Der kranke Freund an der Seine
Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Finanznot bestimmt alle französische Politik. Um den Aufstand der Gelbwesten zu beenden, muss Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trotzdem viel Geld ausgeben. Dafür blickt er auch nach Europa.
Frankreich

Der kranke Freund an der Seine

Kommentar Aus dem BAYERNKURIER-Magazin: Finanznot bestimmt alle französische Politik. Um den Aufstand der Gelbwesten zu beenden, muss Frankreichs Präsident Emmanuel Macron trotzdem viel Geld ausgeben. Dafür blickt er auch nach Europa.

17 Milliarden Euro. Wer die Zahl kennt, der hält den Schlüssel zum Verständnis französischer Politik in der Hand. 17 Milliarden Euro sollen Präsident Emmanuel Macrons geplante Maßnahmen kosten: Steuererleichterungen und Rentenanpassungen, mit denen er den Gelbwesten den Daueraufstand abkaufen und die soziale Krise im Lande beenden will. Und seine Präsidentschaft neu starten.

17 Milliarden, das behauptet Macrons Finanzminister Gérald Darmanin. 25 Milliarden errechnet dagegen die Pariser Tageszeitung Le Monde. Es ist fast egal. Denn so oder so: Frankreichs Staatskasse ist leer.

100 Prozent Staatsverschuldung

Mit aktuell 99,6 Prozent Staatsverschuldung kratzt das Land an der 100-Prozent-Marke. Für den Schuldendienst muss es jedes Jahr 42 Milliarden Euro aufbringen – mehr als für den Verteidigungshaushalt. Bis 2022 wollte Macron den ausgeglichenen Haushalt erreichen, den das Land seit 1974 nicht mehr gesehen hat. Aber im Januar rechnete die Regierung für 2019 mit einem Defizit von 3,2 Prozent.

Unser Land schafft es nicht, seine Schulden zu stabilisieren.

Didier Migaud, Präsident des Rechnungshofs.

„Unser Land schafft es nicht, seine Schulden zu stabilisieren“, warnte Anfang des Jahres Didier Migaud, der Präsident des Rechnungshofs. Er hat recht. Die Staatsausgaben steigen und steigen. 2018 wuchsen sie um 56,6 Milliarden Euro. „Dieses Jahr wird Frankreich wahrscheinlich 100 Milliarden Euro mehr ausgeben, als es hat“, warnte Le Figaro, ebenfalls schon im Januar. „Ab Oktober wird es nicht mehr einen einzigen Sou in der Kasse geben.“ 56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt Frankreichs Staatsquote – ein europäischer Rekord.

Der Zorn der Steuerzahler

Höhere Steuereinnahmen? Unmöglich. Frankreichs Steuerquote lag 2017 bei 48,4 Prozent des BIP. Als Macron eine CO2-Steuer draufsetzen wollte, brach der Zorn der Gelbwesten los. In Frankreich kann es nur noch Steuersenkungen geben.

Einsparungen? Den größten Spar-Posten hat Macron jetzt auch streichen müssen. 120.000 Beamtenstellen hatte er in fünf Jahren abbauen wollen. In zwei Jahren hat er davon nur 5000 geschafft – und nun das große Ziel völlig aufgegeben.

Die höchsten Sozialausgaben

„Steuerschlupflöcher schließen“, heißt jetzt das Zauberwort. Was nichts anderes bedeutet als Steuererhöhungen – für Unternehmen. Aber zugleich will Macron die Wettbewerbsfähigkeit der französischen Wirtschaft erhöhen, die in Europa die höchsten Sozialabgaben schultert.

Bleiben etwa 1200 Staatsbehörden, an denen man sparen könnte. Zusammen beschäftigen sie 440.000 Personen und kosteten zuletzt 50 Milliarden Euro. Aber mehr als ein paar hundert Millionen Euro wird man auch da kaum herausschneiden können, ahnt Le Monde.

Europa soll helfen

Frankreich steht fiskalisch mit dem Rücken zur Wand. Was zur Folge hat: Macron und seine Regierung können nur noch an eines denken – an Geld.

Ab Oktober wird es nicht mehr einen einzigen Sou in der Kasse geben.

Le Figaro

Was immer Präsident Macron tut, worüber immer er redet, im Grunde geht es immer um Geld. Wenn er von der „Neugründung Europas“ spricht, vom Wirtschaftsminister für die Eurozone mit eigenem großem Budget – dann denkt er an Frankreich, das um Entlastung ringt. Er kann nicht anders.

Das muss man in Deutschland in Rechnung stellen. Und überlegen, wie man dem kranken Freund an der Seine helfen kann. Eher nicht mit teurem Umbau der Eurozone. Oder mit der Annäherung an Sozial- oder Schuldenunion. Das würde französische Lasten fremden Steuerzahlern aufbürden – und Unmut in EU und Eurozone schüren.