Im Osten nichts Neues
Russland tut weiter alles, um ukrainefreundliche Stimmen auf der annektierten Halbinsel Krim im Keim zu ersticken. Jetzt trifft es Oleg Senzow. Dem Filmemacher wird der Prozess gemacht - er soll Terroranschläge vorbereitet haben. Dass an ihnen ein Exempel statuiert werden soll, steht jedoch außer Frage. Grundsätzlich verschärft Putin seine Repression gegen jede Opposition auch im eigenen Land.
Russische Repression

Im Osten nichts Neues

Russland tut weiter alles, um ukrainefreundliche Stimmen auf der annektierten Halbinsel Krim im Keim zu ersticken. Jetzt trifft es Oleg Senzow. Dem Filmemacher wird der Prozess gemacht - er soll Terroranschläge vorbereitet haben. Dass an ihnen ein Exempel statuiert werden soll, steht jedoch außer Frage. Grundsätzlich verschärft Putin seine Repression gegen jede Opposition auch im eigenen Land.

„Ich halte dieses Gericht nicht für ein Gericht“ – mit diesen Worten meldet sich Oleg Senzow erstmals im Gerichtssal zu Wort. Der Filmemacher stammt von der Halbinsel Krim, er besitzt einen ukrainischen Pass und muss sich nun dennoch vor einem russischen Gericht verantworten, wie ein russischer Bürger. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet: Terrorismus. Mitte 2014 wurde ein Brandanschlag auf die Organisation „Russischen Gemeinde“ in Simferopol verübt, wenig später warfen Unbekannte Molotowcocktails auf die neue Parteizentrale der Putin-Partei „Geeintes Russland“ in der Krim-Hauptstadt. Der 39-jährige Oleg Senzow soll, gemeinsam mit einem weiteren Angeklagten, der Auftraggeber dieser Anschläge gewesen sein – so jedenfalls lautet die Anklage. Erstmals war Senzow den russischen Behörden als einer der namhaftesten Demonstranten auf dem Maidan in Kiew aufgefallen – dort hatte er gegen die russische Annexion der Krim protestiert.

Die Beweislage ist äußerst dünn

Die Beweise, die die Staatsanwaltschaft beim jetzigen Prozess gegen Senzow ins Feld führt, sind allerdings mehr als spärlich. Die gesamte Anklageschrift stüzt sich lediglich auf Zeugenaussagen zweier Russlandkritiker, die bereits zu jeweils sieben Jahren Haft verurteilt wurden und mittlerweile mit den Behörden kooperieren – womöglich, um ihren eigenen Hals zu retten, in dem sie diejenigen ans Messer liefern, die das russische Regime gerne dort sehen würde.

Anfang Mai 2014 wurde Oleg Senzow festgenommen und nach eigener Aussage auch gefoltert. Ein Geständnis hat er trotzdem bisher nicht abgelegt. Vielmehr betont er immer wieder, dass er das russischen Tribunal nicht als ein legitimes Gericht ansieht. Gleichwohl ist Senzow als Russland-Kritiker bekannt und hatte mehrfach öffentlich betont, dass die Krim seiner Meinung nach zur Ukraine gehöre und das Vorgehen Russlands absolut illegitim und inakzeptabel sei.

Der Prozess als Witz

Für internationale Beobachter ist jedenfalls klar: An Oleg Senzow soll ein Exempel statuiert werden, mit dem andere kritische Stimmen zum Verstummen gebracht werden sollen. Senzow selbst hat in dem Schauprozess kaum Gelegenheit, sich wirklich zu verteidigen. Daher hat er sich auf andere Methoden verlegt: Zum Prozessauftakt etwa trug der 39-Jährige ein weißes T-Shirt mit einem ukrainischen Blumenmuster – und sendete damit ein klares Zeichen: Senzow fühlt sich als Ukrainer. Allerdings hatte er nach der Annexion der Krim die vierwöchige Frist verstreichen lassen, binnen derer er erklären hätte müssen, Ukrainer bleiben zu wollen. Da er dem nicht nachgekommen ist, wird er vor Gericht jetzt als russischer Staatsbürger behandelt – ohne wirklich einen russischen Pass zu besitzen.

Dem Filmemacher drohen bis zu 20 Jahre Haft, der Schauprozess soll nicht länger als ein paar Wochen dauern. Dass Senzow ohne Strafe freigelassen wird, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Internationale Filmkollegen wie Wim Wenders oder Pedro Almodóvar haben Wladimir Putin gebeten, Senzow freizulassen – bislang vergeblich. Denn für die russische Seite ist Senzow zu wertvoll – als Opfer, mit dessen Verurteilung die pro-ukrainischen Stimmen auf der Krim eingeschüchtert werden sollen.

Einer von vielen

Senzow ist nicht der Einzige, der in Putins Diktatur eingeschüchtert, verhaftet, gefoltert und eingesperrt wird. 2003 begann es mit einem der auf dubiosen Wegen reich gewordenen Oligarchen, Michail Chodorkowski, nun Putin-Gegner, der enteignet und bis 2013 eingesperrt wurde. Mehrere Journalisten wie Anna Politkowskaja 2006 oder Oppositionspolitiker wie Boris Nemzow 2015 wurden kaltblütig auf offener Straße ermordet. Letzterer sogar in der Hochsicherheitszone rund um den Kreml, in dem tausende Kameras jede Bewegung erfassen – bis auf den Mord natürlich. Diese Kameras waren defekt. Natürlich. Nemzow wollte angeblich Beweise für eine direkte Beteiligung russischer Soldaten im Krieg gegen die Ukraine vorlegen. Die Taten sind bis heute unaufgeklärt, auch wenn Putins Regime immer irgendwelche zweifelhaften Sündenböcke aus dem Kaukasus präsentierte.

Sogar im Ausland lässt das Regime seine Kritiker ermorden oder versucht es wenigstens: 2004 erlitt der ukrainische Präsidentschaftskandidat aus dem demokratischen Lager, Wiktor Juschtschenko, kurz vor der wiederholten Stichwahl eine schwere Dioxinvergiftung nach einem Treffen mit russlandtreuen ukrainischen Geheimdienstlern. 2006 wurde der Ex-Geheimagent Alexander Litwinenko mit radioaktivem Polonium vergiftet. 2013 starb einer der schärfsten Putinkritiker, der Oligarch Boris Beresowski, unter ungeklärten Umständen, nachdem bereits mehrere Attentate auf ihn fehlgeschlagen waren. Weitere Gegner des russischen Diktators wie der Anwalt und Aktivist Alexej Nawalny 2013 und 2014 oder die regime- und kirchenkritische Band „Pussy Riot“ 2012 wurden mit konstruierten Vorwürfen zu langen Haftstrafen verurteilt. In Haft sitzt auch die ukrainische Kampfpilotin Nadija Sawtschenko, die 2014 bei einem Einsatz in der Ostukraine verschwand und in russischer Haft wieder auftauchte. Die russische Junta wirft ihr „Beteiligung am mehrfachen Mord“ vor, weil sie einen Mörserangriff koordiniert haben soll, bei dem zwei russische Journalisten starben. Das sind dann wohl die ersten zwei Reporter überhaupt, deren Schicksal den Kreml „interessiert“. Die Liste der im Westen unbekannten ermordeten oder inhaftierten russischen Kritiker ist aber viel länger als die wenigen hier genannten Fälle. Einige Oppositionelle wie der ehemalige Schachweltmeister Garri Kasparow zogen es vor, sich ins Ausland abzusetzen.

Abstruse Gesetze, um den Schein zu wahren

Gerade in den letzten Jahren wird eine deutlich zunehmende Repression gegenüber jeder Opposition in Russland beobachtet. Neue Gesetze ersticken jede zivile Opposition. 2012 hatte das russische „Parlament“, die Duma, ein Gesetz verabschiedet, nach dem alle von außerhalb Russlands finanzierte Nichtregierungsorganisationen zu „ausländischen Agenten“ erklärt werden können – mit entsprechenden Repressionen selbstverständlich. 2015 folgte die Erweiterung gegen „unerwünschte Organisationen“. Danach können russische Behörden internationale Nichtregierungsorganisationen ohne Vorwarnung auf eine schwarze Liste setzen. Gegen „unerwünschte“ Organisationen können Strafmaßnahmen wie das Einfrieren von Guthaben oder ein Verbot verhängt werden. Außerdem drohen Mitarbeitern bis zu sechs Jahre Haft oder ein Verbot, nach Russland einzureisen. Nach der Ermordung Nemzows erließ Putin alsbald ein Dekret, das es verbot, über den Tod von Angehörigen des Verteidigungsministeriums, also Soldaten, bei „Spezialeinsätzen“ in Friedenszeiten zu berichten. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft. Ein abstruser Akt, der sein Regime eigentlich bloß stellte: Schließlich hatte Putin offiziell immer geleugnet, dass die russische Armee auch in der Ostukraine operiert – gerade dies wollte Nemzow auch öffentlich machen. Da diese Tatsachen dem Westen ohnehin längst bekannt waren, richtet sich die Regelung insbesondere gegen unbequeme russische Organisationen wie die „Soldatenmütter“ oder „Memorial“.

(dos/avd)