Athen will verhandeln – Nur: worüber und mit wem?
Nach dem Griechenland-Referendum mehren sich in Politik und Presse Stimmen, die Athens Austritt aus der Eurozone befürworten. Sicher ist: Die Kreditgeber können Athen jetzt erst recht keine "billigen Angebote" machen. Die Griechen müssen drastisch reformieren – oder die Konsequenzen ziehen. Unterdessen läuft Athen die Zeit davon.
Griechenland-Krise

Athen will verhandeln – Nur: worüber und mit wem?

Nach dem Griechenland-Referendum mehren sich in Politik und Presse Stimmen, die Athens Austritt aus der Eurozone befürworten. Sicher ist: Die Kreditgeber können Athen jetzt erst recht keine "billigen Angebote" machen. Die Griechen müssen drastisch reformieren – oder die Konsequenzen ziehen. Unterdessen läuft Athen die Zeit davon.

Nach dem knallenden „Nein“ zu den Vorschlägen der Kreditgeber, zu Reformen und zu soliden Staatsfinanzen stehen den Griechen Ernüchterungen bevor. „Unsere erste Priorität ist es, die Banken wieder auf die Beine zu stellen“, hatte Premierminister Alexis Tsipras in seiner Triumph-Rede nach dem Votum verkündet. Noch am Referendumssonntag stellte die griechische Notenbank bei der Europäischen Zentralbank (EZB) den Antrag, das Volumen der Notkredite für die griechischen Banken von derzeit 90 Milliarden Euro weiter anzuheben. Tsipras: „Ich bin zuversichtlich, dass die EZB die humanitäre Seite der Krise in unserem Land völlig versteht.“ Am Dienstag würden die Banken wieder öffnen, hatte die Regierung Tsipras vor dem Referendum versprochen.

Aber wenn nicht ein Wunder geschieht, wird sie das Versprechen kaum halten können. Denn ohne ein politisches Signal aus den Euro-Hauptstädten, wird die EZB nichts unternehmen. Die Banken werden wohl geschlossen bleiben und die erste Tsipras-Illusion wird über Bord gehen. Weitere werden folgen.

„Ab heute starten wir Verhandlungen“

Als zweites will Tsipras sofort Verhandlungen mit Griechenlands Kreditgebern aufnehmen. So hat er es jedenfalls seinen Wählern erklärt: „Das Mandat, das sie mir erteilt haben, ruft nicht nach einem Bruch mit Europa, sondern verleiht mir eine größere Verhandlungsmacht.“ Es müsse „eine Lösung binnen 48 Stunden geben“, so ein Tsipras-Sprecher: „Ab heute starten wir Verhandlungen.“ Dem Ziel sollte auch der plötzliche Rücktritt von Finanzminister Yanis Varoufakis dienen. Der Ministerpräsident habe die Rücktrittsidee „als möglicherweise hilfreich auf dem Weg zu einer Einigung bewertet“, so Varoufakis in seiner kurzen Erklärung. Kurz vor dem Referendum hatte Varoufakis hatte den übrigen Euro-Regierungen Terror gegenüber Griechenland vorgeworfen und vom „Kriegszustand“ gesprochen.

Tsipras will also schnell mit seinen EU-Partnern verhandeln. Nur: worüber? Und mit wem? Das letzte Angebot der Kreditgeber – die sogenannte Troika aus EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds (IWF), EZB – ist längst vom Tisch. Tsipras selber hat es mit seiner Referendumsentscheidung vom Tisch gefegt. Das zweite Rettungsprogramm ist ausgelaufen. Die EU-Kommission hat darum kein Verhandlungsmandat mehr – schon gar nicht über ein drittes Rettungsprogramm oder einen Schuldenschnitt. Tsipras wird nicht mehr tun können, als Vorschläge nach Brüssel zu schicken. Ob das zu Verhandlungen führt, muss sich zeigen. Ziemlich sicher ist nur eines: schnell gehen wird gar nichts.

Paris und Rom kompromissbereit

Auf Initiative von Bundeskanzlerin Angela Merkel und von Frankreichs Staatspräsident Franςois Hollande hat EU-Kommissionspräsident Donald Tusk für diesen Dienstag einen Dringlichkeits-Gipfel der Eurozonenländer anberaumt. Am Abend zuvor haben sich Merkel und Hollande in Paris besprochen. Die EU-Diplomatie schaltet auf Krisen-Modus.

In der französischen Hauptstadt wird Merkel möglicherweise auf Kompromissbereitschaft gestoßen sein: Die Regierung in Paris steuert auf neue Schuldenrekorde zu und hat Angst vor höheren Zinsaufschlägen.  Auch in Rom hat Italiens Außenminister Paolo Gentiloni für neue Vereinbarungen mit Griechenland ausgesprochen. Der Griechenland-Gipfel am Dienstag müsse einen „eindeutigen Weg zur Lösung der Griechenland-Krise aufzeigen, so Premierminister Matteo Renzi in Rom. Mit über 130 Prozent Staatsverschuldung ist Rom nach Griechenland das am höchsten verschuldete Eurozonenland und in ähnlicher Lage wie Frankreich.

Einfache Lösungen gibt es nicht – ohne Reformen geht es nicht

Jeroen Dijsselbloem, Eurogruppenchef

Aber sonst ist die Kompromissbereitschaft in den Eurozonen-Hauptstädten und darüber hinaus eher gering. Bundeskanzlerin Merkel sehe vorerst keine Basis für Verhandlungen über ein neues Rettungspaket für Athen, so in Berlin Regierungssprecher Steffen Seibert – vor dem Abflug der Kanzlerin nach Paris. Das „Nein“ der Griechen zum Sparpaket habe die Suche nach einem Ausweg nur schwieriger gemacht, betonte der niederländische Finanzminister und Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem. Er wolle sich dafür einsetzen, dass Athen in der Eurozone bleibe. Aber dazu müsse Griechenland schwierige Maßnahmen ergreifen. Dijsselbloem: „Einfache Lösungen gibt es nicht – ohne Reformen geht es nicht.“ Ähnlich klingt Finnlands Finanzminister Alexander Stubb: „Was auch immer geschieht, die Konsolidierung der Wirtschaft erfordert erhebliche Reformen.“ Der Ball liege jetzt im Spielfeld der Griechen. „Europa darf sich nicht erpressen lassen“, warnte auch Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner: „Es wäre ein riesiger Fehler, jetzt neue Zugeständnisse zu machen“, so die CSU-Politikerin am Montag.

Europa darf sich nicht erpressen lassen. Es wäre ein riesiger Fehler, jetzt neue Zugeständnisse zu machen

Ilse Aigner, Bayerns Wirtschaftsministerin

Stimmen, die Athens Ausscheiden aus der Eurozone für möglich halten, mehren sich: Die EU solle ohne Drama den Austritt Griechenlands aus dem Euro „organisieren“, fordert in Frankreich der bürgerliche Ex-Premier und Präsidentschaftskandidat Alain Juppé. In Berlin hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel in einem Zeitungsinterview  erklärt, Tsipras habe „letzte Brücken eingerissen, über die Europa und Griechenland sich auf einen Kompromiss zubewegen konnten“. Einer aktuellen Umfrage in Polen zufolge sagen knapp 60 Prozent der Polen, die EU solle Griechenland nicht weiter unterstützen. Einer anderen Umfrage zufolge befürworten 58 Prozent der Deutschen den Grexit – Griechenlands Ausscheiden aus der Eurozone. Für die meisten Nordeuropäer bedeute das griechische „Nein“,  dass die Griechen weiter Bedingungen stellen wollten, auf Kosten der Steuerzahler anderer Länder, schreibt schonungslos die Londoner Wochenzeitung The Economist.

Die Euro-Hauptstädte können jetzt nicht nachgeben

Vor dem Referendum haben Brüssel und die meisten Euro-Hauptstädte immer wieder betont, dass es dabei um eine griechische Abstimmung über den Euro, gar um die Europäische Union ginge. Und die Griechen haben „Nein“ gesagt, mit unerwartet großer Klarheit. Griechenlands Verhandlungspartner können jetzt kaum Athen ein „besseres“ Angebot machen als zuvor oder auf griechische Forderungen eingehen, in denen wirkliche Reformen nicht vorkommen. „Wenn sie die Forderungen der griechischen Regierung hinnehmen, dann setzen sie ein schlechtes Beispiel“, sieht aus der Ferne die US-Tageszeitung The New York Times: „Das wäre das Signal, dass ein Land soviel Geld borgen kann, wie es will, und dann den Schuldenberg Europa überlassen kann, wenn es nur kompromisslos genug ist“.

Vom „griechischen Frontalangriff auf die europäischen Einrichtungen“ schreibt gar die Neue Zürcher Zeitung und fordert nach dem Votum ebenfalls Athens Euro-Abschied: „Ein Austritt Griechenlands aus der Währungsunion kann nicht erzwungen werden, ist aber die logische Konsequenz aus dem Volksnein.“ Die Syriza-Truppe solle ohne den „reichen Onkel aus Brüssel“  ihre Wege suchen müssen, um Einnahmen und Ausgaben in Einklang zu bringen. „Auch die Griechen dürften dabei früher oder später erkennen, dass nichts daran vorbeiführt, wirtschaftlich wettbewerbsfähiger zu werden“, so das Schweizer Blatt.

Die Griechen haben ihre Meinung gesagt, laut und deutlich: Sie sind nicht bereit, die Regeln der Mitgliedschaft einzuhalten. Dann sollten sie halt die gemeinsame Währung verlassen

Bloomberg

Der Austritt aus der Eurozone, sei „für das Land das beste Szenario“, glaubt  auch die niederländische Tageszeitung De Telegraaf: „Das Referendum ist ein Wendepunkt. Zum ersten Mal hat die Bevölkerung eines Landes sich gegen die Währung gewandt, die viele europäische Staaten miteinander verbindet. So eine Verbindung kann nur Bestand haben, wenn sich alle an Absprachen für gesunde Staatsfinanzen halten.“ Die Euro Zone brauche die „Katharsis eines griechischen Ausstiegs“, nicht die Ungewissheit weiteren Streits, drängt gar der US-Informationsdienstleister Bloomberg: „Die Griechen haben ihre Meinung gesagt, laut und deutlich: Sie sind nicht bereit, die Regeln der Mitgliedschaft einzuhalten. Dann sollten sie halt die gemeinsame Währung verlassen.“