner SPD und insbesondere bei den „Nehmt-doch-alle-auf“-Grünen wehren sich viele gegen solche Schritte und auch dagegen, die drei Westbalkanländer Albanien, Kosovo und Montenegro als „sichere Herkunftsländer“ einzustufen, in die Migranten dann sehr viel einfacher zurückgeführt werden könnten.

Zuwanderungsdruck aus dem Westbalkan wächst

Aber energische Maßnahmen werden immer dringender. Denn ein Ende der Auswanderungsbewegung – denn um nichts anderes handelt es sich – aus den Balkanländern ist nicht abzusehen. Im Gegenteil: 66,7 Prozent der jugendlichen Albaner (Gesamtbevölkerung: 2,8 Millionen) wollen ihr Land „sehr wahrscheinlich“ oder „ziemlich wahrscheinlich“ verlassen – vor allem in Richtung EU-Europa. Diese Zahl nennt eine neue Studie der Friedrich Ebert Stiftung (FES). Das gleiche gilt für 55,1 Prozent der jungen Leute in Kosovo (1,8 Millionen), 52,8 Prozent der jungen Mazedonier (2 Millionen) und 49,2 Prozent der Jugendlichen in Bosnien-Herzegowina (3,8 Millionen). Interessant: Auch aus dem EU-Mitgliedsland Bulgarien wollen 42,5 Prozent der jungen Leute auswandern. In Rumänien trifft das für 39,9 Prozent zu, in Slowenien für 30,8 und in Kroatien für 26,7 Prozent.

Migranten aus dem Westbalkan sind zudem für potentielle zentraleuropäische Aufnahmeländer nicht unproblematisch, weil offenbar schwierig zu integrieren. Die FES-Studie schreibt den Jugendlichen aus in diesen Ländern „große innere Distanz“ zu Menschen zu, „die einen anderen Glauben und andere politische Überzeugungen haben als sie selbst. Zugleich ist die Jugend in Südosteuropa nur bedingt in der Lage, soziale oder kulturell Unterschiede zu akzeptieren.“

Fragen der Ehre haben für junge Menschen in Südosteuropa eine größere Bedeutung als die Werte der Toleranz und der Kooperation.

Jugendliche in Südosteuropa, Studie der Friedrich Ebert Stiftung

Die Untersuchungsergebnisse „stellen die verbreitete Vermutung in Frage, Heranwachsende seien progressiver und toleranter eingestellt als ihre Eltern und Großeltern; vielmehr scheinen viel Jugendliche ausgesprochen konservative Einstellungen zu pflegen“, so die FES-Studie: „Fragen der Ehre haben für junge Menschen in Südosteuropa eine größere Bedeutung als die Werte der Toleranz und der Kooperation.“ Vor allem jugendliche Migranten aus dem Kosovo seien stark religiös geprägt. Der Studie zufolge vertrauen etwa jugendliche Kosovaren nach ihren Familienangehörigen in erster Linie ihren Religionsführern. Besonders wenig Vertrauen bringen sie Personen anderer Religionsgruppen entgegen. Roma-Familien oder Homosexuelle will die Westbalkan-Jugend nicht akzeptieren. „Nur wenige Jugendliche in der Region akzeptierten soziale und politische Vielfalt“, schließt etwa die FAZ aus der FES-Studie.

Die EU ist auf dem Westbalkan gescheitert

Ursache des Auswanderungsdrucks in den Westbalkan-Ländern ist auch zwanzig Jahre nach dem Ende der Kriege im zerfallenden Jugoslawien die anhaltende Armut, kommentiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung: „Der Balkan war das Armenhaus Europas, und er wird es auf absehbare Zeit bleiben.“ Deutlich zum Vorschein komme hier ein Versagen der Europäischen Union, überlegt der langjährige FAZ-Balkankorrespondent Michael Martens. Denn etwa Kosovo und Bosnien-Herzegowina seien viele Jahre lang de jure und de facto Protektorate der Staatengemeinschaft gewesen. Kein Gesetz konnte verabschiedet, keine Straße gebaut, kein Schulbuch gedruckt werden ohne die Prüfung durch hochbezahlte ausländische Aufpasser, so Martens:

Nirgends auf der Welt wurden so viele Fördergelder pro Kopf investiert wie im Kosovo und in Bosnien. Heute sind diese Staaten bei der Erfüllung europäischer Standards die Schlusslichter unter den (potentiellen) EU-Beitrittskandidaten.

Die Misserfolge der EU im Westbalkan stellen zudem ein Axiom allen Nachdenkens über den Umgang mit der großen aktuellen Migranten-Krise insgesamt in Frage, warnte zutreffend schon vor einem Monat ebenfalls die FAZ in einem Kommentar auf ihrer ersten Seite:

Wer hofft, Fluchtursachen durch mehr Engagement in den Ländern Afrikas und Asiens rasch bekämpfen zu können, wird auf dem Balkan eines besseren belehrt: Dort versucht die EU schon seit zwanzig Jahren, die Lage zu verbessern, indem sie politische und wirtschaftliche Reformen unterstützt. Der Erfolg ist bisher gering, obwohl die EU dort so viele Möglichkeiten der direkten Einflussnahme hat, wie sonst nirgendwo auf der Welt.