Zerstört die EU: Emmanuel Macron, Frankreichs Präsident. (Bild: imago images / ZUMA Press/Dominika Zarzycka)
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Dem Hahn die Krallen stutzen

Kommentar Im Machtpoker um den künftigen EU-Kommissionspräsidenten zeigt die EU den Bürgern derzeit, was sie von ihrer Stimmabgabe hält: Nichts. Frankreichs Regierungschef will das Votum von 202 Millionen Europäern einfach übergehen.

Schon lange und zurecht wollte das Europäische Parlament eine größere Bedeutung und führte deshalb das System der Spitzenkandidaten für Europawahlen ein. Gegen den Widerstand vieler Regierungschefs, von denen einige offenbar auch heutzutage immer noch glauben, sie müssten die EU alleine führen.

Französische Lippenbekenntnisse

Europa solle demokratischer und bürgernäher werden, fabulierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, als er ab 2017 seine großartigen „Reformen“ für die EU präsentierte. Nebenbei sei bemerkt: Sein damaliger Vorschlag transnationaler Listen für die Europawahlen wäre ohne Spitzenkandidaten unsinnig.

Und jetzt blockiert genau jener „Oberdemokrat“ Macron den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber als EU-Kommissionschef. Offiziell, weil Weber keine Regierungserfahrung habe. Dabei hatte Macron bei Amtsantritt als französischer Präsident selbst keinerlei Regierungserfahrung. Inoffiziell, weil Weber kein Franzose und keiner aus der liberalen Parteiengruppe um Macron ist.

Damit wird „Monsieur Non“, wie die Zeitung Zeit Macron nannte, zu Europas Zerstörer. Seine Haltung ist schlicht undemokratisch, eine Missachtung des Parlaments und obendrein massiver Betrug an 202 Millionen Wählern, die bei der letzten Wahl abstimmten. Die EU ging ohne Widerspruch der Staatschefs mit den Spitzenkandidaten Frans Timmermans (Sozialisten) und Manfred Weber (Konservative) in die Europawahl. Macrons Liberale stellten noch nicht einmal eine Spitzenkandidatin auf. Dieses Konzept hatte aber das Europäische Parlament 2014 beschlossen.

Das ist eine Vorgehensweise, die mit den proeuropäischen Reden von ihm nicht im Ansatz irgendwas zu tun hat.

Daniel Caspary, MdEP, CDU

Nun zu sagen, nein, ich akzeptiere weder diese Vereinbarung noch das Wahlergebnis, nach dem die EVP weiter die mit Abstand stärkste Fraktion stellt, erinnert stark an den undemokratischen Großmanns-Anfall Gerhard Schröders in der Elefantenrunde 2005 nach dessen Abwahl.

Wurden Millionen Europäer für dumm verkauft?

Zwar sind die Regierungschefs bei ihren Vorschlägen leider immer noch nicht an Vorgaben der Europaabgeordneten gebunden. Aber sie müssen laut EU-Vertrag das Wahlergebnis „berücksichtigen“ – nach dem immerhin rund 40 Millionen Europäer ihre Stimme den EVP-Parteien gaben. Sie haben zudem auch in den meisten Mitgliedstaaten die meisten Stimmen erhalten und vertreten so mehr als alle anderen Parteienfamilien die Bürger aus Nord-, Süd-, West- und Osteuropa. Am Ende muss das EU-Parlament den Kandidaten laut EU-Vertrag auch bestätigen.

Macron, der ach so überzeugte Europäer, will also den EU-Vertrag brechen und das fragile und angeschlagene Bündnis in eine weitere Krise steuern. Und diese Krise könnte den Untergang der EU bedeuten, so pathetisch das auch klingt.

Denn wie soll man Europas Wähler in fünf Jahren nochmal an die Wahlurnen holen, wenn am Ende doch nur 27 Staatschefs ihre miesen Kuhhändel im Hinterzimmer miteinander treiben? Niemand würde mehr irgendwelchen EU-Versprechen glauben. Und wie sollte sich die EU noch gegenüber China, Russland oder den USA als starke Länderallianz präsentieren können, wenn Macron doch gezeigt hat, wie zerbrechlich und uneinig diese ist? Überdies würde man all den Rechtspopulisten in Europa, die das undemokratische Monster Brüssel beschwören, den Ball direkt auf die Torlinie legen.

Weitere Faktoren im Spiel

Das ist natürlich nicht alles: Macron geht es nicht nur um den Kommissionspräsidenten, der ist nur ein Faustpfand. Der arrogante Franzose will bei dem anstehenden Personalpaket mit EZB-Präsident, EU-Parlamentspräsident, dem Präsidenten des Europäischen Rats und dem Posten des EU-Außenbeauftragten möglichst viele Personalien bestimmen. Auch sein Eurozonenbudget läuft nicht so, wie der Franzose das will. Macron wollte damit die ruinierten französischen Staatsfinanzen retten und sich um notwendige Reformen drücken, doch die nördlichen EU-Zahlerländer wollen dafür verständlicherweise nicht bluten.

Und auch die in Spanien regierenden Sozialisten sowie die Visegrad-Staaten spielen Macrons antideutsches Spiel, nur weniger auffällig. Dass die neu gewählten Fraktionschefs von Sozialdemokraten und Liberalen trotz großen Widerstands in den eigenen Reihen Weber mitteilten, dass sie ihn nicht zum Kommissionschef wählen würden, war auch nicht hilfreich, sondern eine Selbstentmachtung des EU-Parlaments.

Überdies gilt: Deutschland ist nicht beliebt in Europa und das nicht nur wegen der NS-Vergangenheit. Es ist auch die Schuld der deutschen Regierung, die sich in den letzten Jahren immer wieder als Besserwisser und Moralapostel in der EU unbeliebt gemacht hat. Euro-Rettung und Sparpolitik, offene deutsche Grenzen in der Migrationskrise und anschließend aufgezwungene Lastenverteilung auf ganz Europa, Gaspipeline im Alleingang, Energie- und Klimaapostel – um nur einige Beispiele zu nennen.

Schuss vor den Bug

Allen muss aber dennoch bewusst sein: Wer Europa retten will, muss Macron klar und deutlich vor den geschwellten Hahnenkamm schießen. Dieses Verhalten darf man ihm nicht durchgehen lassen. Auf einen groben Klotz gehört in diesem Fall ein grober Keil.

Am 2. Juli muss das Europaparlament seinen neuen Parlamentspräsidenten wählen. Wenn Weber bis dahin nicht designierter EU-Kommissionspräsident ist, hat das Europaparlament und die EU jede demokratische Legitimation verloren. Das Spitzenkandidatensystem wäre abgeschafft und die Europawahl unwichtig wie früher. So darf es nicht kommen.